Zitat von R.A. im Beitrag #2 - Obwohl alle genannten Themen bei entsprechenden Teilen der Bevölkerung schon lange für Frust sorgen, hat sich das nicht unbedingt politisch niedergeschlagen. Die AfD hat mit einem Thema ("Euro-Rettung") die erste Erfolgswelle geschafft, anschließend kam eine Tiefphase die fast zum Ende geführt hätte, und dann bescherte Merkel ihr unerwartet ein anderes Erfolgsthema ("Flüchtlinge") als Basis für eine zweite Welle Wahlerfolge. Das Weitere bleibt abzuwarten - aber mich würde nicht überraschen, wenn nach Abebben des Flüchtlingsthemas auch die AfD wieder in der Versenkung verschwinden würde. Auch wenn alle anderen Themen wie Atom, Gender etc. weiter auf der Tagesordnung stehen.
Ich denke das ist eine Frage des Leidensdrucks. Der "gemeine, deutsche Wähler" will keine Extremisten wählen, er hat vor sich einen moralischen Anspruch staatstragend zu sein, er mag hier und da Akzente setzen (wie die Bindesstrichsozialisten, die dann FDP wählen oder die Öko-Sozialen, die dann eben Grün wählen), aber im Großen und Ganzen will er vor sich selbst verantworten keine Extremisten zu stützen. Das sieht man auch vortrefftlich im unterschiedlichen Wahlverhalten Ost und West, denn im Osten ist man dem deutlich weniger verwurzelt. Anders gesagt: Wegen der paar hundert Euro, die beispielsweise der Energiequatsch den normalen Wähler kostet, ist der nicht bereit vier Jahre schlechtes Gewissen zu ertragen. Er schimpft, er motzt, er droht und schäumt, aber er wählt am Ende dann doch die CDU. Weil "einer ja den Laden zusammenhalten" muss. Der Leidensdruck hat sich erst dann qualitativ geändert als durch die Flüchtlingskrise eine wirklich existentielle Krise beschworen wurde. Selbst die Eurorettung, die schon viele verbittert hat, hat noch nicht gereicht. Das Flüchtlingsthema allerdings, was übersetzt eine wirklich reale (!) Gefahr für die Zukunft von ihm und seinen Kindern ist, erhöht den Leidensdruck derart massiv, dass er auch bereit ist sein schlechtes Gewissen zu ertragen und sein Kreuz bei einer Partei zu machen die einen Höcke in ihren Reihen hat. Er ist deswegen nicht überzeugt, aber er sieht keine Alternative.
Und aus zwei Gründen glaube ich nicht, dass sich die AfD wieder in Wohlgefallen auflöst: Zum einen ist jede Stimme ein Dammbruch. Einmal schlechtes Gewissen, immer schlechtes Gewissen. Die Schwelle, eine Partei zu wählen, die als extremistisch bezeichnet wird, wird mit jeder Wahl kleiner. "Ich bin nicht alleine", "wir können nicht alle Extremisten sein", "die sind ja gar nicht so schlimm". Es normalisiert sich ein Wahlverhalten, dass vorher eher pfui gewesen ist. Oder anders: Rein politisch hätten viele schon vorher AfD gewählt, aber die Hemmschwelle war zu gross. Wird die kleiner, etabliert sich eine Partei auch bei denen, die ohnehin am besten zu ihr passen. Zum zweiten: Wer glaubt denn das die Flüchtlingskrise gelöst wird ? Und wie sollte eine solche Lösung aussehen ? Die damalige BRD hat 40 Jahre mit der ungeplanten Einwanderung von einer Million Türken gehadert. Und tut es heute noch. Und diese Leute waren dem westlichen Lebensbild deutlich näher als die, die heute kommen. Und wir sind inzwischen bei weit mehr als einer Million. Wie sollte das zu lösen sein ? Wir dürfen uns eher die Frage stellen, was passiert, wenn sich Köln wiederholt ? Oder Paris passiert. Man muss sich darüber klar sein, dass die AfD bereit heute bei 15% ist, und es ist bis jetzt noch erstaunlich wenig passiert.
Ich wage mal eine ganz dreiste Prognose: Wenn sich Köln noch einmal wiederholt (wo auch immer) und wir zwei oder drei Anschläge sehen, dann wird die AfD die kümmerlichen Reste der SPD als zweite politische Kraft verdrängen. Bei aller noch so gewitzten politischen Analyse, wir haben eine existentielle Bedrohung vor der Tür (oder schon in der Tür) und so lange die "Etablierten" keine Antwort darauf finden, die ein bisschen cleverer ist als "wir schaffen das" wird die AfD eher wachsen. Ganz blöd: Was jucken mich ein paar Windräder, ein griechischer Olivenbaum oder die Frage ob es an den Unis ein paar Spinnerte gibt, die nicht wissen ob sie Männlein oder Weiblein sind, wenn ich nicht sicher bin, ob ich in einigen Jahren noch unbeschadet durch die Stadt gehen kann ?
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