vielen Dank für die Hinweise! Ja, "Fakten Fiktionen" kenne ich und habe es auch in ZR verlinkt. Ich bin oft andrer Meinung als Kewil, aber mir gefällt sein selbständiges Denken und Argumentieren, ohne Rücksicht darauf, was gerade als pc gilt.
Was nun den Text von Hans Conrad Zander angeht, hm hm.
Ich schätze Hans Conrad Zander als einen sehr witzigen, ironischen, kenntnisreichen Journalisten - wenn es um die Heiligen geht, die Katholische Kirche und das Umfeld. Aber er ist eben auch, sagen, wir, auf eine fröhliche Weise subjektiv. Und ob er von Physik und Astronomie viel versteht, weiß ich nicht.
Ich habe mich ja, Sie erwähnten es, auch a bisserl mit Galilei beschäftigt und bin zu einem ganz anderen Urteil gekommen als Zander.
Mit Vielem rennt er offene Türen ein. Natürlich war das kopernikanische Weltbild unter Fachleuten 1610 schon weitgehend akzeptiert. Galilei hat es ja nicht erfunden oder auch nur verbessert; seine Leistung bestand darin, das wissenschaftliche Potential des Fernrohrs zu erkennen und zu nutzen, um entscheidende Belege gegen das ptolemäische Weltbild zu finden. Das Fernrohr hat er natürlich auch nicht erfunden und das auch nie behauptet; er hat eben nur sein Potential erkannt. Seine zweite Leistung neben dieser empirischen Arbeit besteht darin, die Himmelsmechanik des kopernikanischen Weltbilds mit der Allgemeinen Mechanik verknüpft zu haben.
Und bei der Allgemeinen Mechanik liegt auch - ich habe es seinerzeit in ZR zu zeigen versucht - Galileis eigentliche wissenschaftliche Leistung.
Die Ergebnisse seiner Beobachtungen hat er im Sidereus Nuncius mitgeteilt.
Zander verkennt diesen Text völlig. Es ist ein wissenschaftlicher Text mit seitenlangen Beobachtungsprotokollen, genauen Zeichnungen vom Mond, von den Positionen der Jupitermonden im Zeitverlauf (rund sechzig solche Zeichnungen, über viele Seiten hinweg!), mit wissenschaftlichen Detailerörterungen wie zB der Frage, warum der Rand des Mondes nicht gezackt erscheint, wenn es doch auf dem Mond hohe Berge gibt.
Zander zitiert - und das grenzt schon ans Unseriöse - statt aus der Arbeit selbst aus dem Titeltext, der, wie das im Barock üblich war, bombastisch formuliert wurde (meines Wissens ist unbekannt, ob ihn Galilei selbst oder der Verleger Thomas Baglionus formuliert hat). Und auch den übersetzt Zander sehr, sagen wir, eigenwillig, wenn er "magna, longeque admirabilia spectacula" mit "große Sensationen" übersetzt. Es sind große und bewundernswerte Anblicke, nämlich der Details des Mondes und des Sternhimmels, die angekündigt werden. Am Himmel finden ja keine Spektakel statt.
Teilweise interpretiert Zander das, was Galilei geschrieben hat, so falsch, daß man man sich fragen kann, ob er ihn überhaupt zu verstehen versucht hat.
Zum Beispiel, wenn er zustimmend die folgende Kritik an Galilei zitiert:
Zitat von Zander Fast gelyncht wurde 1908 der berühmte französische Physiker Pierre Duhem, als er die historische Wahrheit aussprach, im Prozess gegen Galileo Galilei habe „die wissenschaftliche Logik“ dort gestanden, wo sie immer noch stehe, nämlich auf der Seite der Inquisition: „Angenommen, die Hypothesen des Kopernikus könnten alle bekannten Erscheinungen erklären, dann könnte man daraus schliessen, dass sie möglicherweise wahr sind, keineswegs aber, dass sie notwendig stimmen. Um diesen letzten Schluss zu ziehen, müsste man ja beweisen, dass kein anderes System erdenkbar ist, das die Erscheinungen genau so gut erklärt. Dieser letzte Beweis ist aber nie geführt worden.“
Monsieur le Professeur, jenes „andere System“ ist inzwischen erdacht! Die Relativitätstheorie nämlich. Sind alle Erscheinungen relativ zum Ort des Betrachtenden und Messenden, dann ist das ganze Universum relativ zu unserem Ort. Zu unserer alten Erde. Vielleicht hat Gott ja schon vor Einstein etwas von Relativität verstanden.
Genau diese Überlegung läßt Galilei seine drei Diskutanten im "Dialogo" ausführlich erörtern. Seine ganze Mechanik basiert auf der Relativität von Bewegung; nämlich relativ zu dem jeweiligen Bezugssystem. Galilei leugnet keinen Augenblick, sondern betont es sogar, daß es eine Frage des gewählten Bezugssystems sei, ob man die Erde oder die Sonne als stillstehend betrachtet. Was Zander Einstein zuschreibt, hat mit der Relativitätstheorie ungefähr so viel zu tun wie mit der Lyrik von Rilke.
Und so fort. Ich könnte vermutlich diesen ohnehin langen Beitrag verdreifachen,w enn ich zeigen wollte, wie sehr Zander Galilei mißversteht. Lassen wir's dabei.
Was Zander aber vor allem verschweigt, das ist die juristische "Grundlage" des Prozesses.
Es wurde in diesem Prozeß überhaupt nicht thematisiert, welche wissenschaftlichen Gründe für und gegen das kopernikanische System sprechen. Sondern man nahm Bezug auf ein eine angebliche Ermahung Kardinal Bellarminos vom 26. Mai 1616 an Galilei, die es ihm verbot, das kopernikanische System zu "vertreten", und zwar mit der Begründung, es sei durch die Bibel widerlegt, der zufolge Gott der Sonne geboten habe, stillzustehen. Also bewege sie sich um die Erde.
Keine Spur von einer wissenschaftlichen Erörterung oder Bewertung, weder in dem angeblichen Dokument von 1616, noch in dem Prozeß 1633.
Es ist umstritten, ob der Text dieser "Ermahnung" nachträglich gefälscht wurde, um Galilei einen Verstoß dagegen nachzuweisen. Jedenfalls legte die Inquisition kein schriftliches Dokument vor, das, wie damals in solchen Fällen üblich, notariell durch Unterschrift beglaubigt worden wäre, sondern nur einen Aktenvermerk über eine angebliche mündliche Ermahnung Galileis im Jahr 1616.
Juristisch ging es zwei Wörter, nämlich docere und tenere. Das heißt "lehren" und "vertreten". Das war laut diesem Aktenvermerk in Bezug auf das kopernikanische Weltbild Galilei verboten worden.
Galilei erklärte, er hätte das kopernikanische Weltbild zwar neben dem ptolemäischen gelehrt, dh seine Studenten darüber in Kenntnis gesetzt, es aber nicht als allein richtig "vertreten". In der Tat hat er - das genaue Gegenteil von dem, was Zander suggeriert - niemals dogmatisch die´Richtigkeit dieses Weltbilds behauptet, sondern es nur als das im Lichte der Fakten wahrscheinlichere bezeichnet; im "Dialogo" kann das jeder nachlesen.
Also, lieber Herzog, ich habe mich, ehrlich gesagt, bei der Lektüre Zanders schon kräftig geärgert.
Der Versuch, die damals allein politisch motivierte und allein formaljuristisch begründete Verurteilung Galileis nachträglich als sozusagen von einer höheren wissenschaftsteoretischen Warte aus gerechtfertigt darzustellen, ist Geschichtsklitterei.
Und so angenehm, wie es Zander darstellt, war der carcer für Galilei keineswegs. Von 1633 an, da war er fast siebzig, bis zu seinem Tod neun Jahre später durfte er den Hausarrest in Arcetri nicht verlassen, trotz aller seiner Gesuche. Gefoltert war er zwar während des Prozesses nicht worden, aber in dem Verhör am 21. Juni 1633 war ihm die Folter angedroht worden, falls er nicht "die Wahrheit sage".
Galilei wurde wegen seiner wissenschaftlichen Ansichten aus politischen Gründen verfolgt.
Er war ein Opfer einer damals freiheits- und wissenschaftsfeindlichen katholischen Hierarchie.
Daß es heute den Versuch gibt, das zu leugnen und ihn, wie es Zander tut, zu einem eitlen Aufschneider zu machen, der zu Recht verfolgt wurde, empfinde ich als schon ein wenig empörend.
Brecht und viele Kommunisten haben Galilei zu einem edlen Kämpfer gegen die Reaktion stilisiert; was Kappes ist. Zander macht jetzt etwas Ähnliches, nur mit umgekehrter Zielrichtung.
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