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Florian
Beiträge: 3.076
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28.09.2016 11:42 |
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RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen
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Zum Thema "Epochenbruch im Parteiensystem" hier mal ein etwas spezieller Blickwinkel.
Nämlich auf die langfristige Entwicklung der Parteien der "Bonner Republik".
Hier sind die Summe Wahlergebnisse der drei Parteien der Bonner Republik (Union+SPD+FDP):
1949 hatten Union+SPD+FDP zusammen 72% der Stimmen. Wahlbeteiligung war 78%.
1972 war der Höhepunkt der alten staatstragenden Parteien der "Bonner Republik": Union+SPD+FDP hatten zusammen (heute unfassbare) 99,1% bei einer (auch heute unfassbaren) Wahlbeteiligung von 91%.
Von 1972 an erodierte die Macht dieser drei Parteien zunehmend. Gründe waren die 68er, das Erstarken der Grünen, die Wiedervereinigung (incl. Auftauchen der SED/PDS/Linkspartei). Und eine ganz allgemeine Pluralisierung der Gesellschaft.
2002 (bei der letzten Wahl vor Merkel)war ein vorläufiger Tiefpunkt erreicht: nur noch 84,4% für Union+SPD+FDP.
Worauf ich hinaus will: das sind sehr langsame, träge Wellen. 23 Jahre um Union+SPD+FDP in einem langsamen monotonen Anstieg von 72% auf 99% zu bringen. Weitere 30 Jahre für einen langsamen monotonen Rückgang von 99% auf 84%.
Und dies, obwohl es in den Jahrzehnten 1949-2002 (und speziell auch 1992-2002) ja durchaus massivste Umbrüche gab: der Wähler war träge. Über Jahrzehnte gab es für Union+SPD+FDP nur geringe Schwankungen. Vielleicht wurde mal von CDU zu FDP gewechselt oder von SPD zu CDU. Aber das waren Wechsel INNERHALB der alten systemtragenden Parteien. Nicht Wechsel zu den Rändern oder Experimente mit ganz neuen Parteien. Alles sehr beständig.
Seit dem Amtsantritt von Frau Merkel hat sich das aber nun sehr dramatisch geändert:
2013 hatten Union+SPD+FDP nur noch 72%. Und die aktuellen Umfragen von z.B. Forschungsgruppe Wahlen sehen Union+SPD+FDP gar nur noch bei 60%.
Der Erosionsprozess der alten, systemtragenden Parteien (allesamt übrigens auch Koalitionspartner von Frau Merkel und daher aus Wählersicht für deren Politik mitverantwortlich) hat sich seit ihrem Amtsantritt massiv verstärkt.
Es brauchte die 30 Jahre von 1972 bis 2002 für einen Schwund von 99% auf 84% (= -15%). Und dann nur weitere 14 Jahre für einen Schwund von 84% auf 60% (= -24%).
Wobei es dafür eigentlich wenig äußeren Anlass gab. Zwischen 1972 und 2002 lagen immerhin massive Veränderungen: Aufstieg der 68er und der Ökobewegung, Wiedervereinigung, Gründung der EU und die Euro-Einführung. Dass das alles nicht ganz ohne Auswirkung auf das Parteienspektrum bleiben kann ist eigentlich logisch. Von 2002 bis 2016 gab es hingegen keine solche massiven Veränderungen. Nur politische Maßnahmen, die die Regierung selbst ohne Not angestoßen hat.
Ein gewaltiger (und historisch betrachtet sehr schneller) Erosionsprozess, der da unter der Amtszeit von Frau Merkel passiert ist. Die Beschreibung "Epochenbruch im Parteiensystem" trifft das m.E. ganz gut.
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