Zitat von Schäl Das ganze ist eine äußerst schwierige Frage, die wir wohl kaum von hier aus beurteilen können. Ich halte jedenfalls beides für gut möglich.
Dem stimmte ich zu; wie überhaupt Ihrem Beitrag. Was wir aber tun können - und was ich in dem Artikel zu tun versucht habe - ist, deutlich zu machen, um welche Diagnosen es eigentlich geht und welches die Symptome und Kriterien sind. Schlagzeilen wie "Der Wahnsinnige soll gesund werden" zeigen, daß hier offenkundig Aufklärungsbedarf besteht.
Zitat von Schäl Das Feststellen Wahn ja/nein ist eine der schwierigsten Aufgaben in der Psychiatrie (und dabei insbesondere die Festlegung auf die Unmöglichkeit des Inhalts) und genau beim Wahn dürfte hier der Kanckpunkt zu finden sein.
Mit der "Unmöglichkeit des Inhalts" ist das ja so eine Sache. Karl Jaspers ist so weit gegangen, als das entscheidende differentialdiagnostische Kriterium der Psychose die "Uneinfühlbarkeit" zu nennen.
Das Problematische ist, daß dabei psychiatrische und gesellschaftliche Kriterien sehr schwer zu trennen sind. Osama Bin Laden hat in Bezug auf den "Großen Satan USA" ziemlich ähnliche Vorstellungen gehabt wie Breivik in Bezug auf den Islam; und die Unmenschlichkeit der Konsequenzen, die er aus diesem Wahn zog, waren vergleichbar.
Auf die Parallele zu Hitlers wahnhaftem Antisemitismus habe ich schon hingewiesen. Wenn man die betreffenden Kapitel von "Mein Kampf" liest, dann ist das Wahnhafte der Art, wie alle Übel der Welt auf "den Juden" zurückgeführt werden, mit Händen zu greifen. Aber sicher reicht das nicht für die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie aus.
Auch an die Psychiatrisierung sowjetischer Dissidenten ist zu denken; das Argument war damals exakt dies, daß ihre Wahrnehmung der sowjetischen Gesellschaft als einer brutalen totalitären Diktatur wahnhaft sei.
Zitat von Schäl Ich halte jedenfalls Wahnwahrnehmungen, also die wahnhafte Umdeutung einer richtigen Sinneswahrnehmung, durchaus für denkbar, wobei die meisten Betroffenen diese auf sich selbst beziehen (Eigenbeziehung)(das lässt sich zur Abgrenzung bei ihm möglicherweise ganz gut gebrauchen). Sollte es soetwas bei Breivik gegeben haben wäre das ein starkes Indiz für eine Schizophrenie, da die Wahnwarnehmung als das von allen Wahnphänomenen charakteristischste für eine Schizophrenie gilt.
Gerade die Eigenbeziehung, die für paranoide Psychosen charakteristisch ist, kann ich - nach dem, was mir bekannt ist - bei Breivik nicht sehen. Er hat, soweit ich weiß, keine Wahninhalte der Art gehabt, daß es ein Netz der Konspiration gegen ihn persönlich gibt; daß er überwacht wird, Agenten auf ihn angesetzt sind usw. Das wäre es, was man als die Wahnwelt eines paranoiden Schizophrenen erwarten würde.
Zitat von Schäl Sollten hingegen kein Anhaltspunkte für Wahn zu finden sein, dürfte eine Schizophrenie unwahrscheinlich sein, da ja anderen Symptome wie Halluzinationen, insbesondere kommentierende oder dialogische Stimmen, Gedankeneingebungen, -ausbreitung und -entzug, katatone oder negative Symptome usw. nach allem was ich dazu gelesen habe nicht vorliegen. Klar muss aber auch sein, dass für die Diagnose einer Schizophrenie Halluzinationen nicht unbedingt erforderlich sind und sich die Schizophrenie nicht unbedingt klassisch und in voller Ausprägung zeigen muss.
So ist es. Ich habe es in dem Artikel zitiert: Eine Psychose "hat" man eben nicht wie einen Schnupfen oder Hypertonie, sondern sie ist eine komplexe Funktionsstörung des Gehirns; jede Schizophrenie ist anders. Die diagnostischen Kriterien beispielsweise in ICD müssen keineswegs alle oder auch nur überwiegend erfüllt sein, damit eine Schizophrenie vorliegen kann.
Allerdings - wenn keines der anderen Symptome zu finden ist, wird man bei der Diagnose "Wahn" wohl besonders strenge Maßstäbe anlegen müssen, um auf eine paranoide Schizophrenie zu schließen. Daß jemand Europa vom Islam bedroht sieht und sich selbst als berufen betrachtet, dagegen zu kämpfen, kann da aus meiner Sicht nicht reichen; so wenig eben, wie in den den analogen Fällen Bin Laden und Hitler.
Zitat von Schäl Im Falle einer Persönlichkeitsstörung wäre die Frage, ob eine paranoide hinreichend klassifizierbar ist. Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, narzistsischen, histrionischen, schizoiden und/oder schizotypischen Anteilen ist denkbar.
Auch da stimme ich Ihnen zu. Ich habe das in dem Artikel (der ohnehin recht lang geworden ist) vereinfacht.
Übrigens hat schon Kurt Schneider darauf aufmerksam gemacht, daß die "reinen" Formen der Psychopathie keineswegs die häufigsten sind. Zu Ihrer Liste möglicher Persönlichkeitsstörungen würde ich noch die dissoziale hinzufügen wollen (ICD F60.2); also das, was im Angelsächsischen oft als Psychopathie bezeichnet wird.
Herzlich, Zettel
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