Dieter E. Zimmer hat 1991 in der ZEIT auf die 1980 veröffentlichte These des amerikanischen Biologen Gordon Orians hingewiesen, der die - ziemlich kulturinvarianten - Vorstellungen einer idealen, paradiesischen Sehnsuchtslandschaft aus den evolutionären Prägungen der Menschwerdung in einer offenen Savannenlandschaft herleitet: hochgelegene Hügel als Schutz vor Raubtieren; lichter Baumbestand als Schatten & Quelle für Holz & Früchte, das unabdingbare Vorhandensein von Wasser. Er nennt das, informell, die "Eden-Theorie".
Zitat von ZEIT-Magazin Nr. 46/, 8. Nov. 1991, "Unser Paradies"Diese «Landschaftsgefühle» sollten auf zweierlei positiv reagieren: auf den Ort, wo das Tier selber aufgewachsen ist (denn er hat ja schon unter Beweis gestellt, daß in ihm die Aufzucht des Nachwuchses gelingen kann), und auf die Übereinstimmung eines Ortes mit einer für die betreffende Art typischen Ideallandschaft. ... Was, wenn nun auch dem Menschen die Reste einer solchen Voreingenommenheit geblieben wären? Dann müßte er sich zum einen mit seiner jeweiligen Heimat verbunden fühlen, egal wo diese sich befindet und wie es da aussieht (denn sie hat ja schon unter Beweis gestellt, daß sie Reproduktionschancen eröffnet, «daß sich in ihr leben lässt»). Zum anderen müßte ihm eine ganz bestimmte Landschaft ganz besonders «richtig» vorkommen, «schön» erscheinen – die arttypisch menschliche Ideallandschaft.
Welche könnte das sein? Es wird jene sein, in der seine Vorfahren über zwanzig Millionen Jahre hin zu Menschen geworden sind: die Savannen im Hochland Ostafrikas.
Kleines Caveat: Die mythologisch ausgeformten Idealorte der Paradiesimagination zeigen immer einen Garten: die Einhegung ist konstitutiv. Nicht nur im biblischen paradeisos (v.a. in solchen Evokationen wie den glühenden Beschreibungen im Buch X & XI von Miltons "Paradise Lost"), sondern auch im Garten des Hesperiden. Oder im Lotusparadies des japanischen Volksbuddhismus. Es ist der strikte Gegenentwurf einer agrarisch geprägten Gesellschaft zur zerschindenden alltäglichen Fron auf dem Feld.
Nochmals D.E.Z. - nicht zuletzt wegen der hier passenden Schlußvolte:
Zitat Orians’ Eden-Theorie setzt voraus, daß sich, zumindest in Form ihres Gefühlsabdrucks, im kollektiven Gedächtnis der Menschheit ein Erinnerungsbild der «idealen» Landschaft erhalten hat, über die Jahrhunderttausende genetisch weitergegeben und so detailliert, daß es sogar auf die «Schönheit» nicht zu eng und nicht zu weit stehender Schirmakazien anspricht. Ausgeschlossen ist es nicht; schließlich werden vielerlei feine Vorlieben und Abneigungen vererbt. Aber Skeptiker werden es nie glauben, und beweisbar ist es kaum. Das meteorologische Paradies indessen braucht gar kein solches Erinnerungsbild. Unser ganzer Körper, sein Vermögen der Thermoregulation, sein Bedürfnis nach Licht ist die Erinnerung: Wo er am wenigsten strapaziert wird, fühlt er sich am wohlsten, und wo er sich am wohlsten fühlt, zieht es ihn am stärksten hin – die Topographie seiner Sehnsucht.
Es ist dies einer der raren Punkte, wo sich Wissenschaft, Mythos, Lyrik und jedermanns eigene Erfahrung ohne schlechtes Gewissen treffen können.
PS.
Biobibliographischer Nachschlag (Borges: “Siempre imaginé que el Paraíso sería algún tipo de biblioteca” ): Orians' Aufsatz: "Habitat Selection: General Theory and Applications to Human Behavior," in: S. J. Lockhard, ed. The Evolution of Human Social Behavior (New York: Elsevier, 1980), S. 49-66. - Kaplan, Stephen, "Aethetics, affect, and cognition: Environmental preference from an evolutionary perspective", Environment and Behavior, 19(1) (1987), 3-32. - Jerome Barkow, Leda Cosmides and John Tooby, hgg. The Adapted Mind: Evolutionary Psychology and the Generation of Culture. Oxford: Oxford University Press, 1992 (v.a. Gordon H. Orians; Judith H. Heerwagen: "Evolved Responses to Landscapes," S. 555-79). - Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Die Biologie des menschlichen Verhaltens. 5. Ausg. München: Piper 2004, Abschnitt 8: "Der Mensch und sein Lebensraum - ökologische Betrachtungen," S. 823-898. Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
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