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Llarian
Beiträge: 6.654
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02.06.2021 15:59 |
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RE: Kommentar aus Sicht eines taktischen Wählers
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Zitat von Johanes im Beitrag #172 Ja, aber es ist eben nicht Merkel. Merkel kann, bei allem Respekt, in China oder den USA keinen Lockdown verursachen. In Südamerika auch nicht. Das alles Merkel in die Schuhe zu schieben, geht fehlt.
Das dritte Reich komplett Hitler in die Schuhe zu schieben, geht ebenso fehl. Oder die DDR auf Ulbricht zu reduzieren. Oder die UDSSR auf Stalin. Merkel ist nicht der "Oberbefehlshaber der freien Welt", aber so ganz machtlos ist sie dann eben auch nicht. Und was die besondere Ausartung der Hysterie in Deutschland angeht, so ist sie in zentraler Rolle.
Zitat Bei den letzten Koalitionsverhandlungen hat Lindner bewiesen, dass er sich durchsetzen kann, bzw. nicht einfach blind jeden Strohhalm greift. Unsere linke Presse hat das negativ kommentiert, aber im Grunde hat er Staatsräson vertreten.
Einmal. Und das war auch absolut richtig so (auch wenn böse Zungen sagen würden, dass Lindner das im Wesentlichen nicht getan hat, weil er das liberale Profil nicht sah, sondern weil Merkel ihm ziemlich deutlich gemacht hat, dass die FDP sowieso nur ein billiger Mehrheitsbeschaffer unter den Grünen sein würde). Das dumme ist nur: Das habe ich auch schon einmal gesehen. Im Februar 2008 verweigerte der hessiche FDP Chef, Jörg-Uwe Hahn, wie angekündigt(!) einer Ampelkoaltion unter Andrea Ypsilanti. Und das trotz massiven Sirenengesängen und nicht weniger massivem Druck aus der Presse. Deutlich mehr als bei der letzten Bundestagswahl. Aber er blieb standhaft. Ich war seinerzeit verdammt stolz auf meine Partei, die damit deutlich machte, dass sie mehr sein wollte als ein Mehrheitsbeschaffer und Pöstchenverteiler. Und das wurde auch honoriert, im folgenden Jahr bei der Bundestagswahl erreichte die FDP 14,6 Prozent. Ich bin bis heute der Meinung, dass neben der Person Westerwelle (die maßgeblich für den Erfolg gewesen ist), ein weiterer wichtiger Grund diese Standfestigkeit gewesen ist. Aber das war eben auch genau einmal. Denn in der Regierung 2009 hat die FDP dann so ziemlich alles verkauft, was an liberalen Gedanken da war. Unabhängig von meinem eigenen Standpunkt, ist die FDP zwar tatsächlich einige Male standhaft geblieben, aber eben nicht konstant.
Zitat Wieso dann nicht gleich in die 4. Auflage der GroKo? Dann winken Pöstchen und echte Macht und man kann seinen Klientel richtig was bieten.
Eben nicht, das klappt ja im Moment auch nicht. Davon mal ab, dass die SPD ihr eigentliches Stammklientel mehr und mehr zur AfD abtritt, so braucht(!) die SPD die Opposition dringend. Sie tut ja jetzt schon so, als habe sie mit all dem Mist nichts zu tun und sei ja eigentlich überall dagegen. Die SPD kann sich eine Regierungsbeteiligung unter der CDU schlicht nicht mehr leisten, es sei denn das nächste Ziel ist wirklich die Einstelligkeit, bzw. die 5% Hürde im Osten. Man muss sich das mal klar machen: Die SPD unter der Union hat inzwischen das Projekt 18 von der FDP nicht nur ausgeborgt, sondern erfolgreich umgesetzt: Sie ist jetzt permanent unter 18%.
Zitat Ne. Die Sozis werden jedes Angebot annehmen.
Das glaube ich nicht. Das einzige was ich mir vorstellen kann, ist eine Koaltion CDU/SPD/Grüne, wobei die linke Seite die Bedingung stellt, dass die Frau Kanzler Baerbock heißt. Da könnte die SPD noch mitgehen. Alles andere sehe ich nicht.
Zitat Szenario (2) dagegen beinhaltet ja schon eine Verfassungskrise in sich, weil wir so etwas in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nicht hatten.
Deswegen ist das aber keine Verfassungskrise. Eine Verfassungskrise ist es, dass wir derzeit eine Regierung haben, die munter verfassungswidrig handelt und ein von ihr unterwandertes Verfassungsgericht dagegen nichts tut. Aber die Verfassung schreibt keine Regierungsmehrheiten vor. Das wäre auch unsinnig. Und wo ist das Problem? Dann muss man sich halt von Fall zu Fall Mehrheiten suchen. Das ist in anderen Ländern gang und gäbe.
Zitat Das mit dem Vorschlagsrecht und den Wahlgängen ist zwar von der Verfassung her vorgesehen, aber eigentlich nicht Teil des politischen Systems. Deshalb wäre es ein unglaubliches versagen der Akteure.
Aber so gar nicht. Wo steht denn geschrieben, dass Deutschland gefälligst durchregiert werden muss? Wenn ein Kanzler mit einfacher Mehrheit bestimmt wird, kann er immer noch seine Regierung ernennen, eine Exekutive ist damit am Start. Die Legislative ist auch am Start. Die Judikative ebenso. Das ist völlig undramatisch. Im Gegenteil, eigentlich ist unsere Verfassung genau so aufgebaut, denn die Abgeordneten sind rein ihrem Gewissen verpflichtet, nicht ihrer Partei oder einer abgehobenen Kanzlertruse, die völlig machttrunken unsere Verfassung zerstört. Wenn sich eine Regierung Mehrheiten für Gesetze suchen muss, dann ist das gut so. Es trennt endlich(!) einmal, das erste mal seit 80 Jahren, die Legislative von der Exekutive. Wir kämen damit der tatsächlich geheuchelten Gewaltenteilung endlich einmal näher. Wir würden endlich wieder diskutieren, statt von Alternativlosigkeiten und anderen Totalitarismen mehr und mehr in den Abgrund gerissen zu werden.
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