Zitat von R.A.
Und andererseits die Frage der inhaltlichen Gemeinsamkeit, insbesondere die gemeinsame Geschichte und Kultur. Und diese Gemeinsamkeit wird natürlich wichtiger, je mehr Zusammenschluß man anstrebt.
Die echte, gemeinsame historische Kontinuität fängt erst danach an - als die Angelsachsen, die Kapetinger, die Ottonen und die spanischen Herrscher jeweils ihren Teil zur Abwehr der Angreifer getan hatten und sich danach im Hochmittelalter das "christliche Abendland" formierte.
Das ist das Abendland, das sich an Kaiser und Papst orientierte. Obwohl es machtpolitisch sekundär war, haben ja alle Königreiche dieses christlichen Europas das Primat des römisch-deutschen Kaisers anerkannt. Sie teilten alle den katholischen Glauben. Es gab eine gemeinsame Bildungswelt von Uppsala bis Toledo, von St. Andrews bis Bologna, mit Latein als gemeinsamer Sprache. Dieses Abendland erlebte gemeinsam Scholastik, Renaissance und Aufklärung. Und dieses Europa hatte eine "gemeinsame Außenpolitik" - die Reconquista war genauso eine gesamteuropäische Aufgabe wie die Kreuzzüge im heiligen Land oder im Baltikum es waren. Innerhalb Europas gab es über Jahrhunderte fast nur Bürgerkriege innerhalb der Königreiche, fast nie Kriege zwischen den Völkern.
Konstitutiv für dieses Europa war weniger Karl der Große als Otto der Große. Er hat Böhmen, Polen und Ungarn dauerhaft eingebunden, sie sind seitdem integraler Bestandteil jeder Konzeption von Europa. Man kann ja noch diskutieren, ob England wirklich dazu gehört - aber Polen gehört dazu wie Holland oder das Elsaß. Ein Europa ohne Prag, Krakau oder Budapest geht genauso wenig wie eines ohne Brüssel oder Mailand. Es tut mir fast weh, wenn eine europäische Idee auch nur formuliert wird, bei der ein Land wie Polen fehlen soll.
Wenn es also um irgendeine historische oder kulturelle Abgrenzung Europas geht, dann sind m. E. neben dem 6-er Kern der alten EU die britischen Inseln, Skandinavien, das Baltikum, Mitteleuropa (also Polen, Tschechei, Slowakei), die iberische Halbinsel und Ungarn/Kroatien auf jeden Fall dabei.
Diese Sicht teile ich auch, wobei man ergänzend noch auf die geographische Reichweite der Hanse hinweisen kann, auch ein wichtiger europäischer Faktor.
Ihre Ansicht, lieber R.A, des Nationalstaates dürfte in D die Mehrheitsmeinung sein, in den anderen europäischen Staaten eher die Ausnahme.
Welche Ordnung könnte denn als Alternative nach in Betracht kommen? NGD wird natürlich auf das Reich verweisen, im mittelalterlichen Sinne. Heute dürfte das nur ein Traum bleiben, denn erstens ist der Begriff negativ belegt, zweitens fehlt es am religiösen Fundament. Ernsthaft kommt wohl nur das Europa der Vaterländer in Betracht, oder?
Man darf mE nicht vergessen, daß die heutige EU auf die Ausnahmelage des Jahres 1945 zurückzuführen ist. Europa von den raumfremden Mächten UdSSR und USA besetzt und geteilt, zu Vasallenstaaten degradiert (das UK und F haben das erst in der Suezkrise gemerkt), und ohne ausreichenden Handlungsspielraum für eine europäische Politik, wie sie in der Zwischenkriegszeit noch möglich gewesen war. D war nahezu vernichtet, zusätzlich geteilt und auf lange Zeit als militärischer Machtfaktor bedeutungslos. Die sich vorher aus den deutschen Bestrebungen und der geographischen Zentrallage ergebenden Spannungen fielen weg. Erstmals in der jüngeren europäischen Geschichte stimmten die Interessen und Spielräume der wichtigen westeuropäischen Staaten nicht nur kurzfristig überein.
Der Grund für den Erfolg der EWG und der EG bis sagen wir Maastricht lag ja darin, daß bis zum Zusammenbruch des WP sich die großpolitische Wetterlage nicht änderte. Die Interessen und -konflikte, die es früher in Europa gab, sind ja nicht wegen der EWG/EG verschwunden, sondern diese konnte erfolgreich sein, weil die Interessen der maßgeblichen Staaten so lange gleichliefen. Nach 1989 ist das weggefallen und es kam noch die starke Erweiterung hinzu. Die Interessen der Hauptakteure sind nicht mehr dieselben wie früher, weshalb jetzt die Konflikte wieder aufbrechen können. Meines Erachtens ist die EU in der jetzigen Form nur noch ein technokratisches Projekt, daß von der politisch-medialen Klasse ohne Rücksicht auf die Wünsche der Bevölkerung aufrechterhalten wird. Um jeden Preis. Was wir jetzt mit GR erleben, dürfte erst der Anfang sein.
Gegen die Texte neuer staatlicher Regelungen liest sich das preußische Exerzierreglement wie das Feuilleton einer liberalen Wochenzeitschrift.
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