Zitat von Noricus im Beitrag #12
Letzteres liegt aber auch daran, dass die nationalen Parlamente von der durch Lissabon eingeführten Möglichkeit der Subsidiaritätsklage vor dem EuGH keinen Gebrauch machen. Dabei ist dieses Klagerecht in Deutschland als Minderheitsrecht ausgestaltet, schon ein Viertel der Abgeordneten reicht dafür aus (Art. 23 Abs. 1a GG). Die bereits länger existierende Subsidiaritätsrüge ist in der Tat ein Feigenblatt.
Da das Subsidiaritätsprinzip (SP) also in der Praxis nicht wirklich zum Zuge kommt, wäre ich für eine Kompetenzverteilung, in der es seiner nicht bedarf. Denn das SP gilt ja logischerweise nicht für ausschließliche, sondern nur für geteilte Zuständigkeiten, von denen die meisten als konkurrierende Kompetenzen ausgestaltet sind (solche sieht auch das GG vor und zwar in Art. 72, 74). D.h. dass in diesen Bereichen die Länder keine Gesetzgebungszuständigkeit mehr haben, solange und soweit die Union legislativ tätig wird. Letzteres will das SP auf die Fälle beschränken, in denen eine unionale Regelung einen Mehrwert gegenüber einer Regelung durch die Einzelstaaten hat.
Wenn es eine strikte Kompetenzabgrenzung zwischen Union und Ländern gäbe, wäre das SP also überflüssig, weil die Subsidiaritätsprüfung quasi schon bei der Kompetenzverteilung pauschal stattgefunden hätte und nicht bei jedem einzelnen Rechtsakt vorzunehmen wäre. Wenn man dann einmal zu der Überzeugung gelangte, dass eine Kompetenz von den Ländern auf die Union übertragen werden sollte, dann müsste man halt die Verträge ändern.
Vielen Dank für Ihre Antwort, lieber Noricus. Die erste Frage welche sich mir stellt ist: Warum machen die nationalen Parlamente keinen Gebrauch von der Subsidiaritätsklage? Noch dazu, als der deutsche Bundestag europarechtlich und verfassungsrechtlich verpflichtet ist, auf die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips achten. Weil es keinen Grund zur Klage gibt? Die Gurkenkrümmungsverordnung und das Glühlampenverbot sprechen m.E. dagegen. Ich beziehe mich, natürlich auch aus Mangel an Fachkenntnis, auf eine, wie ich meine, interessante wissenschaftliche Stellungnahme für den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages von Prof. Dr. R. Alexander Lorz. Offensichtlich war dem Rechtsausschuss die Aussicht auf den Erfolg einer Klage beim EuGH grundsätzlich nicht ganz klar; ob ihn diese Stellungnahme allerdings mutiger gemacht hat, kann zwei Jahre danach wohl verneint werden.
Zitat von Wissenschaftliche Stellungnahme für den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages - Unterausschuß Europarecht - zum Thema „Prüfung des unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips“ Der EuGH ist aber seinerseits gem. Art. 19 Abs. 1 S. 2 des neuen EU-Vertrages (nur) für die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der europäischen Verträge zuständig. Daraus folgt, daß die Subsidiaritätsprüfung, soweit sie letztlich aufgrund einer Subsidiaritätsklage durch den EuGH erfolgt, eine juristische Prüfung darstellen muß. Schon für diese juristische Prüfung gilt jedoch, daß man angesichts der schwierig faßbaren Kri-terien des Subsidiaritätsgrundsatzes (dazu sogleich unter III.) von einem weiten Konkretisierungsspielraum der beteiligten Organe ausgehen muß – und zu den hier beteiligten Organen zählen nach dem Subsidiaritätsprotokoll und nach Art. 5 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 des neuen EU-Vertrages an vorderster Stelle die nationalen Parlamente, die nach dem ihnen ausdrücklich vom Vertrag erteilten Auftrag auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips achten sollen. Soweit die juristischen Kriterien der Subsidiaritätsprüfung daher für die Einbeziehung politischer Erwä-gungen Raum lassen, sind die nationalen Parlamente berechtigt und berufen, solchen Erwägun-gen Geltung zu verschaffen. Man kann die Subsidiaritätskontrolle insofern als eine juristische Prüfung mit allerdings erheblichen politischen Implikationen bezeichnen
Nach meinem Verständnis bedeutet dies, dass ein Klageerfolg gleichzeitig eine Verletzung des ausdrücklich vom Vertrag erteilten Auftrages auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu achten, darstellt. Also ist es nicht gerade unverständlich, wenn ein nationales Parlament lieber die Finger davon lässt.
Zitat von Wissenschaftliche Stellungnahme für den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages - Unterausschuß Europarecht - zum Thema „Prüfung des unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips“ Die für den fraglichen Gesetzgebungsakt gewählte Kompetenzgrundlage ist daher nach der Systematik von Art. 5 des neuen EU-Vertrages nicht „bei“, sondern vor der Subsidiaritätsprüfung zu untersuchen
Das ist die Aufgabe der nationalen Parlamente. Was aber wenn das Parlament, sozusagen im nach hinein, einen Mangel der Kompetenzgrundlage feststellt?
Zitat von Wissenschaftliche Stellungnahme für den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages - Unterausschuß Europarecht - zum Thema „Prüfung des unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips“ Damit ist allerdings nicht die verfahrensrechtliche Frage beantwortet, ob ein nationales Parlament einen Mangel der Kompetenzgrundlage mit der Subsidiaritätsrüge bzw. –klage angreifen kann. Denn die Notwendigkeit dieser Frage ergibt sich daraus, daß die nationalen Parlamente nicht zur umfassenden Erhebung von Nichtigkeitsklagen wegen Unzuständigkeit nach Art. 263 Abs. 2 AEUV berechtigt sind. Ein Mitgliedstaat, dessen Regierung einen Mangel der Kompetenzgrundlage für einen bestimmten Gesetzgebungsakt rügen will, kann – und muß – dafür den direkten Weg über Art. 263 Abs. 2 AEUV beschreiten. Ein nationales Parlament hingegen ist nach dem Wortlaut des Subsidiaritätsprotokolls nur rüge- bzw. klageberechtigt, soweit es um eine Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes geht. Fraglich ist daher, ob in prozeduraler Hinsicht auch ein solcher Gesetzgebungsakt als Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip im Sinne von Art. 8 SubsProt angesehen werden kann, dem es in Wahrheit schon an der Kompetenz- grundlage fehlt.
Nicht sehr ermutigend.
Was die Kompetenzbegrenzung von Union und Ländern anbelangt, stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Das wäre ein viel wirksameres Subsidiaritätsprinzip und könnte jenes, welches diesen Namen trägt, sehr gut ersetzen.
http://www.bundestag.de/bundestag/aussch..._Prof__Lorz.pdf
Viele Grüße, Erling Plaethe
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