Zitat von Zettel Ich meine damit praktizierte Religiosität. Also das, was Menschen, die sich als Moslems verstehen, glauben und praktizieren. So, wie wir mit "Katholizismus" den Glauben und das Tun von Katholiken meinen. Im Katholizismus gibt es vieles, das über die Lehre des Vatikan hinausgeht, ihr oft auch widerspricht.
Die entscheidende Frage ist ja aber nicht, wie man es mit Kondomen hält oder Sex vor der Ehe. Das sind keine Glaubensfragen, sondern maximal Sünden. Auch der heftigste Sünder bleibt natürlich Christ, wenn er das Apostolische Glaubensbekenntnis bejaht. Die Regeln des Vatikans sind [edit: nicht] konstitutiv für das Christentum. Und das ist der Unterschied zu Islam. Wer dort gegen elementare Alltagsregeln verstößt, gerät schnell in den Verdacht des Abfalls vom Glauben.
Wenn z.B. jemand wie der Bundespräsident meint, der Islam gehöre zu Deutschland, dann versteht man darunter eben die religiöse Lehre und nicht eine von ihr abweichende Praxis von Menschen, die sich selbst noch als Muslime bezeichnen, weil sie halt an Allah glauben. Und die Debatte geht ja nicht darum, ob man Muslimen besondere Rechte einräumt, sondern welche Rolle ihre Religion im öffentlichen Leben spielen soll. Und da bitte ich ehrfürchtig um den Vertreter irgendeiner islamischen Richtung, der sowohl Allah als Autor des Koran in Frage stellt als auch die Vorbildfunktion von Mohammed. Nochmal: Die Akzeptanz oder Nichtakzeptanz dieser beiden zentralen Punkte ist entscheidend. Was ein Muslim in seinem Privatleben macht oder was er in seinem Taxi dir gegenüber sagt, ist das eine. Was er öffentlich zu sagen wagt, vielleicht etwas anderes. Letzteres ist ein Hinweis darauf, ob geeignete Mehrheiten zu Sanktionsmöglichkeiten führen können, die einen verwässerten Islam verhindern.
Zitat von Zettel Ich kann - mit ein bißchen Wissen über die Geschichte des Islam, ohne Kenntnis seiner Theologie - nur konstatieren, daß es im Lauf seiner Geschichte zahllose Strömungen gegeben hat und gibt; von der Mystik der Sufiten über militante Strömungen wie die Assassinen und später die Mahdi-Bewegung, jetzt die Kaida, bis zu den liberalen Aleviten und den Alawiten, deren Lehre niemand so recht kennt.
Allein daraus, dass es Veränderungen gegeben hat, lässt sich aber nicht schließen, dass es zu weiteren kommen kann. Insbesondere dann nicht, wenn sich letztlich ein System durchgesetzt hat, dass aus sich heraus praktisch und theoretisch Erneuerung verhindert, indem es erste Anzeichen von Abweichung extrem sanktioniert. Und dass sich ein solches System im Islam als Mainstream letztlich schon früh durchsetzen konnte, halte ich eben nicht für einen Zufall.
Die Katze beißt sich da ja in den Schwanz, denn auch die sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen, die eine Säkularisierung begünstigen würden, werden von der islamischen Lehre am Entstehen gehindert. In einem Land, in dem es bereits zu weitgehender Säkularisierung kam, sei es, weil dort der Islam nie eine Rolle spielte, oder sei es, weil sie gewaltsam gegen den Islam durchgesetzt wurde wie in der Türkei, können sich einzelne Menschen und Gruppen natürlich emanzipieren, indem sie sich in ihrem Verhalten einer Mehrheitsgesellschaft anpassen oder sich unter dem Schutz des Staates ihre eigenen Freiräume schaffen. Aber die Rückbesinnung auf den Glauben, verbunden mit dem Kinderreichtum besonders gläubiger Menschen, kann eben hier zu (regional) neuen Mehrheiten führen und dort zu einem Roll-Back. Und so schafft sich der tiefgläubige Islam wieder selbst die Grundlagen seiner Fortdauer: Unterdrückung der Frau, technische und ökonomische Rückständigkeit, Armut.
Da ist ein sich verstärkender Regelkreis am Werk, der nur durch Einflüsse von außen aufzubrechen ist. Ich bin momentan darin überfordert, einen solchen möglichen Einfluss auszumachen, der mit meiner liberalen Überzeugung in Einklang zu bringen ist.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
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