Es dürfte kein Zufall sein, dass die Vision von den Vereinigten Staaten von Europa gerade in Deutschland so einen hohen politischen Stellenwert hat und von führenden Vertretern aller Parteien geteilt wird.
Die Deutschen wollen Mustereuropäer sein, weil sie ihre unangenehme nationale Identität am liebsten loswerden und in einer europäischen Identität verdampfen lassen würden. Im "deutsch-französischen Motor" finden sie dazu den perfekten Partner, denn Frankreich ist davon überzeugt, dass es einen Identitätsbegriff hat, der auf ganz Europa erweitert werden könnte und sollte.
Alle anderen Europäer wollen ihre Identität im Prinzip bewahren. Sie sind weder auf der Flucht vor sich selbst, noch verstehen sie sich als zivilisatorisches Leitbild und geborene Führungsmacht. Sie erhoffen sich von der engen europäischen Zusammenarbeit die unterschiedlichsten Vorteile, benötigen das Projekt aber nicht zur Definition ihrer nationalen Identität. (Einzige Ausnahme sind die Belgier, deren Staat ein historisches Kunstprodukt ist, dessen ohnehin schwache Identität immer weiter zerfällt.)
Jede dieser Positionen ist natürlich legitim. Die Herausforderung in den kommenden Jahren ist aber, dass die "Sachzwänge" zur Integration immer größer werden, während die nationalen Identitäten eher wieder stärker werden. Auch und gerade in Deutschland.
Die Nazi-Diktatur hat Deutschlands Identität ja in den vergangenen Jahrzehnten deshalb so stark geprägt, weil ihre extrem schmerzhaften Folgen für alle schlicht unübersehbar waren - menschliche, städtebauliche, weltpolitische Folgen. In der Nachkriegszeit mit dem Kalten Krieg bis 1989 wurde es dann ein Gebot der Vernunft, die Realität der nationalen Teilung zu akzeptieren und neue Formen der Identität wie den westdeutschen "Verfassungspatriotismus" zu entwickeln. Die SED ersetzte das "Deutschland einig Vaterland" durch das "sozialistische Vaterland DDR".
Heute ist das Land auf dem Weg zu einer neuen Normalität. Die Generationen, die den Krieg und seine unmittelbaren Folgen erlebt haben, sterben langsam aus. Die Städte sind runderneuert und fast narbenfrei, das geeinte Deutschland hat seine Form gefunden und ist völkerrechtlich ein Staat wie jeder andere. Am Potsdamer Platz in Berlin gehen die Massen wieder ins Kino oder ins Restaurant (oder alle Jahre wieder zum Fußball-Public Viewing).
Die schwierige Vergangenheit wird eine völlig abstrakte, eher verkopfte Angelegenheit. Ich würde mal vermuten, dass die zitierte Umfrage in Deutschland in 15 Jahren ziemlich anders ausfallen wird.
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