Urlauber und Llarian:
Ihr müsst aufhören, Kulturen nur mit ihren Religionen zu identifizieren und sie für unveränderlich zu halten. Diese Ideologie kann man "Kulturalismus" nennen. Es ist das Gegenteil vom Multikulturalismus, der auch schlimm ist, weil er von der Gleichheit aller Kulturen ausgeht. Der Kulturalismus dagegen geht davon aus, dass alle Kulturen für immer unveränderlich sind. Das ist aber genauso falsch. Eine Kultur kann sich natürlich verändern. Es gibt kein kampf der Kulturen, nur einen Kampf zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen Wissenschaft und Mystik.
Ein Kulturkreis besteht aus mehr als aus seiner vorherrschenden Religion. Natürlich spielt sie eine große Rolle, weil sie oft die Erziehung der Menschen, die in dieser Kultur aufwachsen, bestimmt. Aber das wichtige ist doch, ob es in einer Kultur Meinungsfreiheit gibt, ob es möglich ist, den Inhalt einer Religion in Frage zu stellen. Nur so ist übrigens auch technischer Fortschritt möglich. Technischer Fortschritt ist die Folge von moralischem Fortschritt. Wenn man die Natur nicht erforschen darf, weil das eine Beleidigung Gottes wäre, kann es auch keine Wissenschaft geben.
Es stimmt einfach nicht, dass die Christen immer friedlich waren und die Muslime immer rückständig. Das ist eine historisch vollkommen absurde Vorstellung. Es gibt noch heute in Syrien Statuen vom großen Gelehrten al-Maarri. Einer seiner Gedichte ging so: "Man soll die Behauptungen der Propheten nicht für wahr halten; es sind allesamt Erfindungen. Den Menschen ging es gut, bis sie kamen und das Leben verpfuschten. Die heiligen Bücher sind nur Sammlungen nutzloser Geschichten, wie sie alle Zeiten hervorbringen konnten und auch hervorgebracht haben" oder auch "Sie alle irren – Moslems, Christen, Juden und des Zoroaster Legion. Die Menschheit kennt weltweit nur diese beiden: Den einen, mit Verstand wohl aber ohne Religion, Den andern, religiös, doch ohne Hirnarbeiten."
In dieser Zeit war er bei weitem nicht der einzige Freidenker, der aus dem muslimischen Kulturkreis stammte. Muslime brachten bedeutende Errungenschaften in den Naturwissenschaften, Mathematik und anderen hervor. Die Muslime waren dem Westen in Staatsführung, Justiz und vielen anderen Dingen überlegen. Viele waren Atheisten. Und jetzt kommt der Witz dabei: Trotzdem führten sie die Überlegenheit des islamischen Kulturkreises auf den Islam zurück! Genauso wie du zitierten sie einfach ein paar friedliche Stellen aus dem Koran (ob du's glaubst oder nicht- es gibt ein Haufen davon) und sagten dann: Der Islam fördert das selbständige Denken und in Frage stellen von Dogmen. Tatsächlich gibt es im Islam das Konzept des Idschtihad: http://de.wikipedia.org/wiki/Idschtih%C4%81d. Dieses besagt, dass jeder Muslim den Islam den Koran und die Sunna auf seine eigene Weise interpretieren muss. Ein guter Mensch sucht sich dann einfach die friedlichen Stellen aus und macht daraus "seinen" Islam:
"Keiner von euch ist gläubig, solange er nicht für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht." Hadith 13 "Wahrlich, diejenigen, die glauben, und die Juden, die Christen und die Sabäer, wer an Gott und den Jüngsten Tag glaubt und Gutes tut - diese haben ihren Lohn bei ihrem Herrn und sie werden weder Angst haben noch werden sie traurig sein." Koran Sure 2:62
Natürlich ist das Blödisnn, denn Mohamed war ein pädophiler, tyrannischer Massenmörder, und der Koran predigt überhaupt nicht Toleranz für Andersgläubige. Deswegen sage ich ja: Es geht nicht NUR um Religion, sondern wie viel Einfluss sie hat. Desto weniger, desto besser. Die jüdisch-christliche Theologie besteht übrigens auch aus der Torah (Altes Testament). Das neue Testament ist sicher 100-mal friedlicher als der Koran, aber die Torah? Gott lässt 24.000 Menschen abschlachten, weil sie ein goldenes Kalb anbeteten... Und das war noch einer seiner mildesten Taten. David war ein Mörder, Moses, eigentlich so gut wie jeder. Mord, Totschlag, Raub, Vergewaltigung (teilweise von Gott befohlen, wie beim Genozid gegen die Amalektien) gehören in der Bibel zum Alltag. Von gleichen Rechten für Frauen, Homosexuelle oder Andersgläubige findet man in der Bibel recht wenig, es gibt auch keinen einzigen Einwand gegen die Sklaverei. Auch Jesus Lehren sind für mich kaum brauchbar, sie sind eine Mischung aus sozialistisch-anarchistisch-gutmenschlicher Ideologie und nicht immer friedlich. Was passiert, wenn jüdische/christliche Fundamentalisten ihre Religion wörtlich auslegen, hat Henryk M.Broder vor einigen Wochen in der WELT beschrieben. Die Ultra-Orthodoxen in Bnei Barak haben mehr mit den Salafisten gemeinsam als mit den säkularen Israelis.
Es ist auch nicht immer so, dass die Religion für die Gewalt in einem Kulturkreis verantwortlich ist. Waren die Nazis und die Kommunisten für dich Christen? Natürlich nicht. Talaat, Saddam, Assad und Gaddafi haben ihre Mordtaten verübt, weil sie National-Sozialisten waren, der Islam hatte damit nichts zu tun. Hitler erwähnte in "Mein Kampf" zwar den Herrn ("So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre kämpfe ich für das Werk des Herrn") und Gaddafi war von der Überlegenhit des Islams überzeugt, aber ihre Ideolgien waren säkular. Die Türkei war jahrzehntelang weitgehend säkular (Atatürk nannte den Islam ein "Kadaver, der unser aller Leben vergiftet"), aber extrem nationalistisch.
Um den Bogen zum 21.Jahrhundert zu spannen: Der Islamismus ist eine moderne Ideologie aus dem letzten Jahrhundert, genauso wie der Nationalsozialismus. Die muslimischen Staaten waren vor Jahrzehnten wesentlich säkularer. Im Iran gab es z.B. ein Kopftuchverbot. Allerdings hatten die vom Westen importierten Ideologien politisch und wirtschaftlich versagt, weswegen einige Intellektuelle die "Rückkehr zum Islam" forderten.
Es gibt viele Parallelen zum Dritten Reich: Warum haben die Deutschen die NSDAP gewählt (die sicherlich nicht weniger totalitär war als die Muslimbrüder)? Die meisten Deutschen waren wohl keine genozidlüsternen Faschisten. Der Grund war einfach: Die Deutschen fühlten sich als Verlierer. Sie empfanden eine mörderische Wut auf die Siegermächte und waren durch die Wirtschaftskrise zusätzlich gedemütigt. Die Muslime fühlen sich heute ebenfalls zum großen Teil als Verlierer. Statt den Siegermächten hasst man die USA und Israel. Die großen wirtschaftlichen Probleme sind durchaus vergleichbar mit denen zur Zeit der Weimarer Republik, wenn nicht schlimmer. Genauso wie Deutschland während der Weimarer Republik haben die muslimischen Länder heute keine oder nur eine sehr kleine demokratische Tradition. Wenn sich große Teile eines Landes als Verlierer fühlt, blüht die Anhängerschaft der Populisten, die den ganzen Frust der Bevölkerung verkörpern. In der Weimarer Republik waren es die Nationalisten, in der muslimischen Welt sind es die Islamisten. Die säkularen Diktatoren hatten sie bis 2011 erfolgreich unterdrückt. Die Zukunft wird zeigen, ob die Islamisten in der Lage sein werden, sich an der Macht zu halten oder ob sie genauso schnell wieder aus der Regierung gejagt werden.
Zettel:
Die USA waren 1776 keine Demokratie! Es gab die Sklaverei, nur weiße Männer mit Besitz durften wählen, die Indianer hatten überhaupt keine Rechte. Selbst als sie sich assimilerten wurden sie auf staatliche Anordnung vertrieben (Cherokee-Trail of Tears). Der Kampf um eine echte Demokratie dauerte lange und war oft blutig. Nicht nur der Bürgerkrieg, auch der Kampf um die Gleichberechtigung von Minderheiten. Sieh es dir an: http://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie...inigten_Staaten
Erst mit der Aufhebung der Segregation ab den 1960ern kann man die USA als eine Demokratie bezeichnen. Es hat also um die 200 Jahre gedauert.
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