Zitat von DrNick
Zitat von R.A. "science" ist eine klare Sache. Wobei ich eher "applied science" sagen würde. In der Theorie waren andere ja auch nicht schlecht - aber bei der Umsetzung ins praktisch Nutzbare waren die Europäer wohl besser.
Vielleicht ist es (teilweise) auch genau umgekehrt: Im Bereich der "applied science", also der Technik und der Ingenieurswissenschaften war z.B. China Europa viele Jahrhunderte weit voraus. Was es in China aber lange nicht gegeben hat, war eine Grundlagenforschung um ihrer selbst willen, wie sie in Europa seit der Neuzeit betrieben wurde. (Diese Überlegungen finden sich z.B. bei J. Needham genauer ausgeführt.)
Ja, und sie brachte sozusagen den dritten Schub.
Der erste kam aus dem Italien der Renaissance, überwiegend im 15. Jahrhundert. Dort entstand, so scheint mir, die doppelte Dynamik, die alles ins Rollen brachte - das, was Machiavelli vertù nannte, der rücksichtslose Wille zur Macht (und die Fähigkeit, sie zu erlangen und zu sichern), und sodann die Selbständigkeit des Denkens, die sich im Beruf des Humanisten verkörperte, des gebildeten Lehrers, der den Kindern der Reichen das freie Denken beibrachte. In den Naturwissenschaften gab es damals noch wenig Fortschritt; man war eben "humanistisch" orientiert.
Den zweiten Schub brachte die Entdeckung und anschließende Ausbeutung Amerikas, verbunden mit dem Aufschwung der beiden Mächte, die geografisch "nach Amerika hin lagen"; Portugal und Spanien. Später kam England hinzu.
Rund ein Jahrhundert danach setzte der Aufschwung der Naturwissenschaften ein; begründet durch das Dreigestirn Galilei, Descartes und Francis Bacon. Und hier finden wir jetzt das, lieber DrNick, was Sie beschreiben: Einen Erkenntniswillen, der sich wenig um Anwendungen kümmert.
Jeder der drei hat eine der Grundlagen von science gelegt - Galilei mit der experimentellen Methode; Francis Bacon, indem er die Regeln wissenschaftlichen Vorgehens explizit gemacht und damit in gewisser Weise die Wissenschaftstheorie begründet hat; Descartes mit seiner radikalen Forderung, Aussagen immer wieder auf ihre Beweisbarkeit hin zu prüfen.
Die naturwissenschaftliche Seite von Descartes wird aus meiner Sicht oft zu wenig gewürdigt. Gewiß, er hat mit seinem radikalen Zweifel die Erkenntnistheorie und mit seinem Dualismus die Ontologie bis ins 18. Jahrhundert geprägt. Aber er war eben auch Naturwissenschaftler; an Astronomie ebenso interessiert wie an Physiologie. Er gilt als derjenige, der als erster aus wissenschaftlichem Interesse ein Auge (das eines Ochsen, wenn ich mich recht erinnere) seziert hat. Aber seine beiden naturwissenschaftlichen Werke Le Monde und L'homme, die er schon vor den meisten seiner philospischen Werke mit Ende Dreißig geschrieben hatte, traute er sich nicht zu publizieren, u.a. nachdem er vom Schicksal Galileis erfahren hatte.
Ich denke, es läßt sich die These vertreten, daß erst mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften ab ungefähr der zweiten Hälfte des 17. Jh. und dann im 18. Jh Europa sich wirklich von der Entwicklung der anderen Hochkulturen abzukoppeln begann. Imperien wie diejenigen der Portugiesen und Spanier hatte es auch früher und anderswo schon gegeben. Eine systematische naturwissenschaftliche Forschung noch nie.
Herzlich, Zettel
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