In Ergänzung zu meinem letzten Beitrag noch Folgendes:
Angenommen, es gäbe Waren (oder Dienstleistungen), die unter dem Schirm einer EU-Richtlinie für den Markt freigegeben wurden und entsprechend gekennzeichnet sind, und Waren (oder Dienstleistungen), die keine Kennzeichnung haben, und die ebenfalls uneingeschränkt vermarktet werden dürfen, selbst wenn es Bedenken wegen deren Sicherheit oder Nutzen gäbe. Dann gäbe es eben einen Markt 'nach dem aktuellen Stand der Technik' und einen ohne geforderten Nachweis für den Stand der Technik.
Für alle, die irgendwie Verantwortung für Arbeitnehmer, Kunden, Patienten u.a. übernehmen müssten gäbe es eine Art Macht des Faktischen: Um ihre Versicherungskosten und Geschäftsrisiken zu minimieren würden sie in aller Regel auf Geräte 'nach dem Stand der Technik' zurückgreifen, Hersteller, die den breiten Markt adressieren wollten, würden sich der Marktlage beugen. Für dieses Umfeld würde sich gegenüber dem heutigen Zustand der zwingend unter EU-Richtlinien zu erfolgenden Vermarktung praktisch nichts ändern, außer dass eben der Markt enschiede.
Es bliebe aber ein Freiraum für private Entscheidungen, oder ein Eingehen von Risiken für neue Lösungen, ohne dass eine Behörde sich einmischen könnte. Was die Haftung angeht, so wäre diese in demselben Rahmen, wie für andere heute ungeregelte Lebensumstände auch.
Im Fall von Saatgut / Lebensmitteln mag die EU Normen (warum Verordnungen?) vorgeben, an die der Markt mit dem Hinweis andocken kann, damit bestimmte Qualitätsmerkmale sicherstellen zu können. Somit hätten Bauern, Verwerter, Kantinen, Restaurants, Verbraucher einen anerkannten Rahmen, auf den sie sich ohne allzusehr darüber nachdenken oder selbst Verantwortung übernehmen zu müssen, verlassen könnten, ohne dass allen anderen Menschen in ihrem Marktverhalten Vorschriften gemacht werden müssten. Das wäre m.E. kluge Politik, die dem Bürger Raum für seine Mündigkeit lässt. Vielleicht haben die EU-Bürokraten selbst keinen Rahmen, unter dem sie agieren.
Gruß, Martin
PS: Im Medizinproduktebereich reduziert sich die zuständige EU-Richtlinie bei der Produktesicherheit im Wesentlichen auf die Anwendung bestehender internationaler Sicherheitsnormen (ISO/IEC, i.e. private Organisationen), wenn der Nachweis erbracht werden muss, dass sogenannte 'Grundlegende Anforderungen' im Anhang I der Richtlinie eingehalten werden. Um Normen außerhalb des Einflussbereichs der EU zu legalisieren werden diese auf Anwendbarkeit (von CEN/CENELEC) geprüft, gegenfalls Einschränkungen i. Vgl. zur Richtlinie dokumentiert, in eine Europanorm (ENxxxxx) gefasst, und der Kommission zur 'Harmonisierung' vorgeschlagen. Für Streitfragen richtet die Kommission spezielle Arbeitsgruppen ein, letztlich entscheidet aber ein einzelner Beamter (zur Zeit ein deutscher Jurist) in einem nicht-öffentlichen Rahmen, wo anderswo Transparenz und Kompetenz existieren. Interessant bisher auch: In Normierungs-Kommittees von ISO/IEC sitzen Behördenvertreter wichtiger Regulierer (z.B. FDA), von der EU-Kommission hat sich bisher bei wichtigen Normen niemand blicken lassen.
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