Lieber Noricus,
ich wollte schon gestern etwas zu dem Thema schreiben, habe dann aber keinen Ansatz gefunden. Es gibt viele Ansätze 'Heimat' zu beschreiben, ich glaube aber, dass 'Heimat' jeder Mensch ein bisschen anders empfindet. Da sind irgendwie alle Elemente drin, die Sie beschrieben haben, wie aber will man emotionale Beziehungen in ein einheitliches Format packen? Meine Eltern sind beispielsweise von der Stadt auf das Land umgezogen als ich vier Jahre alt war. Ich habe zu dem Ort nie etwas entwickelt, was ich als ausgeprägtes Heimatgefühl sehen würde, wenn ich aber mal von Auslandsreisen zurückgekommen bin, dann habe ich die Region wieder gesehen wie einen Jungbrunnen, habe auch alles bewusster wieder wahrgenommen als im sonstigen Alltag. Meine Geschwister haben auch alle einen unterschiedlichen Heimatbezug entwickelt.
Dann sehe ich beispielsweise an meiner Frau, die kurz nach der Wende in den Westen ging, und die zwar wegen der 'Enge', wie sie sagt, nie zurückgehen wollte, sie aber trotzdem mit zunehmendem Alter gerne in die Heimat reist, wo sie diese dann völlig verändert 'inhaliert'.
Ich sehe es an einem Freund, der in jüngeren Jahren die halbe Welt bereiste, in Deutschland seine (spätere) brasilianische Frau kennen lernte, zwanzig Jahre in Südamerika lebte, immer häufiger hierher zurückgekommen ist, die erwachsenen Kinder jetzt zur deutschen Ausbildung für ein paar Jahre mitgebracht hat und hier vorübergehend? wieder wohnt. Die Frau geht in Brasilia weiter ihrem Beruf nach und kümmert sich um ihre Eltern. Nur, so kosmopolitisch der Freund scheint, die Heimat ist für ihn ein unglaublich starker Magnet, und das scheint mit zunehmendem Alter stärker zu werden.
Ich kann das nicht analysieren, nur an beobachteten Beispielen beschreiben.
Beim Studium hatte ich einige Vietnamesen gekannt. Von denen die zum Studium gekommen waren hatten die meisten den Wechsel nach Deutschland problemlos geschafft, einige hatten aber stark mit Heimweh gekämpft. Als nach dem Fall Südvietnams Flüchtlinge kamen die nicht die obere Bildungsschicht waren, hat sich der Prozentsatz derer erhöht, die große Schwierigkeiten hatten hier Wurzeln zu schlagen. Ich denke, Heimweh und Heimat sind verwandt.
Alle diese Beobachtungen sagen mir, dass 'Heimat' sehr individuell ist. Wenn das so ist, wird es auch nur eine unscharfe Definition geben können.
Gruß, Martin
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