Zitat von Juno Der Historiker Niall Ferguson argumentiert, dass der steile Aufstieg des Westens ab 1500 im Wesentlichen auf einige institutionelle Errungenschaften zurückzuführen ist. Er nennt sie die "6 Killer-Apps": competition, science, democracy, medicine, consumerism and the Protestant work ethic.
Eine interessante These, und natürlich ist da was dran. Aber so ganz trifft es m. E. noch nicht.
Erst einmal bin ich mir bei "competition" unsicher. Bis ins 19. Jahrhundert war die europäische Wirtschaftsstruktur ja eher korporatistisch und an Privilegien/Monopolen orientiert. Und ich wäre auch zögerlich, bei diversen anderen Zivilisationen weniger Wettbewerb zu konstatieren.
"science" ist eine klare Sache. Wobei ich eher "applied science" sagen würde. In der Theorie waren andere ja auch nicht schlecht - aber bei der Umsetzung ins praktisch Nutzbare waren die Europäer wohl besser.
"democracy" spielt ja erst spät eine Rolle, da war der Vorsprung der Europäer eigentlich etabliert.
"medicine" ist eigentlich nur eine Variante von "science", und auch erst recht spät wirksam. Und ich sehe auch nicht, daß das nennenswert Wettbewerbsvorteile gegeben hätte.
"consumerism" verstehe ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht, dazu müßte ich wohl das Buch lesen.
Und die "protestant work ethic" ist natürlich ein Faktor bei der Industrialisierung - aber einen guten Teil der Welt hatten diverse katholische Länder schon erobert, bevor die "work ethic" überhaupt zum Tragen kam.
Umgekehrt fehlt mir ein ganz wichtiger Faktor, und der ist eigentlich schon vor 1500 ständig präsent und für Europa typisch - aber natürlich überhaupt nicht PC: Militärische Tüchtigkeit. Das ist eigentlich ein durchgängiger Charakterzug schon bei den Germanen, und in diesem Bereich haben ja die Germanen auch ziemlich alle europäischen Länder geprägt. Natürlich haben alle Zivilisationen, insbesondere die Großreiche, ihre tapferen Krieger gehabt und oft auch gegen Europäer gewonnen. Aber es fällt schon auf, wie schon seit der Völkerwanderungszeit und auf jeden Fall seit dem Mittelalter europäische Armeen allen möglichen Opponenten fast immer überlegen sind und insbesondere auch bei der Kampfmoral entscheidende Vorteile haben. Extreme Beispiele findet man dafür bei den Kreuzzügen, bei den spanischen Konquistadoren oder den Portugiesen in Indien. Da gibt es teilweise ganz unglaubliche Disproportionen bei den Truppenstärken, die normalerweise auch durch überlegene Waffentechnik nicht auszugleichen sind. Aber die Europäer greifen mit einer tollkühnen Dreistigkeit an, die eigentlich völlig selbstmörderisch ist - und gewinnen fast immer.
Zitat Der relative Niedergang des Westens ergibt sich dann zum einen daraus, dass der Rest der Welt gelernt hat, diese "Killer Apps" ebenfalls "herunterzuladen". Japan hat das schon vor über 100 Jahren getan, heute folgt fast die ganze Welt.
Das auf jeden Fall. Deswegen schrieb ich ja auch: Aufholen können letztlich nur die Länder, die das europäischen Modell übernehmen.
Zitat Zum anderen spricht einiges dafür, dass wir selbst diese Institutionen nicht mehr richtig begreifen und wertschätzen - dass die "Apps" also bei uns sozusagen abstürzen.
Vielleicht. Aber es ist natürlich auch so, daß man sich etwas Luxus leisten kann, wenn man reich geworden ist. Auch so Wohlfühl-Dinge wie überzogener Sozialstaat, Krötentunnel und Frauenbeauftragte. Das heißt aber nicht, daß die Erfolgsfaktoren nicht mehr präsent wären.
Zitat Wenn es allerdings einen neuen Aufbruch im Westen geben soll, dann muss man sich zumindest seine Grundfrage stellen: Woher kommt es eigentlich, dass die westliche Kultur so unglaublich erfolgreich war?
Ich halte einen "neuen Aufbruch" für unwahrscheinlich bis unmöglich. Dazu müßten wir ja eine ganze Gruppe neuer "Killer-Apps" finden, um uns wieder vom Feld abzusetzen.
Es ist auch nicht wirklich nötig. Es ist doch gut, wenn immer mehr Länder unsere Standards übernehmen und uns damit auch Vorteile bringen - mehr Handelspartner, mehr Ideen, mehr Austausch, mehr Urlaubsziele. Das geht zwar alles lange nicht so schnell, wie das Manche nach dem Ende des Ostblocks erwartet hatten. Aber der Trend ist positiv.
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