Zitat von r.nitsch im Beitrag #20 Beim Verfassungsgericht hört es dann aber mit der Dummheit bitte auf, ja? Oh nein, leider nicht: http://sciencefiles.org/2012/12/27/ein-f...all-geschlecht/
Der Beitrag von Susanne Baer ist wirklich bemerkenswert; und er kommt gleich zur Sache:
Zitat von Susanne Baer, "Hat das Grundgesetz ein Geschlecht?" Die Wissenschaft steht immer vor der Aufgabe, die Öffentlichkeit über die Begriffe im besten Sinne aufzuklären; und insbesondere die Gender Studies können es sich als junge Bewegung in der Wissenschaft nicht leisten, ungenau zu sein. Das ähnelt der Situation von Frauen in klassisch männlichen Berufsfeldern: Was andere sich erlauben können, geht einfach nicht. Daher soll dieser Beitrag aufklären, was Gender im Recht bedeuten kann.
Diese Aufgabe der Wissenschaft ist mir neu. Woher nimmt die Wissenschaft eigentlich die Gewissheit den "besten Sinn" zu kennen? Als Mann, mit patriarchalen Strukturen gut vertraut, ist mir dieser Ansatz erst einmal vertraut paternalistisch, oder genderspezifisch gesprochen: antiemanzipatorisch. Aber es geht ja nicht so sehr um die Wissenschaft, sondern um feministische Rechtswissenschaft:
Zitat von Susanne Baer, "Hat das Grundgesetz ein Geschlecht?" Mit Hilfe der Gender Studies lassen sich derartige Überlegungen präzisieren. Danach hat Recht immer etwas mit Gender zu tun, weil es auf eine Welt reagiert, in der Männer und Frauen ständig als solche wahrgenommen werden und leben. Gender hat auch deshalb viel mit Recht zu tun, weil Menschen mit Hilfe des Rechts eine Welt zu gestalten suchen, historisch weithin diskriminierend, heute oft emanzipatorisch orientiert. Recht erweist sich damit als Mittel der Macht – es ist zutiefst ambivalent und auf sehr komplexe Weise wirksam. Wie das genau funktioniert, ist Gegenstand der feministischen Rechtswissenschaft.
Und die Erkenntnisse werden dann genutzt um:
Zitat von Susanne Baer, "Hat das Grundgesetz ein Geschlecht?" Auch heute geht es daher darum, Strukturen und Handlungsweisen zu verändern, um Wissenschaft für alle Fragen, Vorgehensweisen und Akteure zu öffnen, die daran produktiv Anteil nehmen wollen und können. Die Frage nach Gender und Recht ist damit nicht zu trennen von der Frage nach den Politiken des Rechts und der Rechtswissenschaft: Wer macht was mit welchem Erkenntnisinteresse – und wie lässt sich das besser machen?
Handlungsweisen sollen also geändert werden. Bisher wurden klar definierte Handlungen durch das Recht sanktioniert, nun scheint es darum zu gehen, bestimmte Handlungen, im "besten Sinne", zu normativen, vorgeblich aufklärerisch, zu erklären. Der beste Sinn ergibt sich aus Gender = Recht = Gleichheit.
Zitat von Susanne Baer, "Hat das Grundgesetz ein Geschlecht?" Eine Frage nach Gender ist daher auch nicht etwa die Frage nach Frauen oder nach Frauen und Männern. Es ist – emanzipatorisch – die Frage nach geschlechtsbezogenen Ungleichheiten, die wesentlich und mehrheitlich Frauen benachteiligen und Männer bevorteilen. Gleichheit ist kein symmetrisches Recht, sondern ein Recht gegen spezifische Asymmetrien.
Und die aufzudecken folgt zwar keiner Beliebigkeit aber die Liste ist noch nicht abgeschlossen.
Zitat von Susanne Baer, "Hat das Grundgesetz ein Geschlecht?" Es geht also um politisch thematisierte, aber eben auch analytisch relevante Dimensionen der strukturell wirkenden Ungleichheit, die auch in Menschenrechtskatalogen als verbotene Differenzierungsmerkmale geächtet sind[3]: Der Rassismus in all seinen Formen, einschließlich des Antisemitismus und heute des Antiislamismus; Heteronormativität oder Heterosexismus als Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität und des Geschlechts; es geht in den Gender Studies zudem um Behinderung – politisch emanzipatorisch gesprochen: um Enthinderung, also die Kritik an Körpernormen oder sonstigen Vorstellungen von Normalität, die sich oft auf das Alter beziehen; und es geht um Prekarisierung – also die strukturellen Ausgrenzungen, die ökonomisch organisiert sind – die Liste ist nicht beliebig, aber auch nicht abgeschlossen.
Nachdem das Aufgabengebiet grob umrissen ist, stellt sich die Frage: Wo beginnen?
Zitat von Susanne Baer, "Hat das Grundgesetz ein Geschlecht?" Die Verbindung zwischen Gender und Verfassungsrecht beschränkt sich daher nicht auf den Gleichheitssatz, genauer: das Grundrecht auf Gleichbehandlung und gegen Willkür und Diskriminierung. Es geht vielmehr um die gesamte Palette der Grund- und Menschenrechte, also politische, zivile, ökonomische und soziale Rechte. Zudem ist Gender ein Aspekt des Verfassungsrechts, wo es um Demokratie und demokratisch legitimierte Institutionen, um Föderalismus und Mehrebenensysteme oder um Finanzverfassungsrecht geht. Wir sprechen schließlich über die Welt, nicht über eine Nische. Recht ist allerdings zunächst einmal Text. Daher nimmt die Antwort auf die Frage nach Gender im Verfassungsrecht ihren Ausgangspunkt bei den Regeln, die ausdrücklich Geschlechterverhältnisse, gegebenenfalls auch im Zusammenhang mit weiteren Ungleichheiten, normieren.
Abgesehen von dem Wunsch die Verfassung neu schreiben zu wollen, hat Susanne Baer aber noch eine Institution im Visier: Die Ehe.
Zitat von Susanne Baer, "Hat das Grundgesetz ein Geschlecht?" Es liegt nahe, im Verfassungsrecht auch die Regeln zu berücksichtigen, in denen zwar nicht ausdrücklich, aber doch offensichtlich anerkannt vergeschlechtlichte Verhältnisse geregelt werden. Das betrifft offensichtlich Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, der „Ehe und Familie“ unter den „besonderen Schutz des Staates“ stellt. Hier geht es um das Private und damit in unserer Kultur um den Ort des Weiblichen, seit der Industriellen Revolution die Sphäre, in der nichts mehr produziert wird, sondern in der zumeist Frauen unbezahlt die Reproduktions- oder Sorgearbeit, die care-Arbeit, verrichten. Die Schutzbereiche der Grundrechte sind also geschlechtlich codiert, hier als weibliche Sphären Ehe und Familie.
Diese Verfassungsrichterin nimmt die Artikel sehr ernst und ich ihre Verbissenheit und Radikalität. Beiträge wie der von Susanne Berg sollten nicht aus der Feder einer höchsten Richterin kommen. Schließlich ist ihr gesamtes Theoriegebäude einem Missverständnis, einem Irrtum geschuldet. Das scheint sie aber nicht anzufichten und genau hier liegt ihr Problem welches auch unseres werden kann.
Zitat von http://de.wikipedia.org/wiki/Artikel_(Wo...ff_und_Terminus Der Artikel heißt in allen Sprachen der abendländischen (Schul-)Grammatiktradition analog, also engl./franz. article, ital. articolo usw. Nur in der deutschen Schulgrammatik heißt er Geschlechtswort. Dieser Ausdruck beruht auf einem Missverständnis. In der Schulgrammatik ist es seit der Antike üblich gewesen, das Genus eines Substantivs (da es an diesem selbst oft nicht erkennbar ist) durch Kombination mit einem Determinativ zu illustrieren, das das Genus durch Kongruenz mit dem Substantiv aufwies. So finden sich in lateinischen Grammatiken des Altertums Beispiele wie haec virtus "diese Tugend", um zu illustrieren, dass das Substantiv virtus feminines Genus hat. Dies ist reine Schulgrammatikerkonvention; stattdessen hätte man auch ein kongruierendes Adjektivattribut verwenden können. Daraus haben deutsche Schulgrammatiker den Fehlschluss gezogen, es sei die Funktion des Artikels, das Genus eines Substantivs anzuzeigen, und ihn deshalb Geschlechtswort genannt. Das ist nicht die Funktion des Artikels. Seine Hauptfunktion liegt in der Opposition von der vs. ein, also der Markierung von (In-)Definitheit, beschlossen. Das Genus des Bezugsnomens weist er - ebenso wie viele andere vom Bezugsnomen abhängigen Wörter - nur zu dem Zweck auf, eben diese Abhängigkeit zu markieren.
Viele Grüße, Erling Plaethe
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