Ganz ehrlich, ich habe den Artikel auf Zeit Online nicht verstanden. Mehr noch, ich hatte beim Lesen den Eindruck, daß die Autoren am Ende weitschweifig für sich behalten haben, was sie eigentlich und überhaupt hatten sagen wollen. Die Kommentarlage unter dem Artikel scheint zu zeigen, daß es nicht nur mir so geht; es wird zwar erbittert über PC gestritten, auf das von den Autoren geschriebene aber geht so gut wie niemand ein. Das ist reine Laberpsychologie. Was nicht paßt, wird passend gemacht. Es stimmt immer alles, aber natürlich auch das Gegenteil. Und dann diese ungehemmte Pathologisierung: wir alle sind narzißtisch gestört. Entweder gerade gekränkt, oder wütend, oder in der narzißtischen Abwehr gefangen, überkompensierend, oder narzißtische Zufuhr genießend (wenn man z. B. Erfolge feiert). Ach ja, und wenn wir dennoch gesund und gesellschaftlich gut integriert "erscheinen", dann sind wir "Normopathen". 
Leider geht der gesellschaftliche Veränderungsanspruch mancher Psychologisierer wohl tatsächlich auf S. Freud zurück, der sich, und das sollte man ihm im Kontext seiner Zeit auch nicht absprechen, als Befreier in der Tradition der Aufklärung gesehen haben wird und aus seinen "gesamtgesellschaftlichen Ambitionen" nie einen Hehl gemacht hat. Die Neigung zur politischen Psychologisierung scheint mir aber auf die 68er zurückzugehen, die Freuds Ideen in ihre "Theorien" zur gesellschaftlichen Befreiung munter und eklektisch eingebaut haben. Nicht zufällig, wenn ich das richtig erinnere, hat Bossi auch in jener Zeit im Fall Bartsch die Berücksichtigung psychiatrischer Gutachten und schlimme Kindheiten in der Rechtsprechung präzedenzfallhaft durchgesetzt (was richtig war). Heute sprechen im Jugendstrafrecht Pädagogen in Richterroben Recht (was grundfalsch ist).
In sofern halte ich diese Tendenz zur politischen Psychologisierung, die Sie, lieber Zettel, so schön aufs Korn nehmen, lediglich für eine erwartbare Fortsetzung dieser Entwicklung. Und aus Sicht der Ideologen nur für folgerichtig. Und da sind wir noch längst nicht am Ende der Fahnenstange, fürchte ich. Mal sehen, wann das erste "Psychogramm" über Rainer Brüderle zu seiner polymorph-perversen, libidinös-narzißtischen Überkompensation seiner durch orale Frustration entstandenen Fixierung auf die weibliche Brust erscheint. Viele Grüße, Andreas Döding
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