Wie gehen Malier miteinander um? Um diese Frage zu beantworten, müsste ich ein Buch schreiben. Kurz gesagt: respektvoller aber auch respektloser. Respektvoller: Kommen Erwachsene in einen Hof, stehen die Kinder auf und bieten ihnen einen Stuhl an und reichen ihnen einen Becher mit Wasser. Man grüßt sich noch, auch Fremde tun dies untereinander. Das Alter wird respektiert. Der Fremde ist willkommen, man lädt ihn gerne zu sich ein. Das Leben findet auf der Straße statt und ist bunt und lebendig. Wenn man einen Malier fragt, wie´s ihm geht, wird er erst einmal sagen: Alles Bestens! Natürlich stimmt das in den seltesten Fällen und ich habe es lange als "verlogen" empfunden, aber es erleichtert die Kommunikation ungemein, wenn man feste Begrüßungsformeln hat und nicht gleich mit den ganzen Problemen des Gegenübers konfrontiert wird. Das ist ein Zeichen der (Scham-)Kultur: Höflichkeit, Freundlichkeit, keine Schwäche zeigen aber auch niemanden auf dessen Schwäche aufmerksam machen. Aktionfilme und Alkoholkonsum sind übrigens kulturell erlaubte Hintertüren, durch die man mal gehen darf, um nicht immer nur höflich und freundlich sein zu müssen. Ich habe mich unter Maliern sehr wohl gefühlt, gerade auch als Ausländer, obwohl ich doch auch oft damit überfordert war, freundlich zu bleiben, selbst dann, als 50! Leute vor meiner Tür standen und mich um Lebensmittel gebeten haben.
Respektloser: meine Frau und ich haben am Beginn unserer Zeit in Mali ein Sprach- und Kulturpraktikum gemacht. Dafür haben wir vier Monate bei einer malischen Familie im Hof gelebt, in einem einfachen Lehmhaus ohne Strom und Wasser. Ein Abenteuer! Aber wir haben auch existentiell erlebt, wie Malier wirklich miteinander umgehen, wenn sonst keiner hinsieht. Der Hausherr, gläubiger Muslim, hatte drei Frauen. Eine war verstorben, eine kinderlos (seine Hauptfrau) und eine war für die gesamten Hausarbeiten zuständig. Der Umgang untereinander war geprägt von Neid, Misstrauen und Respektlosigkeit. Jeden Abend gab es Streit. Aber nach außen hat man "den Schein gewahrt". Jeder Nachbar wusste Bescheid, aber keiner hat öffentlich darüber geredet, damit der Hausherr sein Gesicht wahren konnte. Der Umgang des Hausherrn mit seiner ditten Frau hat mir innerlich weh getan, aber es wurde kulturell akzeptiert. Später, als wir in einem kleinen Dorf in der Nähe von Sévaré wohnten, kamne viele Frauen zu uns, deren Männer sich nicht ausreichend um sie gekümmert haben. Oft hatten diese Männer noch eine zweite Frau und das eine Einkommen reichte nicht für zwei Frauen, also musste die jeweils eine Frau irgendwie alleine klarkommen. Wie soll man so etwas nennen? Lieblosigkeit? Respektlosigkeit? Ich glaube noch nicht einmal, dass hier der Islam die Ursache war, denn ich habe viele sehr aufrechte und integre Moslems in Mali erlebt. Ich glaube, dass jede Gesellschaft gewisse Respektlosigkeiten zulässt.
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