Lieber Diarra,
sie schreiben: Zitat Dass so viele afrikanische Staaten als korrupt gelten, hat genau damit zu tun. Es ist ein Verständnis von "Recht", das sich aus engen Familienbanden ergibt. Alle, die einer Familie oder einem Clan entstammen, müssen zusammenhalten. Tun sie das nicht, gelten sie als illoyal und eben als korrupt.
Wir haben es hier also mit etwas zu tun, das in den Augen der malischen Gesellschaft nicht verurteilenswert ist, sondern im Gegenteil richtiges, ja moralisches Verhalten.
Ich frage mich, inwieweit das auch für andere Fälle von - aus unserer Sicht - Korruption gilt. Wer Macht hat, der nutzt sie dazu, sich Vorteile zu verschaffen - warum sonst hätte er sich um diese Macht bemüht? Der Polizist, der Richter hat (vielleicht ja selbst durch Bestechung) eine Pfründe erobert, jetzt nutzt er sie.
In Afghanistan werden die Gouverneursposten für viel Geld verkauft; natürlich möchte der Gouverneur diese Investition wieder hereinholen und einen Ertrag erwirtschaften, indem er sich für seine Entscheidungen von deren Nutznießern bezahlen läßt.
Vor mir liegt das Buch "Quer durch Afrika", der Reisebericht von Gerhard Roth, der von 1865 bis 1867 die Sahara durchquerte; östlich von Mali, von Tripoli in ziemlich gerader Linie nach Lagos. Er hatte als wichtigstes Gut seiner kleinen Expedition Geschenke dabei und verschenkte im Lauf der Reise auch noch einen großen Teil seiner Ausrüstung.
Das Gebiet gliederte sich damals - wie wahrscheinlich auch Mali - in zahlreiche kleine Sultanate; Duodezfürstentümer würden wir sagen, wie Rhadames, Fesan mit seiner Hauptstadt Mursuk, den Tebu-Staat Kauar und andere. Formal im Norden mehr oder weniger zum Osmanischen Reich gehörend, aber faktisch weitgehend autonome Vasallen; mit jeweils ein paar tausend bis vielleicht hunderttausend Einwohnern.
Bei seiner Ankunft in Bilma, der Hauptstadt des Sultanats Kauar, geschah zum Beispiel Folgendes: Roth und seinen Begleitern wurde ein Hütte als Wohnung zugewiesen. Er suchte dann den Sultan auf, der "vor seinem Haus im Sand hockte". Roth überreichte seine Pässe und Empfehlungsschreiben, aber es stellte sich heraus, daß weder der Sultan noch jemand an seinem Hof lesen konnte, was man aber zu verbergen suchte. Der Sultan verhielt sich sehr ungnädig. Dann weiter:Zitat Um den Sultan günstiger zu stimmen, schickte ich ihm, obwohl es nicht üblich ist, die Geschenke sofort abzugeben, gleich am folgenden Tat zwei Hüte Zucker, zwei Rasiermesser, einen Turban, einen Dolch, Rosenöl, sechs Taschentücher, eine Harmonika und zehn Taler in Geld.
Der Sultan aber verhöhnte Roths Diener, die diese Geschenke übergeben sollten, und verlangte hundert Taler und einen Tuchburnus. Roth hätte ohne das Einverständnis des Sultans nicht weiterreisen können; also "fügte ich einen dunkelblauen, mit Gold bestickten Tuchburnus hinzu". Darauf wurde der Sultan Maina Abadji gnädig, ja großzügig.
Der Sultan verhielt sich nicht anders als der Richter, den Sie, lieber Diarra, schildern. Er hatte Macht; wozu anders, als von ihr Gebrauch zu machen?
Das sind traditionelle Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich über die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende bewährt haben. Warum sollte man sich ändern, solange man damit durchkommt? Sehen Sie einen Weg, wie das überhaupt gehen könnte?
Herzlich, Zettel
Korrektur: "westlich" --> "östlich"
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