Lieber FTT,
ich freue mich, daß Ihnen die Serie gefällt; auch deshalb, weil Sie ja Frankreich kennen und deshalb a bisserl beurteilen können, ob sie etwas taugt. Ich schreibe sie gern, weil sie mir die Gelegenheit gibt, mich einmal wieder etwas mehr in die französische Politik zu vertiefen, die ich in den letzten Jahren nicht mehr so intensiv verfolgt hatte wie zuvor.
Zitat von FTT_2.0 Was das Niveau angeht, kann ich nur zustimmen. Beeindruckend von beiden. Allerdings war es auch eine ziemlich feindselige und gehässige Atmosphäre, so dass ich "stets rational argumentierend" schon etwas nuancieren würde. Den Ausschnitt mit dem petit calomniateur (kleiner Verleumder), wie Sarkozy Hollande geheißen hat, läuft hierzulande alle Stationen rauf und runter. Abgesehen davon hat ja Sarkozy ununterbrochen kleine Boshaftigkeiten über drei oder vier Punkte in der Vita oder Persönlichkeit Hollandes von sich gegeben (ohne politische Erfahrung außerhalb der Partei, unkundig in Sachfragen, unwahrhaftig in seinen Wahlkampfaussagen).
Das war halt Sarkozys einzige Chance. Ich habe in dem Artikel dieses treffende Wort débusquer, aufscheuchen, zitiert.
Hollande ist eine gepanzerte Persönlichkeit. So sehe ich ihn jedenfalls; und so dürften ihn die Berater Sarkozys gesehen haben. Er hat sich immer unter voller Kontrolle. Seine Emotionen sind gespielt (wie bei der Rede in Le Bourget, über die ich hier berichtet habe).
Sarkozys einzige Chance war, Hollande so zu provozieren, daß die Panzerung nicht mehr hielt. Ein Hollande, der empört ist, der seine Linie verläßt - das wollte Sarkozy.
Er und seine Berater mögen sich an eine Schlüsselszene aus der Debatte mit Ségolène Royal 2007 erinnert haben. Damals spielte sie die Sentimental-Empörte; es ging um den Umgang mit Behinderten in der Schule, wenn ich mich recht erinnere. Das nahm sie so mit - so sollte es aussehen -, daß sie nah am Heulen war. Und Sarkozy bemerkte dazu kühl: Madame, so benimmt man sich nicht als Staatspräsident Frankreichs.
Das hätte er gestern wohl gern Hollande sagen wollen. Aber dessen Panzer hielt.
Er hatte seinerseits eine Strategie, und zwar - scheint mir - die von Muhammed Ali in Kinshasa: Den Gegner kommen, ihn sich ermüden lassen und dann zuschlagen. Gegen Ende wurde Hollande immer aggresiver, auch physisch lauter. Er wollte deutlich machen, daß jetzt er der Herr im Ring ist. Dazu gehörte auch dieses Dazwischenbrabbeln bei Sarkozys Schlußwort. Sie haben Recht, da hätten die Moderatoren einschreiten müssen. Aber gegen den künftigen Staatspräsidenten?
Zitat von FTT_2.0
Zitat Die meisten Beobachter sind sich einig, daß das Duell keinen klaren Sieg ergeben hat; manche - vor allem die linken, wie die Journalisten des Nouvel Observateur - sehen Vorteile bei Hollande.
Ich hingegen habe Sarkozy als klaren Sieger gesehen. Nicht deswegen, weil er mir politisch näher steht, sondern weil er mir souveräner und kompetenter erschien.
So geht es mir auch - und es zeigt nur wieder, wie verschieden man, je nach persönlicher Präferenz, solch eine Debatte wahrnimmt.
Sarkozy wirkte auf mich vor allem ernsthafter, verantwortungsvoller. Nach Hollandes lächerlicher Tirade "Moi, Président, moi Président, moi Président ..." bemerkte er trocken, es sei nicht leicht, Präsident zu sein.
Ich nehme Sarkozy ab, daß es ihm um die Probleme Frankreichs und Europas geht. Bei Hollande sehe ich nur eine engstirnige Ideologie, die dieser Mann, der sein ganzes Berufsleben lang immer nur Parteipolitiker gewesen ist, rücksichtslos in die Tat umsetzen wird, wenn er Präsident ist.
Zitat von FTT_2.0 Ein Problem in diesen Duellen - und Sie sprechen das ja an - ist, dass meistens einer der Duellanten den Favoritenbürde aufgenötigt bekommt. Hier war das Sarkozy. Die Bürde hing ihm wie ein medialer Mühlstein am Hals, weil alle Welt - und so ist das ja auch in Deutschland immer wieder - irgendwie davon ausgeht, dass der vermeintliche "Außenseiter" ein ungelenker Stotterhans ist, der beim Gang zum Podium stolpert und dabei noch seine Hose verliert. Sobald eine der drei Sachen nicht geschieht, wird das als Achtungserfolg gefeiert.
Schön gesagt. Ja, so ist es.
Aber hier kam eben die strategische Situation hinzu: Sarkozy mußte Hollande entlarven, ihn am Boden haben, wenn er das (äußerst) Unwahrscheinliche noch hätte schaffen wollen. Das ist ihm nicht gelungen. Insofern ist er in der Tat der Verlierer.
Ich bin gespannt, was er nach der passation des pouvoirs machen wird. Daß er sich in die Nationalversammlung wählen läßt, kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht sucht er sich jetzt sein Colombey-les-deux-églises und wartet, bis Hollande das Land so ruiniert hat, daß man ihn wieder ruft. 
Herzlich, Zettel
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