In der Sprachgeschichte sind da immer wieder Verschiebungen zu beobachten:
In althochdeutscher Zeit gilt nur "du" - Hildebrand und Hadubrant, wiewohl sich fremd, duzen sich.
Im 9. Jh. taucht dann erstmals das "ihr" als Anrede für den Höhergestellten auf, und dann bleibt im MA dieses Nebeneinander von "du" für den Niedrigerstehenden und "ihr" für den Höherstehenden. Auch die Ritter der höfischen Romanen ihrzen sich meiner Erinnerung nach gegenseitig. Vgl. auch Grimms Märchen: "Frau Königin, Ihr seid die Schönste im ganzen Land."
Dann taucht im 16. Jh. die Anrede mit "Er" auf ("Geruht der Herr ..."; "Hat er gut geschlafen"); dazu tritt dann im 17. Jh. die Steigerung, indem das "Er" in den Plural gesetzt wird.
Gottsched unterscheidet im 18. Jh. als Anrede: - natürlich: Du - althöflich: Ihr - mittelhöflich: Er, Sie - neuhöflich: Sie (Plural) - überhöflich: Dieselben
Adelung schreibt in der 2. Hälfte des 18. Jh.: "Du wird nur noch 1. gegen Gott, 2. in der Dichtkunst und dichterischen Schreibart, 3. in der Sprache der engen Vertraulichkeit und 4. in dem Tone der hochgebiethenden Herrschaft und tiefen Verachtung gebraucht. Außer diesen Fällen redet man sehr geringe Personen mit ihr, etwas bessere mir er und sie, noch bessere mit dem Plural sie, und noch vornehmere wohl mit dem Demonstrativo Dieselben oder auch mit abstracten Würdenamen, Ew. Majestät, Ew. Durchlaucht, Ew. Excellenz u.s.f. an."
Für Preußen ist im 18. Jh. belegt, dass im Westen das Du fast ganz verschwunden war, während im Osten nur Grafen und Gelehrte geihrzt wurden.
Anfang des 18. Jh. (Preuß. Reformen) setzte sich in Preußen die Zweigliedrigkeit Du = vertraut, Sie = offiziell durch; in den Befreiungskriegen wurden die Freiwilligen nicht wie die übrigen SOldaten mit "du" oder "er" angeredet, sondern mit "Sie". Es gibt die schöne Anekdote, dass 1813/15 ein Freiwilliger angeraunzt wurde mit "Er ist ein Schaafskopf", worauf der Getadelte antwortete: "HErr Lieutenant, nach dem Patente heißt es: Sie sind ein Schaafskopf." Das Siezen wurde dann auf alle Soldaten, Wehrpflichtige wie Freiwillige, ausgedehnt.
Nach 1800 setzt sich auch gegenseitige "Du" zwischen Eltern und Kindern durch (statt früher Du gegen Sie). Für das 18. Jh. gilt noch für Ehepartner: Bei Bauern und Bürgern: Du gegen Du; Du gegen Ihr bei Bürgern und Adel (d.h. der Mann duzt die Frau, sie ihrzt ihn), ihr gegen ihr im hohen Adel. Gegen Ende des 18. Jh. setzt sich das Siezen der Ehepartner im Bürgertum durch.
Siehe W. Besch: Duzen, Siezen, Titulieren. Göttingen 1996
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