Zitat von Noricus im Beitrag #16
Rüge und Klage sind die Möglichkeiten, das Subsidiaritätsprinzip durchzusetzen. Wobei die Rüge ja erst die Überprüfung des beanstandeten Rechtsaktes erforderlich macht, wenn sie von einer gewissen Anzahl von nationalstaatlichen Parlamenten erhoben wird. Ansonsten besteht nur eine Berücksichtigungs-, d.h. Kenntnisnahmepflicht. Wenn ein Mitgliedstaatsparlament nur eine isolierte negative Stellungnahme abgibt und dann nicht klagt oder wenigstens versucht, andere nationalstaatliche Parlamente zu mobilisieren, schöpft es seine Möglichkeiten nicht aus.
Die Möglichkeiten sollten ausgeschöpft werden, natürlich, wenn eine Aussicht auf Erfolg besteht. Die negative Stellungnahme des nationalen Parlaments wird ja beantwortet, d.h. es ist absehbar ob ein inhaltlicher Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip nachgewiesen werden kann.
Zitat von Noricus im Beitrag #16 Ich würde das Unterbleiben einer negativen Stellungnahme nicht als Zustimmung betrachten, denn sonst müsste man ja auch der Ansicht sein, dass das nicht negativ Stellung nehmende nationale Parlament hinsichtlich der Klage wegen estoppel präkludiert ist.
Nein, warum? Es hat lediglich das Problem, dass es "eine inhaltliche Berücksichtigung ihres Vorbringens dann jedenfalls nicht mehr im gleichen Maße wie bei rechtzeitigem Handeln reklamieren" kann. Damit ist der Rechtsanspruch nicht verwirkt, es macht sich nur unglaubwürdig.
Zitat von Silence procedure - Wikipedia, the free encyclopedia A silence procedure (French: procédure d'approbation tacite; Latin: qui tacet consentire videtur, "he who is silent is taken to agree", "silence implies/means consent") is a way of formally adopting texts, often, but not exclusively in international political context
http://en.wikipedia.org/wiki/Silence_procedure
Zitat von Noricus im Beitrag #16 Wobei der Mitgliedstaat der Gesamtstaat ist, die Mitgliedstaaten es also in der Hand hätten, eine verfassungsrechtliche Regelung zu schaffen, der zufolge die Regierung eines MS Nichtigkeitsklage erheben muss, wenn das nationale Parlament dies beschließt (bzw. eine parlamentarische Minderheit dies beantragt).
Das haben sie in der Tat in der Hand, aber das hängt sehr davon ab, über wie viel Macht innerhalb der Gewaltenteilung das Parlament verfügt (pro Nichtigkeitsklage) oder eben nicht (kontra Nichtigkeitsklage). Weil die Exekutive eines Mitgliedslandes immer auch der Europäische Rat, die Europäische Kommission und, nicht zuletzt, der Rat der Europäischen Union ist. Den Proporz beim EuGH lasse ich hier mal weg, um es nicht zu übertreiben.
Zitat von Noricus im Beitrag #16 Die nationalen Parlamente stellen mit ihrer Klage in Frage, dass die Union eine bestimmte, unter eine konkurrierende Kompetenz fallende Einzelmaterie besser regeln könne als die MS.
Sie meinen, das tun sie per se? Das Gutachten sagt dazu:
Zitat Das Prinzip der Subsidiarität des Unionshandelns ist mithin keine Kompetenzverteilungs-, sondern eine Kompetenzausübungsmaxime (vgl. schon Koenig/Lorz, Stärkung des Subsidiaritätsprin-zips, in: JZ 2003, 167 ff.). Sein Einsatz setzt das Bestehen einer – nicht ausschließlichen – Zuständigkeit der Union voraus. Nur soweit eine solche Kompetenzgrundlage überhaupt existiert, kann eine Subsidiaritätsprüfung erfolgen
Ich habe meine Zweifel ob man von einer konkurrierenden Kompetenz sprechen kann.
Zitat von Erling Plaethe Dies zu tun, liegt aber ausserhalb des Subsidiaritätsprinzips, da die Vorrausetzung seiner Wirksamkeit die festgestellte, oder sogar hergestellte, Kompetenzgrundlage der Union ist.
Zitat von Noricus im Beitrag #16 Dies ist laut dem von Ihnen zitierten Gutachten ja gerade fraglich: Ein nationales Parlament kann mit der Subsidiaritätsklage unbestrittenermaßen geltend machen, dass der Regelungsgehalt eines bestimmten Unionsrechtsaktes auf nationaler Ebene mindestens genauso gut getroffen werden könne, dass der Union also in diesem Einzelfall die ihr grundsätzlich zukommende konkurrierende Kompetenz fehlt. Qua Größenschluss ließe sich nun argumentieren, dass das nationale Parlament in der Subsidiaritätsklage auch die generell fehlende Zuständigkeit der Union aufgreifen können müsste. Dem steht freilich der Wortlaut des Art. 263 AEUV ("wegen Unzuständigkeit") entgegen. Wie das Verhältnis zwischen Subsidiaritäts- und Nichtigkeitsklage ist, müsste der EuGH entscheiden, wenn er mit einer entsprechenden Rechtssache befasst wäre.
Es ist fraglich, da stimme ich Ihnen zu. Aber das Gutachten verweist in Bezug auf die Fraglichkeit,
Zitat Ein Mitgliedstaat, dessen Regierung einen Mangel der Kompe-tenzgrundlage für einen bestimmten Gesetzgebungsakt rügen will, kann – und muß – dafür den direkten Weg über Art. 263 Abs. 2 AEUV beschreiten. Ein nationales Parlament hingegen ist nach dem Wortlaut des Subsidiaritätsprotokolls nur rüge- bzw. klageberechtigt, soweit es um eine Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes geht. Fraglich ist daher, ob in prozeduraler Hin-sicht auch ein solcher Gesetzgebungsakt als Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip im Sinne von Art. 8 SubsProt angesehen werden kann, dem es in Wahrheit schon an der Kompetenz-grundlage fehlt.
auf Artikel 8 des Subsidiaritätsprotokolls der da lautet:
Zitat Artikel 8
Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für Klagen wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip zuständig, die nach Maßgabe des Artikels 230 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union von einem Mitgliedstaat erhoben oder entsprechend der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung von einem Mitgliedstaat im Namen seines nationalen Parlaments oder einer Kammer dieses Parlaments übermittelt werden.
Nach Maßgabe des genannten Artikels können entsprechende Klagen in Bezug auf Gesetzgebungsakte, für deren Erlass die Anhörung des Ausschusses der Regionen nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgeschrieben ist, auch vom Ausschuss der Regionen erhoben werden.
(Hervorhebung von mir) Also an der Regierung vorbei, kann ein nationales Parlament folglich nicht handeln. Oder sehen Sie das anders, lieber Noricus? Die Feststellung der Kompetenzgrundlage der Union wird aber durch die Regierung des Mitgliedstaates ganz entscheidend beeinflusst. Es ist also mehr als unwahrscheinlich, dass ein nationales Parlament, sollte es die Kompetenzgrundlage der Union angreifen wollen, die notwendige Unterstützung von seiner Regierung erhält. Viele Grüße, Erling Plaethe
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