Zitat von FAB. Hm. Hat sich denn in den paar Jahren zwischen 800 und 1800 ein "Bewußtsein kultureller Zweitklassigkeit" irgendwo durchgehend geäußert?
Für die frühe Phase wüßte ich einige Belege (leider heißt "wissen" hier nicht, daß ich sie konkret bringen oder gar zitieren könnte), aber "durchgehend" war nur eine Vermutung.
Ab dem 18. Jahrhundert kann ich mich aber erinnern, daß das Thema häufig und regelmäßig diskutiert wird in der Art, daß die Neigung der Deutschen beklagt wird, ihre eigene Kultur, Sprache und Tradition nicht zu würdigen und stattdessen fremde Manieren anzunehmen. Und ab da spätestens würde ich auch Durchgängigkeit behaupten. Ich hätte da gerne ein schönes Beispiel aus der wilhelminischen Zeit verlinkt (also einer Phase, die eigentlich nicht mit schwachem Selbstwertgefühl assoziiert wird): Eine Simplicissimus-Karikatur mit dem Titel: "Herr und Frau Schmidt, wie sie nach London abreisen (noch "typisch deutsch" gekleidet) und Mr. und Mrs. Smith, wie sie nach zwei Wochen zurückkehren (in "typisch englischer" Verkleidung). Habe ich leider per Google nicht gefunden.
Zitat Zumal selbst wenn es so war, daß anfangs aufgrund dort vorhandener altrömischer Restbestände noch ein kulturelles Gefälle von Süden und Westen her bestand, auf der anderen Seite dieses sich nach Osten hin ja fortsetzte ...
Richtig. Aber dort gab es nicht diese Diskrepanz zwischen eigener Stärke und kultureller Unterlegenheit. Wobei ich diese These mit den ganz alten Wurzeln nicht strapazieren möchte, das ist wie schon gesagt nur eine Spekulation.
Zitat Ich würde eher vermuten, daß die Deutschen sich mit der über Jahrhunderte eingenommenen Sonderrolle des römischdeutschen Kaisers als "Haupt der Christenheit", also Europas, und Träger einer als legitim empfundenen übernationalen Ordnung am Ende doch identifiziert hatten ...
Das hatte ich auch schon überlegt, und das wäre ja auch kein Gegensatz. Nur eine verstärkende Motivation, sich nicht in erster Linie über den nationalen Kontext zu definieren. Und die Orientierung am supranationalen "europäischen" Heiligen Römischen Reich erinnert tatsächlich manchmal verblüffend an die heutige EU-Fixierung. Ich bin aber doch skeptisch, ob es da eine Traditionslinie gibt - die Überlieferung ist doch völlig abgerissen und das alte Reich wurde seit 1806 bis heute überwiegend negativ bewertet.
Zitat daß man aus Anhänglichkeit an eine uralte Idee versäumt hatte, selbst Nationalstaat zu werden, während ringsum die Nachbarn sich zu solchen entwickelt hatten
Das ist wohl richtig und entspricht der verbreiteten These von der "verspäteten" Nation.
Zitat Das ubiquitäre nicht ganz wörtliche Geibel-Zitat tut dem Autor durchaus unrecht.
Das wollte ich natürlich nicht, vielen Dank für die Ergänzung.
Das Zitat habe ich nur in der geläufigen, aufs Nationalistische verkürzten Bedeutung gebraucht. Und diese Mentalität (die natürlich nicht Geibel entspricht) ist ja immer noch ganz stark verbreitet. Man ist nicht stolz auf sein Land, geht aber trotzdem selbstverständlich davon aus, daß unsere Angewohnheiten, Ideen oder Vorgehensweisen die einzig Richtigen sind und denen in allen übrigen Ländern automatisch überlegen sind. Insbesondere bei den deutschen Linken ist dieser Chauvinismus ziemlich verbreitet - paßt ja auch gut zur allgemeinen linken Auffassung, daß es nur EINE richtige Auffassung geben kann.
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