Zitat von R.A. im Beitrag #79Natürlich ist es AUCH ein wesentlicher Grundsatz, daß eine friedliche Regierungsabwahl möglich ist. Aber das ist eben nur ein Aspekt. Eigentlich ein ziemlich technokratischer - als wäre eine Regierung ein Unternehmensvorstand, den man bei mangelnder Performance durch irgendwelche Fachleute ersetzen kann.
Ich glaube nicht, dass die gemeinen Anhänger des "Kritischen Rationalismus" mit dieser Charakterisierung ihrer Position sehr zufrieden wären...
Zitat Sie aber mit Popper völlig zu ignorieren würde die Demokratie zur Farce machen.
Poppers Philosophie hat einen sehr einfachen, aber genialen Clou. Statt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie man etwas begründet, herleitet oder rechtfertigt, dreht man den Spieß einfach um. Es geht also nicht mehr darum, dass man die Demokratie als die beste aller vorhandenen Staatsformen erweist, weil sie die besten Entscheidungen trifft oder so, sondern weil man dort die Regierung am einfachsten loswird.
Der Hintergrund für Poppers Ideen sind, soweit ich das erkennen kann, zunächst einmal das humische Induktionsproblem und das Begründungstrilemma nach Agrippa. Beides Ideen, wie sie im Umfeld der pyrrhonisch-skeptischen Philosophie geprägt und entwickelt wurden. Hume stand den Skeptizismus philosophisch nämlich durchaus nahe. Kurz zusammengefasst an dieser stelle: Das Induktionsproblem besteht kurz gesagt in der Frage, "wie können wir anhand endlicher Beobachtungen aus aus der Vergangenheit logisch korrekte, gut begründete Schlussfolgerungen für alle Zeiten ziehen?" Das "Münchhausen-Trilemma" oder Begründungstrilemma oder auch "Agrippa-Trilemma" genannt, geht dagegen von der Begründung aus. Wir wollen einen beliebigen Satz begründen. Dies können wir nur anhand eines anderen Satzes tun. Am Ende stehen wir dann vor drei Alternaitven: Entweder wir brechen die Begründungen irgendwo ab ("Dogmatismus") oder wir begründen irgendwann einen Satz durch einen anderen Satz (Zirkelschluss) oder die Kette der Begründungen hört niemals auf ("Infiniter Regress"). Alle diese Alternativen sind sehr unwillkommen.
Die Beschäftigung mit diesen Problemen, insbesondere den Hume-Problem, hat bei Kant zur Entwicklung seiner kritischen Philosophie geführt, an die Popper zum Teil anknüpfen will. Allgemein führt dies bei vielen Philosophen zur Entwicklung eines Apriorismus, indem dann auf die ein oder andere Weise angenommen wird, bestimmte Voraussetzungen wären im Vornherein klar und müssten nicht mehr begründet werden. Andere Denker dagegen entwickeltenauf dieser Basis eine Induktionslogik (Carnap zu einem bestimmten Zeitpunkt) oder gingen den Weg in den Bayesianismus. Wobei beides wiederum auf streitbaren Prämissen basiert.
Popper ging einen anderen Weg. Er ging vom Ergebnis aus, dass man eine Erkenntnis nicht letztbegründen kann und ging dann dazu über, dass man eine Theorie daher möglichst so formulieren sollte, dass sie sich leicht widerlegen lässt und das möglichst viel Kritik an ihr möglich ist. Das berühmte Beispiel mit den schwarzen Schwähnen wird hier genannt. Popper schrieb hier, soweit mein Gedächnis reicht, von einer fundamentalen Asymmetrie zwischen All-Aussagen ("Alle Schwähne sind weiß") und Existenzbehauptungen ("Mindestens ein Schwahn existiert, für den gilt: Er ist nicht weiß"). Naturgesetze wurden dabei als eine Form von All-Aussagen aufgefasst. Während wir selbst bei extrem vielen Beispielen von All-Aussagen nicht sicher sein können, ob es wirklich für alle gilt, reicht schon ein einziges Gegenbeispiel aus, um den All-Aussage zu widerlegen.
Da die Frage nach der besten Staatsform in der politischen Philosophie letztlich nur ein Spezialfall von Begründung ist, ist es naheliegend, ähnliche Maßstäbe anzulegen.
Popper selbst ist übrigens generell nicht unumstritten, auch wenn sich einige seiner Vokabeln, dazu noch falsch verstanden und verwendet, sehr weit verbreitet haben mögen.
P.S.: Wer sich für den Kritischen Rationalismus interessiert, dem kann man im deutschen Sprachraum gegenwärtig eigentlich vor allem die Zeitschrift "Aufklärung und Kritik" der Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg ans Herz legen.
Es ist allerdings interessant, wer noch so alles über den Kritischen Rationalismus publizierte: "Fort von Marx -- hin zu Popper: Das fordern junge SPD-Wissenschaftler in einem in dieser Woche erscheinenden Essay-Band, zu dem Bundeskanzler Schmidt das Vorwort schrieb.[...]Die jungen Herausgeber -- alle sind Ökonomen, und drei haben in den letzten Jahren zum Dr. rer. pol. promoviert -- [...] Thilo Sarrazin [...]" (DER SPIEGEL 19/1975, "Glück ist utopisch", S. 167 ff, Hervorgehoben durch mich) Link: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41558747.html
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