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Noricus
Beiträge: 2.362
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02.02.2013 09:24 |
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RE: Teil 2: Das Krebsgeschwür der Korruption
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Antworten
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Zitat von Techniknörgler im Beitrag #21 Wie hat das eigentlich der Westen geschafft? Wurde das nicht schon bis zum Umfallen von irgend jemanden analysiert?
Meine Vorredner haben sicher allesamt Recht. Ich möchte hier nur drei, einander z.T. durchaus zuwiderlaufende Entwicklungen hervorheben. Das Christentum des Mittelalters hat den Einzelnen in gewisser Weise aus vorchristlichen gesellschaftlichen Strukturen herausgelöst. (Zodac behandelt das im unmittelbar vorangehenden Kommentar unter einem ganz materiell-diesseitigen Gesichtspunkt.) Bei Konflikten zwischen der Anordnung eines Clan-Oberhauptes und den Geboten der Religion, authentisch interpretiert durch die Kirche, hatte der Einzelne natürlich seinem Seelenheil den Vorzug zu geben. Die Kirche entzog somit den Menschen dem totalen Zugriff der Gesellschaft und des Staates, um selbst einen totalen Zugriff begründen zu können. Luther bekämpfte dann ja bekanntlich die Deutungshoheit der Kirche, sodass letztlich das (an der Heiligen Schrift gebildete) Gewissen des Einzelnen den Vorrang gegenüber allen gesellschaftlichen Institutionen erlangte. Somit hatte sich der Einzelne aus der Gesellschaft emanzipiert.
Der Absolutismus hat dann den Staat aus der Gesellschaft emanzipiert. Nicht mehr die Partikularinteressen maßgeblicher gesellschaftlicher Kräfte (des Erbadels) sollten das Staatshandeln beeinflussen; dieses gewann vielmehr ein Eigenleben, Begriffe wie "Staatsräson" waren geboren. Die Entität Staat verfolgte somit ihre eigenen Ziele, die sich nicht mehr unbedingt mit den Zielen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe deckten. Zugleich verlor der Adel sein ererbtes Anrecht auf bestimmte Staatsämter; das Leistungsprinzip hielt Einzug in die Verwaltung. Freilich wird man den Absolutismus ex post wohl eher negativ bewerten; man darf dabei aber nicht übersehen, welche Rolle er in seiner Zeit für eine Rationalisierung und Objektivierung des Staatshandelns gespielt hat.
Schließlich gilt noch zu beachten, dass die römisch-germanische Tradition einen Despotismus orientalischen Ausmaßes gar nicht zugelassen hätte. Der Herrscher war hier immer in eine Rechtsordnung eingebunden, die er nicht mit einer willkürlichen Entscheidung aufheben konnte. Anders formuliert: Den Keim des Rechtsstaates trugen die europäischen Staaten schon seit geschichtlich überlieferter Zeit in sich; die moderne Rechtsstaatsidee ist mithin keine creatio ex nihilo.
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