Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #15
Gemäß Subsidiaritätsprotokoll Artikel 5 und 6 werden den nationalen Parlamenten bereits die Gesetzesentwürfe zur Stellungnahme zugesandt. Sie sind also während des Gesetzesbildungsprozesses eingebunden. Meiner Ansicht nach, liegt hier ihre Verantwortung hinsichtlich der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und nicht allein in der Rüge oder Klage.
Rüge und Klage sind die Möglichkeiten, das Subsidiaritätsprinzip durchzusetzen. Wobei die Rüge ja erst die Überprüfung des beanstandeten Rechtsaktes erforderlich macht, wenn sie von einer gewissen Anzahl von nationalstaatlichen Parlamenten erhoben wird. Ansonsten besteht nur eine Berücksichtigungs-, d.h. Kenntnisnahmepflicht. Wenn ein Mitgliedstaatsparlament nur eine isolierte negative Stellungnahme abgibt und dann nicht klagt oder wenigstens versucht, andere nationalstaatliche Parlamente zu mobilisieren, schöpft es seine Möglichkeiten nicht aus.
Zitat Wenn aus den Stellungnahmen keine Kritik hervorgeht oder dieselbe ausbleibt, kommt dies einer Zustimmung nahe (kongludentes Handeln). Natürlich kann theoretisch trotzdem geklagt werden, nur:
Zitat von Wissenschaftliche Stellungnahme für den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages - Unterausschuß Europarecht - zum Thema „Prüfung des unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips“ Nicht eingehaltene Verfahrensschritte können daher grundsätzlich auch nachgeholt werden, da das Subsidiaritätsprotokoll keine Ausschlußfristen kennt. Das gilt sowohl für das mögliche Nachschieben von Erwägungen durch die Kommission als auch für die denkbare verspätete Erhebung einer Subsidiaritätsrüge durch ein nationales Parlament. Freilich kann diejenige Institution, die sich insoweit eines prozeduralen Versäumnisses schuldig gemacht hat, eine inhaltliche Berücksichtigung ihres Vorbringens dann jedenfalls nicht mehr im gleichen Maße wie bei rechtzeitigem Handeln reklamieren.
Ich würde das Unterbleiben einer negativen Stellungnahme nicht als Zustimmung betrachten, denn sonst müsste man ja auch der Ansicht sein, dass das nicht negativ Stellung nehmende nationale Parlament hinsichtlich der Klage wegen estoppel präkludiert ist.
Für die Subsidiaritätsrüge gibt es in der Tat keine Ausschlussfristen, aber die Rüge zeitigt ja auch nur vergleichsweise sanfte Rechtsfolgen (nämlich maximal eine Überprüfungspflicht). Die Klage hingegen muss m.E. wegen des Verweises auf Art. 263 AEUV in der dort genannten 2-Monats-Frist erhoben werden.
Zitat Die Nichtigkeitsklage kann nur ein Mitgliedstaat erheben, kein nationales Parlament.
Wobei der Mitgliedstaat der Gesamtstaat ist, die Mitgliedstaaten es also in der Hand hätten, eine verfassungsrechtliche Regelung zu schaffen, der zufolge die Regierung eines MS Nichtigkeitsklage erheben muss, wenn das nationale Parlament dies beschließt (bzw. eine parlamentarische Minderheit dies beantragt).
Zitat Die nationalen Parlamente können nur hinsichtlich der Ausgestaltung und Anwendung der Gesetze klagen
Die nationalen Parlamente stellen mit ihrer Klage in Frage, dass die Union eine bestimmte, unter eine konkurrierende Kompetenz fallende Einzelmaterie besser regeln könne als die MS.
Zitat Dies zu tun, liegt aber ausserhalb des Subsidiaritätsprinzips, da die Vorrausetzung seiner Wirksamkeit die festgestellte, oder sogar hergestellte, Kompetenzgrundlage der Union ist.
Dies ist laut dem von Ihnen zitierten Gutachten ja gerade fraglich: Ein nationales Parlament kann mit der Subsidiaritätsklage unbestrittenermaßen geltend machen, dass der Regelungsgehalt eines bestimmten Unionsrechtsaktes auf nationaler Ebene mindestens genauso gut getroffen werden könne, dass der Union also in diesem Einzelfall die ihr grundsätzlich zukommende konkurrierende Kompetenz fehlt. Qua Größenschluss ließe sich nun argumentieren, dass das nationale Parlament in der Subsidiaritätsklage auch die generell fehlende Zuständigkeit der Union aufgreifen können müsste. Dem steht freilich der Wortlaut des Art. 263 AEUV ("wegen Unzuständigkeit") entgegen. Wie das Verhältnis zwischen Subsidiaritäts- und Nichtigkeitsklage ist, müsste der EuGH entscheiden, wenn er mit einer entsprechenden Rechtssache befasst wäre.
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