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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 17 Antworten
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Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"  
Ludwig Weimer

Beiträge: 292

28.11.2017 17:39
RE: Spätherbstliche Elegie in Prosa Antworten

Gut, das gleichzeitige Miteinander aller 'Größen' kann als solches keine Beeinträchtigung sein. Im Gegenteil. Die traditionelle Vorstellung von der Auferstehung der Toten geht ja in eine ganz ähnliche Richtung: dass wir nach dem Tod im Himmel mit allen versammelt sind und mit allen Großen reden können.Dieses mein Argument der Überfüllung an Genies stimmt nicht,es würde einen Egoismus und eine Neidhaltung enthüllen. Auf Erden soll es nach christlicher Sicht ja auch schon so sein wie im Himmel.

Mein Eingehen auf die traditionelle christliche Antwort zur Frage „Ewiger Tod oder ewiges Leben?“ bedarf ohnehin einer Fortsetzung.
Zunächst ergänze ich meine Andeutung zu der persönlich-ethischen Antwort von François Fénelon, des Philosophen und Bischofs aus der Zeit der Frühaufklärung wenigstens mit einem Zitat, die Übersetzung stammt von Matthias Claudius, um 1800:
„Ewigkeiten sind vor mir, und Ewigkeiten hinter mir, und zwischen beiden ist mir eine kleine Zeit zum Leben beschieden. Warum ich mehr an diese als an eine andre Ecke des Universums geheftet bin, das weiss ich nicht. Eins weiss ich, dass ich sterben muss, aber nicht, was denn weiter mit mir wird, ob ich dem Nichts oder einer erzürnten Gottheit in die Hände falle, und ewig zu Theil werde… Ich will mir aber damit die Zeit nicht verderben: ich will mir das künftige Glück und Unglück, wenn es, wie sie sagen, eins geben sollte, aus dem sin schlagen, und mich an dem Gegenwärtigen halten. Ich will die Sorge über die künftigen großen Begebenheiten und über die Ewigkeit eines künftigen Zustandes andern überlassen, und mich dem Tode vergnügt und lustig in die Arme liefern.“
(François Fénelon, Gedanken zur reinen Gottesliebe, hrsg. von Jean-Claude Wolf, Basel 2014: Schwabe reflexe 31)

In der neueren Zeit konnte sich 1) niemand mehr vorstellen, dass Leib und Seele des Menschen getrennt existieren können. Das aber hatte die alte neuplatonisch-religiöse Vorstellung vorausgesetzt: Beim Tod wandert die Seele entweder in den Himmel oder in die Hölle oder nach einer zeitlich begrenzten Frist aus dem Fegefeuer der Reinigung in den Himmel, während der Leib in der Erde schläft. Erst beim Jüngste Tag der Wiederkunft Christi zum allgemeinen Weltgericht ersteht er und beide werden wieder vereint.
2) Zudem sprachen selbst fromme katholische Exegeten ihre Erkenntnis aus, die Wiederkunft Christi sei kein historisches Datum, sondern bedeute, dass das Leben Jesu als richtendes Maß über alle aufgerichtet sei. Die Begründung dafür ist einfach: Wenn dieser Tag Lebende träfe, müsste jeder glauben und die Glaubensfreiheit wäre beseitigt.
Die modernen Theologen bezogen nun auch die Tatsache ein, dass es die Größe Relative Raum-Zeit nach dem Tod nicht mehr gibt und dass sie für Gott erst recht nicht existiert und folgerten: Der Augenblick des Todes ist zugleich die Ewigkeit. Damit waren sie aus dem Schneider, aber sie konnten die Hoffnung, den ewigen Lohn irgendwie bewusst zu erleben, nicht bedienen, klare: keiner hat eine Sprache dafür.
Jeder weiß, dass die Hölle gut zu schildern ist, aber der Himmel nicht. Selbst bei Dante steht nur eine Arena wie eine weiße Rose aus lauter Sitzplätzen zur Verfügung, auf welche die Engel wie Bienen rauf und runterfliegen. Von der Enttäuschung des Münchners im Himmel und seinem „ –luja sog i“ nicht zu reden.
Selbst seriöse Autoren wie Heinrich Heine konnten nur spotten:
„Wie man im Himmel lebt? Dort amüsiert man sich ganz süperbe, man hat alle möglichen Vergnügungen, man lebt in lauter Lust und Pläsir, so recht wie Gott in Frankreich. Man speist von Morgen bis Abend … ohne sich den Magen zu verderben, man singt Psalmen, oder man tändelt und schäkert mit den lieben, zärtlichen Engelein, oder man geht spazieren auf der grünen Halleluja-Wiese, und die weißwallenden Kleider sitzen sehr bequem, und nichts stört da das Gefühl der Seligkeit, kein Schmerz, kein Mißbehagen, ja sogar, wenn einer dem andern zufällig auf die Hühneraugen tritt und excusez! ausruft, schmerzt nicht, sondern au contraire, mein Herz fühlt nur desto süßere Himmelswonne“.
(Ideen. Das Buch le Grand (1826); in: Heines Werke 3. Band, hrg. von H. Holtzhauer, Weimar: Volksverlag 1958, 7)
Hilfreicher ist eine Wiederentdeckung in der exegetischen Wissenschaft, zu der auch Joseph Ratzinger viel beitrug. Dem ursprünglichen biblischen Christentum geht es um das Schon-Hier-und-Heute des Gottesreiches. Das war die theologische Leistung Jesu: Die Nähe Gottes nicht zeitlich zu verschieben, sondern gleichsam zu verräumlichen: Gott steht vor deiner Tür, du musst ihm aber aufmachen. Paulus sagte es so: Das ewige Leben beginnt mit der Taufe.
Ich will hier aber nicht in eine Vorlesung übergehen.

Ludwig Weimer


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Betreff Absender Datum
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RE: Spätherbstliche Elegie in Prosa nachdenken_schmerzt_nicht26.11.2017 18:47
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