Zitat von LD im Beitrag #16Die vom Verfassungsrat vorgeschlagene Abstimmung entspricht ganz sicher nicht den Standards, die man an einen liberalen, religiös neutralen und demokratischen Staat stellen muss. Und wäre ich Ägypter, stünde ich ganz sicher auch auf der Straße um dagegen zu protestieren.
Aus der Außensicht sehe ich die Lage aber deutlich gelassener als anscheinend die meisten hier. Sicherlich nicht, weil ich ein Anhänger der Muslimbrüderschaft bin oder Mursis demokratischen Äußerungen vertraue, sonder weil ich weiß, dass auch die Muslimbrüder realpolitischen Zwängen ausgeliefert sind. Und im Gegensatz zu den Salafisten handelt es sich bei den Muslimbrüdern größtenteils um Realisten, wenn auch natürlich machtbewusste.
Ich stimme Ihnen weitgehend zu, lieber LD, und danke Ihnen für diesen lesenswerten Beitrag. Ich halte allerdings die Lage für offener, als Sie es, glaube ich, tun.
Daß die Moslembrüder wie die Salafisten ein von der Scharia bestimmtes Ägypten wollen, ist eindeutig. Man kann das hier nachlesen; und in der kaum vier Wochen alten Erklärung, die ich hier zitiere.
Die Frage - die Sie zu Recht aufwerfen - ist, wieweit sich gegenüber diesen Zielen unter dem Druck der Verhältnisse eine pragmatische Politik durchsetzt.
Ich weiß das nicht. Ich halte die Entwicklung für völlig offen. Es gibt historische Beispiele für beides: Auch bei Hitler dachten viele, man werde ihn "einrahmen" können, er werde unter dem Druck der Gegebenheiten seine Ziele aus "Mein Kampf" aufgeben usw. Nach 1945 glaubten viele an Demokratien auch in Osteuropa, die ja auch ein paar Jahre lang existierten. Als Castro die Macht übernahm, war er in den USA populär, weil die meisten keine kommunistische Diktatur, sondern einen linksliberalen Staat erwarteten. - Andererseits gibt es Fälle von Radikalen, die an der Macht gemäßigter wurden. Im Augenblick fällt mir allerdings nur Ortega ein. Vielleicht noch einige Führer afrikanischer Länder wie Touré und Nkrumah.
Zitat von LD im Beitrag #16Heute hingegen leben wir aber – vielen voreiligen Nachrufen auf die Supermachtstellung der USA zum Trotz – in einer von der USA als Hegemonialmacht dominierten Welt, wobei Ägypten ganz besonders auf die (wirtschaftliche) Unterstützung der USA angewiesen ist. Die Handlungsmöglichkeiten der Islamisten sind dadurch in vielen Bereichen beschränkt. Zwar haben die Vereinigten Staaten ein starkes Interesse an Stabilität im Mittleren Osten – was für Ägypten als einer der größten und stärksten Staaten dieser Region ganz besonders gilt – weshalb sie Mursi wegen seiner bisherigen Aktionen noch nicht den Geldhahn abdrehen werden. Ob dies auch für die Einrichtung einer islamischen Diktatur gelten würde, bezweifle ich jedoch stark.
Auch da bin ich nicht sicher. Die USA haben früher Diktaturen unterstützt; warum soll das Obama nicht jetzt auch tun? Ich fand es sehr beunruhigend, daß Hillary Clinton Morsi ostentativ gelobt und die Feuerpause gemeinsam mit ihm verkündet hat. Daß ihn das innenpolitisch aufwerten würde, liegt ja auf der Hand.
Zitat von LD im Beitrag #16Und auch die Muslimbrüder wissen, dass die wirtschaftliche Entwicklung für den allergrößten Teil der Ägypter ein viel wichtigerer Punkt ist, als Bürgerrechte oder Religion. Schließlich war die Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Stagnation stärkster Auslöser für den arabischen Frühling, und nicht in erster Linie der Wunsch nach bürgerlichen Freiheiten, auf den wir uns im Westen auf Grund unserer kulturellen und historischen Prägung manchmal vorschnell fokussieren.
Das entspricht auch meinem Informationsstand. Ich glaube auch, daß es mit einer islamistischen Republik Ägypten wirtschaftlich weiter bergab gehen würde. Aber bis die Bevölkerung das merkt, könnte es für einen demokratischen Wechsel schon zu spät sein. Es bliebe dann nur eine erneute Revolution, wie sie im Iran im Sommer 2009 versucht worden ist.
Zitat von LD im Beitrag #16 Zumal das Beispiel Iran zeigt, dass die Menschen den vermeintlichen Segnungen eines islamischen Staates wesentlich kritischer gegenüberstehen, wenn sie diese erst Mal real erfahren haben.
Dieses Beispiel, lieber LD, zeigt aber auch, daß ihnen das nicht viel hilft. Wenn die Moslembrüder erst einmal fest im Sattel sitzen, dürfte ein demokratischer Machtwechsel ausgeschlossen sein. Eine islamistische Republik kann nicht von Säkularen regiert werden.
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