Ich möchte noch einige Gedanken zum Tugendwächter-Vorwurf loswerden. Ich fürchte nämlich, dass dieser zur liberalen Diskreditierungs-Gondelkanone wird, wie sie im linken Arsenal die Modelle "Rechtes Gedankengut!", "Sarrazinismus!", "Kaltherziger Turbokapitalismus!" etc. darstellen.
Man könnte den Spieß hier im Übrigen ganz leicht umdrehen. Sind nicht diejenigen Tugendwächter, die für maximale Freiheit ihres Tieres plädieren? Passt das nicht in den linken Zeitgeist, der dem als schwach Imaginierten (in casu: Hund) Privilegien verschaffen will, die der Herrschaftsausübende (in casu: Mensch) zu dulden hat?
Von Tugendwächterei kann man doch nur dann sprechen, wenn einem diskretions- und dispositionsfähigen Erwachsenen eine Verhaltensweise verboten werden soll, die allenfalls ihm selbst zum Nachteil gereichen kann. Demnach stünden Rauchverbote in Privatwohnungen oder das Verbot, dem Hund im eigenen Haus und Garten maximale Freiheit zu gewähren, im Ruche der Tugendwächterei. Meines Erachtens ist auch das Verbot, Cannabis zum eigenen Gebrauch zu erwerben und zu besitzen, Tugendwächterei. Denn das Problem der Beschaffungskriminalität wird sich bei diesem relativ billigen Suchtmittel kaum stellen. Dass es für manche Menschen eine Einstiegsdroge darstellt, ist unbestritten, aber der Umstieg von Hanf auf etwas anderes liegt immer noch in der freien Entscheidung des Konsumenten. Ebenso sehe ich eigentlich nicht, warum es eine Helmpflicht für Motorradfahrer geben muss. Disclosure: Ich konsumiere keine illegalen Drogen und fahre nicht Motorrad.
Aber ich trinke gelegentlich Bier oder Wein. Und möchte das weder mir noch anderen verwehren. Doch ich finde es richtig, dass der Staat es verbietet, ab einem gewissen Promillepegel ein Kfz zu lenken. Bin ich jetzt deshalb ein illiberaler, staatsgläubiger Tugendwächter? Vermutlich gehen die meisten Trunkenheitsfahrten folgenlos aus. Dennoch hat m.E. niemand das Recht, sein Interesse, möglichst bequem nach Hause zu kommen, über das Interesse der anderen Verkehrsteilnehmer an maximal aufmerksamen und reaktionsschnellen Straßenmitbenutzern zu stellen.
Ich verstehe auch nicht, warum die Tätigkeit des Gesetz- oder Verordnungsgebers bei vielen Liberalen zu einer - wie mir scheinen will - reflexartigen Abwehrreaktion führt. Freilich: Wenn alle Menschen vernünftig wären und Verständnis für die Interessen ihrer Mitmenschen hätten, bräuchten wir so gut wie gar keine Gesetze. Aber wir Menschen sind halt nicht so, jedenfalls nicht immer. Und in einer pluralistischen Gesellschaft, in der Recht und Sitte nicht deckungsgleich sind und auch nicht sein sollen, kann ich nicht erwarten, dass jeder Mitmensch meine Meinung über sozialädaquates Verhalten teilt. Ich finde es sozial inädaquat, einen Hund, der - was der Halter weiß - Menschen anspringt und anknurrt, auf öffentlichen Wegen unangeleint herumlaufen zu lassen. Die Der-tut-nichts-der-will-doch-nur-spielen-Fraktion ist ganz offenkundig anderer Ansicht. Und ob das Kfz-Lenken nach zwei in 6 bis 7 Stunden getrunkenen Mass Bier noch vertretbar ist, wäre wohl auch ein gesellschaftliches Streitthema, wenn der Gesetzgeber diesbezüglich keine Entscheidung getroffen hätte. Wie sollte es da ohne Rechtsetzung zu einem Interessenausgleich kommen? Durch das freie Spiel der Kräfte? Wie soll das vor sich gehen? Wären wir da nicht letztlich beim Faustrecht? Oder - sit venia verbo - beim "gesunden Volksempfinden"?
In einem freiheitlichen Rechtsstaat ist dem Bürger all das erlaubt, was ihm nicht ausdrücklich verboten ist. Das hindert niemanden daran, rechtmäßige Verhaltensweisen für sich selbst abzulehnen und sich diese also selbst zu untersagen. Aber dies kann und darf man eben nicht von anderen erwarten. Ist man erst dann ein guter Liberaler, wenn man - vom Hund gebissen - zwar vor Schmerz schreit, aber sich wenigstens darüber freut, dass der Gesetzgeber dem Hundehalter keine Leinenpflicht vorgeschrieben hat?
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