Zitat von Martin ... ich verstehe das Problem nicht.
Eben. Bitte um Entschuldigung, wenn das jetzt arrogant klingt - aber das ist es ja, was ich geschrieben habe: Die Piraten (und ihre Sympathisanten) verstehen das Problem nicht. Politik besteht nicht nur aus Abstimmungen, viel wichtiger ist das Ausarbeiten und Verhandeln von Lösungsalternativen. Die eigentliche Arbeit findet VOR der Abstimmung statt - und genau da hilft "liquid democracy" fast überhaupt nicht.
Zitat Hat der Stadtrat andere Entscheidungskriterien als das 'Volk'?
Nicht andere Kriterien, aber andere Möglichkeiten. Denn im Stadtrat sitzen Personen und Fraktionen, die sich unterhalten können und Kompromisse schließen können. Man kann in Verhandlungen einige Projekte abspecken, so daß sie zusammen realisiert werden können. Man kann sie zeitlich so anordnen, daß erst die einen realisiert werden und die anderen erst später. Oder man stellt fest, daß es für drei Projekte eine Mehrheit geben kann und die kriegen dann Priorität, und die anderen beiden werden abgelehnt.
Zwei Aspekte sind hier wichtig: 1.) Es ist ein langer Weg zwischen einer politischen Idee und einem abstimmungsreifen Projekt. Man kann als Idee einen Kindergarten oder eine Umgehungsstraße fordern. Aber es gibt viele Möglichkeiten, die dann konkret umzusetzen. MIt erheblichen Unterschieden bei den Kosten und der Akzeptanz bei den anderen Fraktionen. Umgehungsstraße Variante A mag nur bei einer Fraktion volle Zustimmung finden, während die anderen das komplett unsinnig finden. Aber Umgehungsstraße Variante B ist vielleicht nicht die Lieblingslösung der antragstellenden Fraktion, ist aber insgesamt mehrheitsfähig. Und das kann man nur in Verhandlungen ausloten, nicht in Abstimmungen. 2.) Verantwortung tragende Politiker können Abmachungen schließen und damit Mehrheiten ermöglichen. Eine Fraktion stimmt einem Projekt zu, daß sie eigentlich für wenig wichtig hält, daß sie vielleicht sogar ablehnt. Aber dafür bekommt sie die Mehrheit für ihr Lieblingsprojekt, weil dann andere mitstimmen, mit denen sie sich geeinigt hat. Solche Kompromisse können nur funktionieren, wenn die Abstimmenden miteinander verhandeln und hinterher zuverlässig zu ihren Versprechen stehen. Das geht in Volksabstimmungen grundsätzlich nicht, weil die Abstimmenden anonym sind und ihr künftiges Abstimmungsverhalten völlig offen bleibt.
Man kann diese Verhandlungsprozesse im Parlament mit Volksabstimmungen kombinieren, siehe Beispiel Schweiz. Aber wenn man wie die Piraten letztlich nur unselbständige Abstimmungsroboter ins Parlament schickt, die einfach nur das Basisvotum dort exekutieren - dann sind diese "Abgeordneten" nicht wirklich politikfähig.
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