Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #17 Die Möglichkeiten sollten ausgeschöpft werden, natürlich, wenn eine Aussicht auf Erfolg besteht. Die negative Stellungnahme des nationalen Parlaments wird ja beantwortet, d.h. es ist absehbar ob ein inhaltlicher Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip nachgewiesen werden kann.
Bei der Rüge kommt die Antwort aber von einem am Gesetzgebungsprozess beteiligten Organ, das sich ja hinsichtlich der Kompetenz für dieses konkrete Verfahren im Recht glaubt. Bei der Klage "antwortet" der EuGH. Das ist schon ein Unterschied: Denn dieser war am Gesetzgebungsprozess nicht beteiligt und ist somit nicht biased, jedenfalls nicht in der Form wie das belangte Organ.
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Zitat von Noricus im Beitrag #16 Ich würde das Unterbleiben einer negativen Stellungnahme nicht als Zustimmung betrachten, denn sonst müsste man ja auch der Ansicht sein, dass das nicht negativ Stellung nehmende nationale Parlament hinsichtlich der Klage wegen estoppel präkludiert ist.
Nein, warum? Es hat lediglich das Problem, dass es "eine inhaltliche Berücksichtigung ihres Vorbringens dann jedenfalls nicht mehr im gleichen Maße wie bei rechtzeitigem Handeln reklamieren" kann. Damit ist der Rechtsanspruch nicht verwirkt, es macht sich nur unglaubwürdig.
Zitat von Silence procedure - Wikipedia, the free encyclopedia A silence procedure (French: procédure d'approbation tacite; Latin: qui tacet consentire videtur, "he who is silent is taken to agree", "silence implies/means consent") is a way of formally adopting texts, often, but not exclusively in international political context
OK, Sie sprechen von der Rüge, ich von der Klage. Bei dieser gibt es wohl eine 2-Monats-Frist, da Art. 8 SubsProt auf Art. 263 AEUV verweist. "Qui tacet ..." ist übrigens kein allgemeiner, jedenfalls kein zu verabsolutierender Rechtsgrundsatz; im Völkerrecht gibt es zwar sehr wohl die acquiescence und den estoppel (der manchmal auch durch ein Schweigen ausgelöst werden kann), aber Art. 8 legt nahe (darüber sind wir uns ja einig), dass ein nationales Parlament auch trotz unterbliebener negativer Stellungnahme (innerhalb der 2-Monats-Frist) klagen kann. Bei einer verspäteten negativen Stellungnahme rührt deren inhaltlich nicht mehr gleiche Berücksichtigung vor allem daher, dass der Rechtsakt dann in der Regel schon erlassen ist und die entsprechenden Organe wohl einen Rechtsakt nicht nur allein wegen dieser verspäteten Stellungnahme ändern. Denn sie hätten ja auch einer rechtzeitig erfolgenden Stellungnahme nicht Folge leisten müssen. Und, ja, in folgendem Punkt gebe ich Ihren Ausführungen Recht: Ein zu spät rügendes Parlament ist natürlich nicht mehr in dem Maße schutzwürdig wie ein rechtzeitig rügendes Parlament.
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Zitat von Noricus im Beitrag #16 Die nationalen Parlamente stellen mit ihrer Klage in Frage, dass die Union eine bestimmte, unter eine konkurrierende Kompetenz fallende Einzelmaterie besser regeln könne als die MS.
Sie meinen, das tun sie per se? Das Gutachten sagt dazu:
Zitat Das Prinzip der Subsidiarität des Unionshandelns ist mithin keine Kompetenzverteilungs-, sondern eine Kompetenzausübungsmaxime (vgl. schon Koenig/Lorz, Stärkung des Subsidiaritätsprin-zips, in: JZ 2003, 167 ff.). Sein Einsatz setzt das Bestehen einer – nicht ausschließlichen – Zuständigkeit der Union voraus. Nur soweit eine solche Kompetenzgrundlage überhaupt existiert, kann eine Subsidiaritätsprüfung erfolgen
Ich habe meine Zweifel ob man von einer konkurrierenden Kompetenz sprechen kann.
Das tun Europarechtler aber . Weshalb haben Sie Zweifel? Konkurrierende Kompetenz bedeutet: Die Mitgliedstaaten sind zur Gesetzgebung berechtigt, soweit und solange die Union ihre vorhandene Zuständigkeit nicht ausübt. Gemäß dem Subs.-Prinzip darf die Union diese ihre Zuständigkeit aber nur ausüben, wenn sie die betreffende Materie in irgendeiner Weise besser regeln kann als die Mitgliedstaaten. Die Anwendung des Subs.-Prinzips setzt also natürlich eine abstrakt vorhandene Zuständigkeit der Union voraus. Wenn es eine solche nicht gibt, ist die Frage nach der Subsidiarität müßig. Nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 EUV ("nicht ausschließliche Zuständigkeit") gilt das Subs.-Prinzip auch für die nicht konkurrierenden geteilten (Art. 4 Abs. 3 und 4 AEUV) und die ergänzenden Kompetenzen (Art. 6 AEUV); seine praktische Bedeutung dürfte in diesen Materien aber gering sein, weil bei ihnen die Zuständigkeitsausübung durch die Union die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten nicht verdrängt.
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Zitat Artikel 8
Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für Klagen wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip zuständig, die nach Maßgabe des Artikels 230 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union von einem Mitgliedstaat erhoben oder entsprechend der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung von einem Mitgliedstaat im Namen seines nationalen Parlaments oder einer Kammer dieses Parlaments übermittelt werden.
Nach Maßgabe des genannten Artikels können entsprechende Klagen in Bezug auf Gesetzgebungsakte, für deren Erlass die Anhörung des Ausschusses der Regionen nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgeschrieben ist, auch vom Ausschuss der Regionen erhoben werden.
(Hervorhebung von mir) Also an der Regierung vorbei, kann ein nationales Parlament folglich nicht handeln. Oder sehen Sie das anders, lieber Noricus? Die Feststellung der Kompetenzgrundlage der Union wird aber durch die Regierung des Mitgliedstaates ganz entscheidend beeinflusst. Es ist also mehr als unwahrscheinlich, dass ein nationales Parlament, sollte es die Kompetenzgrundlage der Union angreifen wollen, die notwendige Unterstützung von seiner Regierung erhält.
Die Regierung ist aber verpflichtet, die Klage des Parlaments zu überreichen (siehe § 12 Abs. 3 IntVG) und ist gleichsam nur Bote. Es kommt ihr kein Ermessen zu, ob sie die Klage überreicht oder nicht. Weigert sich die Bundesregierung, die Klage zu überreichen, wäre das ein Fall für eine Organklage vor dem BVerfG.
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