Es mag dem Alter geschuldet sein, aber ich goutiere solche Betrachtungen sehr. Irgendwann lernt man es zu schätzen, wenn jemand seine Augen aus dem Gewühl des - auch politischen - Alltags erhebt und dann, immer aus zugegebenermaßen höchst subjektiver Perspektive, das Leben an sich betrachtet.
Das hier vorliegende Exemplar spricht mir in vielem aus dem Herzen. Danke, lieber Noricus. So denkt man anscheinend, wenn man eine bestimmte Altersstufe überschritten hat. Auch ich muss zur Kenntnis nehmen, dass die Jahre hinter mir allerhöchster Wahrscheinlichkeit nach zahlreicher sind als die vor mir liegenden, und wenn ich so die diversen Todesmeldungen zur Kenntnis nehme, muss ich mich spätestens zehn Jahre von heute entfernt auf mein Ableben einstellen. Wobei ich den Tod nicht als stachellos empfinde, aber das diskutierte ich schon damals mit Zettel himself.
Es gibt ja glückliche Menschen, die in ihrem Leben genau das erreicht haben, was sie sich vornahmen. Meine Liebste gehört zum Beispiel dazu. Sie hat ihren Traumberuf ergriffen, (vor meiner Zeit) eine Familie mitgegründet und würde nach eigener Aussage wieder alles so machen wie geschehen. Bei mir fällt das Fazit etwas anders aus: Ich würde im Rückblick lieber einen anderen Beruf ergreifen, konnte selbst keine Familie gründen und würde auch sonst diverse Dinge im Nachhinein anders machen, wenn ich könnte. Aber ich will mich nicht beklagen: Alles in allem wurde es so schlecht auch nicht, und es gibt genug Anlässe, dankbar zu sein. Man weiß ja nie, wie sich die andere Entscheidung tatsächlich ausgewirkt hätte. Dieses Erschrecken, dass der geschätzte Noricus beobachtet, wenn jungen Menschen erwachsen werden, das habe ich allerdings nie erlebt - da war immer dieses schöne Gefühl, endlich selbst den eigenen Weg mitbestimmen zu können. Und vielleicht ist es dem oben Erwähnten zu verdanken, aber auch dieses Gefühl, es sei jetzt irgendwie alles gerichtet, hin zur großen Gleichförmigkeit, das habe ich ebenfalls nie gespürt - dazu hat sich in meinem Leben im Abstand von wenigen Jahren viel zu viel verändert, allein schon an den Wohnorten abzulesen. Aber mir ist auch klar, dass das eher die Ausnahme darstellt, auch wenn heutzutage vermutlich mehr Menschen ähnlich wechselhafte Phasen erleben als früher.
Aber eins ist auch klar: Unsere Zeit hier ist begrenzt, und wir haben die verdammte Aufgabe, aber auch die Chance, etwas aus ihr zu machen. Das sage ich ohne moralischen Zeigefinger, denn dieses "etwas" kann und soll sehr individuell sein. Wichtig ist nur, dass man am Ende nichts bereuen muss. Und da möchte ich, dem Herbst angemessen, den lieben Zimmerleuten mit auf den Weg geben, was Menschen, deren Leben vor dem Ende steht, vor allem nicht bereuen: Zu wenig gearbeitet zu haben, zu viel Zeit mit Menschen verbracht zu haben, an denen ihnen etwas liegt, und zu wenig darauf gegeben zu haben, was andere vielleicht denken mögen.
Auch der Herbst ist schön, und wenn wir es schaffen, jeden Moment als solchen aufzunehmen und zu genießen, trotz aller Widernisse, denen wir leider immer begegnen, dann trifft auch der stachelbewehrte Tod auf einen Menschen, der ihm erhobenen Hauptes begegnet. -- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
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