Zitat von adder im Beitrag #40
Zitat von Solus im Beitrag #38 adder: Das heißt Sie wollen den Menschen nicht das Recht zugestehen, an Pseudowissenschaft zu glauben? Und danach zu handeln?
Überhaupt nicht. Jeder kann an was auch immer glauben. Allerdings - und die Gesetzgebung ist auch genauso gefasst - darf er nicht hingehen und andere mit seinem Glauben schädigen. Jeder kann sich also gerne selbst mit was auch immer behandeln wollen. Der Patient macht sich dabei auch nicht strafbar. Der Therapeut hingegen verstößt - wenn er solche unwirksamen Dinge als Heilung ansieht - mit der "Behandlung" gegen geltendes Recht - meiner Meinung nach völlig zu Recht. Ich kann ja auch daran glauben, dass mein Auto absolut sicher ist - wenn ich aber damit jemanden anfahre, muss ich zahlen.
Wenn Sie jemand anderen mit dem Auto anfahren, dann hat der dem aber in aller Regel nicht zugestimmt. Wenn Sie jemand bittet, auf seinem Privatgrundstück doch bitte mit Ihrem Auto in seines reinzufahren, dann werden Sie dafür wohl kaum zahlen müssen. Bzw. hat man daraus sogar eine Art Sport gemacht, siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Demolition_derby. Wenn Sie jemanden ungefragt schlagen, werden Sie dafür bestraft. Wenn Sie mit jemandem in den Boxring steigen, werden Sie kaum für die Schläge bestraft werden.
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Zitat Wie sieht es aus, wenn jemand etwa Gruppen-Gesundbeten anbieten würde - "Gott heilt alle deine Krankheiten, garantiert. Nur XXX€ für einen Tag.", dergleichen. Sollte man auch verbieten?
Hat ja mein Vorredner schon beantwortet: das ist bereits verboten, da unzulässiges Heilungsversprechen. Wobei: nicht das Gesundbeten selbst, sondern das Heilungsversprechen ist verboten (die Bezahlung dafür verschlimmert nur das Vergehen).
Ist mir bekannt. Und halte ich für ebenso absurd. Wo ist der Unterschied zwischen dem Heilsversprechen im Diesseits und etwa dem Heilsversprechen "du kommst in den Himmel, wenn..."?
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Zitat Mit Liberalität hat das alles irgendwie garnichtsmehr zu tun. Es kann doch nicht der Schaden, den sich jemand freiwillig selbst zufügt, Grund sein, ihm das zu verbieten.
Keiner, wirklich keiner, auch ich nicht und auch nicht unsere derzeitige Gesetzgebung in diesem Bereich, verbietet, dass sich jemand freiwillig selbst Schaden zufügt. Jede Hilfe, die jemand einer anderen Person gewährt, sich selbst zu schaden, und natürlich das Schaden anderer (selbst wenn diese sich freiwillig Schaden wollten), ist hingegen völlig zu Recht verboten. Mit anderen Worten: ich darf mit meinem Auto gegen einen Brückenpfeiler fahren, aber wenn ich jemand anderen auf seinen Wunsch hin überfahre, werde ich bestraft.
Völlig zu Recht? Also ich finde, wenn bspw. jemand einem anderen Gift verkauft, mit dem sich der andere umbringen will, dann sollte das natürlich legal sein.
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Zitat Wo wäre das Problem dabei, einen deutlich sichtbaren Hinweis vorzuschreiben - analog den Hinweisen auf den Zigarettenschachteln - "Wirkung nicht wissenschaftlich nachgewiesen" o.ä.
1) Das Gesetz ist anders. Genaugenommen verbietet dieses alleine schon das Arzneimittelgesetz. Arzneimittel ist ein geschützter Begriff, und Heilungsversprechen dürfen allenfalls bei zugelassenen Arzneimitteln erfolgen - und auch nur soweit das tatsächlich belegbar ist. 2) Arzneimittel sind ein sensibler Bereich. "Wirkung nicht wissenschaftlich nachgewiesen" wäre ja auch eine Lüge. Denn die Wirkung der meisten "alternativen Heilmethoden" ist nicht nur nicht wissenschaftlich nachgewiesen, selbst eine nicht-wissenschaftlichen Maßstäben genügende Beweisführung wurde in den seltensten Fällen erbracht, und in den meisten Fällen ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass es keine positive Wirkung gibt und die schädigenden Wirkungen überwiegen. 3) Ein Gedankenspiel: ich verkaufe Tabletten mit 5g Kaliumzyanid. Auf die schreibe ich drauf "Wirkung nicht wissenschaftlich nachgewiesen, hilft aber gegen Depressionen und Suizidgedanken". Jeder, der die kauft, ist ja selbst schuld. Und die sterben nun reihenweise. Keiner würde hier sagen, dass dieses Vorgehen ok ist - und liberal ist das auch nicht. Gut, Zyankali ist vielleicht ein schlechtes Beispiel, aber wenn ich Injektionen mit Heroin gegen Kopfschmerzen verkaufe, töte ich vielleicht keinen, mache aber viele Leute abhängig - und Heroin ist sogar noch wissenschaftlich nachgewiesen wirksam gegen Schmerzen.
2) Wie genau der Hinweis formuliert würde, ist ja reichlich nebensächlich. "Kann möglicherweise schwerwiegende Gesundheitsschäden oder Tod verursachen, ersetzt keine wirksame Behandlung durch einen Arzt" usw., gibt ja genug Möglichkeiten.
3) Ich würde sagen, dass dieses Vorgehen OK ist, solange deutlich auf die tödliche Wirkung hingewiesen wird. Wer dann trotzdem daran glaubt, dass es hilft, weil XY Guru das so gesagt hat - bitte. Was Drogen anbelangt, ist das nochmal eine andere Sache, insofern als da noch die Suchtwirkung mit reinspielt, aber ich bin prinzipiell auch für die Freigabe von Betäubungsmitteln. Warum auch nicht.
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Zitat Will mir einfach nicht in den Kopf, das ganze.
Liberal ist eben nicht anarchistisch. Die völlige Freigabe eines derart sensiblen Marktes ist nicht liberal, sie ist nur gefährlich. Der Vergleich mit dem Rauchen ist grob irreführend: auch unter diesen strikt geregelten Bedingungen sterben Menschen an Arzneimitteln - wenn alles frei wäre, wären es zwar "nur mehr" - aber die Größenordnung wäre richtig miserabel. Als Beispiel für die Probleme eines ungeregelten Arzneimarktes bitte ich mal nach Thalidomid zu schauen, oder sich mal die kranken Zustände in Afrika (>80% Fälschungen) anzusehen.
Liberal, anarchistisch und das was Sie hier vertreten sind drei unterschiedliche Dinge. Liberal ist, wenn Person A nach Zyankali fragt, Person B ihm das verkauft. Person B hat danach das Geld und Person A ist tot. Anarchistisch ist, wenn Person B Person A das Zyankali ungefragt in den Hals stopft und danach dem zuckenden Leichnam das Geld entnimmt. Oder ihm das Zyankali als Zucker deklariert verkauft. Was Sie vertreten, ist dass Person B im Gefängnis steckt und Person A versucht, sich mit der Rasierklinge die Pulsadern aufzuschneiden. Oder mit Paracetamol umzubringen (im einen Fall von zweifelhaftem Erfolg, im anderen Fall... nunja.)
Zitat von Doeding im Beitrag #41
Zitat von adder Die völlige Freigabe eines derart sensiblen Marktes ist nicht liberal, sie ist nur gefährlich.
Dem möchte ich ausdrücklich zustimmen. Der "Gesundheitsmarkt" ist mMn eben kein Markt wie jeder andere. Wenn ich mit 1und1 unzufrieden bin, kann ich zur Telekom wechseln, wenn ich mit Porsche unzufrieden bin, zu Skoda. Die Gesundheit kann man nur einmal verhunzen; hat man ein unwirksames/schädliches Krebsmittel genommen, hat man keine Chance mehr, den Anbieter zu wechseln. Ich arbeite ja selbst im Gesundheitssystem, und es ist z. T. haarsträubend, gegen welchen "Heilsteinquark" man da teilweise anarbeiten muß. Ein Heilpraktiker hatte einem (inzwischen verstorbenen) Pat. von mir dringend angeraten, die Chemotherapie abzubrechen, so könne man ja gar nicht gegen die Nebenwirkungen "antherapieren". Dergleichen ist zurecht verboten und unter Strafe gestellt.
Warum zurecht? Warum kann es nicht jedem selbst überlassen bleiben, wem er glaubt? Irgendwie fühle ich mich da stark an die Klimaschützer erinnert. Glühbirnenverbot usw.
Von den Problemen, die unser Gesundsheitssystem auch abseits von diversem pseudowissenschaftlichen Kram hat, mal ganz abgesehen, wie Erling Plaethe ganz richtig angesprochen hat.
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