Zitat von Florian
Zitat
Im übrigen: Ist die Verflechtung wirklich so beispiellos? Ich habe da meine Zweifel, denn - gemessen an der jeweiligen Bevölkerungszahl und der Wirtschaftskraft - gab es früher auch schon eine erhebliche Verflechtung.
Spannende Frage. Und wahrscheinlich sehr schwer zu beantworten.
Um das thematisch einzugrenzen, lasse ich einmal die von Ihnen angesprochenen kulturellen Verflechtungen (Ihre Beispiele Adlige, ital. Musiker, etc.) außer Betracht und konzentriere mich erst einmal auf die wirtschaftliche Verflechtung.
Gut, mir ging es zwar um den Vergleich der heutigen zentralen Anliegen der EU (freier Warenverkehr, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, allgemeine Freizügigkeit usw), aber das ufert tatsächlich aus, wenn man alles behandeln will.
Zitat von Florian Zitat:
Im Mittelalter war die wirtschaftliche Verflechtung sicher WESENTLICH geringer als heutzutage. Dies erscheint logisch zwingend mit folgender Begründung: Bis zur Industrialisierung war in allen Ländern der dominierende Wirtschaftszweig die Landwirtschaft. Abgesehen von einigen wenigen Stadtstaaten wird die Landwirtschaft wahrscheinlich immer sehr weit über 50% der Wirtschaftsleistung ausgemacht haben. Nun gab es zwar in begrenztem Umfang auch einen überregionalen Handel mit Lebensmitteln (z.B. der Heringshandel der Hanse), aber der größte Teil des Handelsvolumens wird sicher auch im Mittelalter Rohstoffe (wie Metalle) und handwerkliche Erzeugnisse (wie Tuch) gewesen sein. Einfach deshalb, weil Lebensmittel leicht verderblich sind und weil außerdem der (damals oft recht mühsame) Transport sich v.a. bei Gütern mit hohem Wert pro Gewichtseinheit lohnt. Allein schon wegen des damals höheren Gewichts der Landwirtschaft wird der überregionale Handel weniger bedeutend gewesen sein als heutzutage.
Ja, volumenmäßig wird es früher sehr viel weniger gewesen sein und auch die Zahl der Produkte, die für den Fernhandel geeignet waren, ist deutlich geringer gewesen. Aber auch wertmäßig? Waren nicht die typischen Hansestädte oder Städte an den großen Handelswegen gerade durch den Handel so reich geworden? Was ist mit den Gewinnspannen im Gewürz-, Pelz- oder Seidenhandel? Mit dem europaweiten Geldverkehr der großen norditalienischen Bankhäuser zB.? Es würde mich nicht wundern, wenn bei einer genauen Prüfung eine Überraschung für uns herauskäme.
Zitat von Florian Zitat: Hinzu kommen die Zollschranken, die im Mittelalter existierten und die im Laufe der frühen Neuzeit m.W. noch deutlich zunahmen (einerseits wegen der mitteleuropäischen Kleinstaaterei, andererseits wegen merkantilistischer Überlegungen).
Stimmt, andererseits hatten die damaligen Firmen auch mit keiner ausufernden Bürokratie und Regelungswut zu kämpfen. Es gab keine ständigen Berichtspflichten, man mußte nicht für den Staat Lohnnebenkosten abführen und das auch noch selbst verwalten. Es gab keine Statistikpflicht gegenüber den Behörden wie heute und keine ELENA-Katastrophe.
Zitat von Florian Zitat: Zur Entkräftung meiner eigenen obigen These ("Handel schafft Friede") fällt mir übrigens noch folgendes ein: Es gab Anfang des 20. Jahrhunderts ein sehr einflußreiches Buch (der Titel ist mir leider gerade entfallen), in dem arguemntiert wurde, dass Kriege in Europa unmöglich geworden seien, weil aufgrund der starken wirtschaftlichen Verflechtung alle Länder unter einem Krieg leiden würden. Selbst die siegreichen Länder würden durch einen Krieg, der ihren Handel stört, ärmer. Wie wir heute wissen, hatte der Autor die Lage einerseits absolut richtig analysiert. Nur leider kam es trotzdem zum Weltkrieg, obwohl dem "eigentlich" die Interessen aller Nationen entgegen gestanden hatten.
Diese These ist mir auch bekannt, der Name des oder der Autoren ist mir aber im Moment nicht geläufig. Seine Vorhersage hat gestimmt, aber seine Schlußfolgerung, es werde daher keine Kriege zwischen wirtschaftlich verflechteten Staaten mehr geben, war falsch. Dies gilt übrigens auch für die häufig zu lesende Behauptung, Demokratien würden keine Kriege gegeneinander führen.
Gegen die Texte neuer staatlicher Regelungen liest sich das preußische Exerzierreglement wie das Feuilleton einer liberalen Wochenzeitschrift.
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