Auch, wenn ich Gaucks Amtsperiode ein wenig anders bewerte: danke, ein schöner und würdiger Nachruf.
Von den Bundespräsidenten, die ich bewusst erlebt habe, steht er mit Richie ganz oben. Sehr unterschiedliche Typen beide, aber jeweils mit Eigenschaften, die mir sehr zusagten. Da ich eine eher resignative Meinung vom unserem Parteiensystem habe (übrigens etwas, das Richie sehr deutlich ausgesprochen hat, das man aber auch zwischen den Zeilen bei Herzog herauslesen kann), rechne ich auch nicht mehr damit, dass in absehbarer Zukunft vergleichbare Persönlichkeiten Bundespräsident werden.
Von den Präsidenten, die ich nicht mehr erlebte, scheinen mir Heuss und Heinemann auch solch respektable Persönlichkeiten gewesen zu sein, ganz unabhängig davon, wie ich politisch zu ihnen stehe. Aber das ist eben Vergangenheit. Heutzutage kann nur Bundespräsident werden, wer entweder als Theologe, als Verfassungsrichter oder als Berufspolitiker halbwegs reüssiert hat. Von der labernden Klasse fehlen hier nur noch die Journalisten. Das kommt aber vielleicht noch - um Verfassungsrichter zu werden, muss man mittlerweile ja auch kein herausragender Jurist mehr sein.
Warum das so ist, liegt auf der Hand. Das System kreiert mehr und mehr stromlinienförmige Politiker. Es beginnt in der Jugendorganisation, dann wird im Studium vor allem Politik gemacht, in einem zerebral nicht allzu anspruchsvollem Fach ein Abschluss hingelegt (egal, wie viele Semester...), dann geht es weiter als Assi eines Abgeordneten usw. Diese Leute saugen die Angepasstheit vielleicht nicht gleich mit der Muttermilch, aber spätestens mit dem ersten Tee in der lokalen Parteizentrale auf. Natürlich fällt hier und da dann doch mal einer aus dem Raster, weil er irgendwo auf der Schiene plötzlich zu denken anfängt. Diese Gefahr ist besonders groß bei direkt gewählten Abgeordneten, die ihren USP aus dem Kontakt mit dem gemeinen Wähler herleiten. Aber alles in allem kommen Steinmeiers bei sowas raus.
Weil der Bundespräsident aber eigentlich nicht so einer sein soll, wenden sich die Blicke der Politik verzweifelt nach Personen, die "das Volk zusammenführen", die salbungsvoll und bedeutungsschwanger daherreden können. Deswegen die Verfassungsrichter und Theologen. Wer von denen bei drei nicht rechtzeitig auf dem Baum ist, wird schnell Kandidat. Surrogate allesamt, wenn ihr mich fragt.
Eigentlich ist es Zeit, aus der Entwicklung des Politikbetriebs die Konsequenz zu ziehen und diese Stelle entweder per Volkswahl aufzuwerten oder ganz einzustampfen. Ich wäre für letzteres. -- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
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