Lieber Zettel,
Ihre jüngste Invektive gibt mir Gelegenheit, zusammenzufassen, was mich an Ihrem Anti-Obama smear stört:
1.) Für mich ist das, was Obama in dem Interview mit Blitzer gesagt hat, kein Herumeiern. Ich kann keinen Widerspruch zu dem erkennen, was er auf seinen eigenen Homepage zu dem Thema äußert. In Verhandlungen mit der irakischen Regierung mit der Maßgabe zu gehen, dass der Truppenabzug nach 16 Monaten abgeschlossen sein soll, folgt der gleichen Logik, die Befürworter eines Angriffs auf den Iran zu Grunde legen: Wenn wir am Anfang keine klare Linie haben und kein klares Ziel haben, dann werden wir nicht ernst genommen.
Aber der Einfachheit halber nehmen wir mal an, dass Sie recht haben und Obama also herumeiert:
2.) Im Moment geht es nicht um die Präsidentschaft, sondern um die Vorentscheidung in den jeweiligen Lagern. Jetzt Obama flip-flopping vorzuwerfen, heißt also, Hillary Clinton zu empfehlen. Entschuldigung, aber es ist völlig lächerlich, bei der Wahl zwischen einer Kandidatin, die lügt, wenn sie den Mund aufmacht und einem Kandidaten, der in einem für einen Politiker absolut vertretbaren Maße herumeiert, die Wahl der Lügnerin zu empfehlen.
3.) Da es sich um eine parteiinterne Vorentscheidung handelt, wird man den Demokraten zugestehen müssen, dass für sie entscheidend ist, wer von den beiden Kandidaten die besseren Chancen gegen McCain hat. Das war bis vor ein paar Wochen nach Meinung der "Experten", des Partei-Establishments und der Basis eindeutig Hillary Clinton. Mittlerweile sind die "Experten" gespalten, das Partei-Establishment schwenkt zu Obama über und die Basis hat sich entschieden, weder auf die "Experten" zu hören, noch auf das Establishment.
Es ist völlig klar, dass Hillary Clinton gegen John McCain keine Chance haben würde. Die Obama-Anhänger können jetzt in Umfragen viel erzählen, aber sie werden weder für Hillary Clinton Wahlkampf machen, noch werden sie sie wählen. Und die konservativen McCain-Gegner werden sie auch nicht wählen. Damit ist ein Sieg McCains vorprogrammiert.
Da sowohl McCain als auch Clinton bereits während der parteiinternen Vorentscheidung plumpes Negative Campaigning betreiben (im Gegensatz zu Obama, bei dem diese Taktik nicht im Vordergrund steht und der sein sparsam dosiertes Negative Campaigning sehr intelligent aufzieht), ist auch völlig klar, dass ein Wahlkampf zwischen McCain und Clinton in eine nie dagewesene Schlammschlacht ausarten würde. Und das Letzte, was Amerika will und was Amerika braucht, ist, dass sich zwei alte, verbrauchte Politiker monatelang mit Dreck bewerfen. Das sagen alle Umfragen, das lese ich in den Zeitungen und das sagen mir meine Freunde (allesamt hart arbeitende, nüchterne Konservative, die sich für Barack Obama erwärmen können, von Michelle Obama hingerissen sind - und McCain glasklar ablehnen).
Sie können ja von mir aus noch monatelang auf Obama rumhacken und McCain preisen (so, wie sie damals wochenlang auf Royal rumgehackt und Sarkozy gepriesen haben, wovon sie jetzt nichts mehr wissen wollen), aber sinnvoller wäre es, sich von den Umfragen ab- und dem amerikanischen Volk zuzuwenden.
4.) Dem verhassten Gegner flip-flopping vorzuwerfen, ist die älteste Wahlkampftaktik, die sich denken lässt - und die schon deshalb zu verurteilen ist, weil sie den Charakter von Politik völlig verkennt.
5.) Wenn Sie vielleicht nochmal nachlesen wollen, was ich geschrieben hatte? Ein bedingungsloses Endorsement für Obama werden Sie daraus nicht ableiten können. Dass ich Obama für besser geeignet als Clinton und auch für besser geeignet als McCain halte, heißt nicht, dass ich besonders begeistert von ihm bin. Und für Europa wird es absolut keinen Unterschied machen, jedenfalls, was die Forderungen angeht, die von der neuen Regierung an uns gestellt werden werden.
6.) Sie werfen Obama vor, herumzueiern vor; früher haben sie ihm mangelnde Verantwortung vorgeworfen, weil er die Truppen sofort aus dem Irak abziehen will. Sie ändern also jeweils ihre Angriffsrichtung. Man könnte auch sagen: Sie eiern herum.
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