Zitat von Martin Mit der relativ großen Freizeit der Deutschen, dem Informationsaustausch über das Internet, gibt es sicher ein hohes Beteiligungspotential der Bürger. Gut umgesetzt hätte das durchaus Charm.
Ich habe, lieber Martin, bei dieser Diskussion ständig Déjà-vu-Erlebnisse.
Ich fühle mich zurückversetzt in die siebziger und frühen achtziger Jahre, wo das alles genauso diskutiert wurde. Basisdemokratie, Transparenz (damals "Öffentlichkeit"), Partizipation usw.
Die Grünen haben viel davon umzusetzen versucht mit Regularien, die heute fast vergessen sind: Jeder durfte am Pateitag teilnehmen, Delegierte gab es nicht. Alle Sitzungen sollten öffentlich sein. Es gab in gewissem Umfang das imperative Mandat. Die Bundestagsabgeordenten mußten nach zwei Jahren ihr Mandat für "Nachrücker" niederlegen (man konnte sie nicht zwingen; Schily tat es als, wenn ich mich recht erinnere, einziger nicht). Niemand sollte nach Ende seines Mandats wieder in den Bundestag gewählt werden können; man wollte vermeiden, daß es Berufspolitiker gibt. Und so fort.
Das alles war nicht praktikabel und ist schrittweise aufgegeben worden; geblieben ist allein die "Doppelspitze" und die "Trennung von Amt und Mandat", dh die beiden Vorsitzenden sind nicht zugleich Abgeordnete. Das hat lediglich den Effekt, daß ein paar mehr Leute sich im Glanz sonnen können, Spitzenpolitiker zu sein.
Warum funktionieren alle solche Ansätze nicht? Der Grund ist einfach: Die meisten Menschen haben weder die Zeit noch Lust, sich so weit in das politische Geschäft einzuarbeiten und dann ständig so viel in dieses zu investieren, daß sie konkurrenzfähig sind.
Sie machen das vielleicht eine gewisse Zeit als Studenten; sobald es ernst wird mit Beruf und Familie, lassen sie es sein. Die Folge ist, daß unter solchen Regularien eben gerade nicht "die Basis" bestimmt, sondern kleine Grüppchen von Aktiven, die allerdings von niemandem gewählt worden sind.
Das ist überall so und immer. Es liegt an den objektiven Gegebenheiten. Man kann sich nicht ein Volk von Politikern backen; von Menschen, die nichts in ihrem Leben wichtiger finden als sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Diese Einsicht hatten die Erfinder der repräsentativen Demokratie. Sie haben eingesehen, daß das Volk wählen sollte, seine Vertreter aber entscheiden.
Herzlich, Zettel
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