"Also, das ist natürlich Kappes. Die USA wollten bisher deshalb die Türkei in der EU haben, weil sie - das wurde ja hier in diesem Thread schon diskutiert - die Türkei als Bollwerk gegen den Sowjetkommunismus sahen. Durch den Beitritt zur EU sollte die Türkei dauerhaft an den Westen gebunden werden."
Das wiederum kann nicht sein, denn als die EG in die EU umgewandelt wurde... meines Wissens 1993... gab es die Sowjetunion nicht mehr, ergo kann zu dieser Zeit die Türkei nicht als "Bollwerk gegen den Sowjetkommunismus" angesehen worden sein, daher wäre die Befürwortung eines EU-Beitritts der Türkei aus diesem Grunde völlig absurd. Abgesehen davon war die Türkei schon seit langem NATO-Mitglied, was sicherlich kein Zeichen für eine (pro-)kommunistische Haltung in Ankara gewesen sein dürfte.
Was allerdings wohl eher richtig ist, ist dass die Türkei als südöstlicher Vorposten gegen die Sowjetunion und den Kommunismus in die NATO aufgenommen wurde. Geographisch hat die Türkei die immer wieder, auch früher von Russland, begehrten Meerengen als Mitgift in die NATO gebracht, und umgekehrt dürfte es wohl auch nicht im Interesse der Türkei gelegen haben, zum Satelliten der UdSSR zu werden.
Die Theorie, daß eine Aufnahme der Türkei in die EU von den USA befürwortet wird, um den Islam(ismus) von den USA abzulenken, höre / lese ich heute zum ersten Mal. Es würde aber durchaus zur Destabilisierungsidee passen, denn eine EU, die von innen heraus mit sich selbst dauerbeschäftigt ist, kann keine Großmacht in der Welt werden. Nicht dass sie es unter den derzeitigen Voraussetzungen ohnehin nicht könnte. Aber ich denke mal, den USA ist es ganz recht, wenn außer ihr erstmal niemand Thronanwärter spielen darf, denn sicherlch will Russland zurück auf die Weltbühne - wenn auch mit stark veränderten Einflusssphären, nachdem Osteuropa bis auf Weißrussland verloren ist - und China erinnert teilweise an das wilhelminische Deutschland, zumindest dahingehend, dass es sich wohl als eine Art zu spät gekommene Nation sieht, die jetzt endlich ihren Platz an der Sonne will. Das liegt den USA ohnehin schon schwer genug im Magen und es wird ich sicherlich nicht bessern. Dann noch eine starke EU im Weltmächtekonzert, das brächte die USA wohl, um bei dem Bild zu bleiben, zum Kotzen. Wobei ja möglicherweise die USA einen EU-Beitritt der Türkei auch hinsichtlich Russlands befürworten. Eine Türkei, die ihre Einflusssphären nach Süden und Südosten zu erweitern versucht, würde da zwangsläufig Russland in die Quere kommen. Durch die NATO ist die Türkei militärisch geschützt, eine EU-Mitgliedschaft könnte ihr weitere Türen und Tore dort öffnen. Aus Sicht der USA wäre das dann ein "wehret den Anfängen," eine Art "Russian Containment," zumal Russland ja nun auch immer gern ein unsicherer Kantonist ist. Ob da allerdings nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird, ist eine andere Frage.
Fakt ist allerdings, dass eine Aufnahme der Türkei in die EU letztere nicht stabiliseren würde. Im Gegenteil; speziell, wenn die Türkei sich anschickt, ihre Interessens- und Einflusssphäre in Richtung Balkan auszudehnen. Aber auch, wenn es in die entgegengesetzte Richtung gehen sollte, wäre das für die EU nicht förderlich, zumal sich überall nach Asien hin (poentielle) Krisenherde befinden. Syrien, damit auch Libanon und Israel, die ja nur kurz dahinter liegen, Nordirak - die Türkei würde sich für das Geschenk herzlich bedanken - Iran, Kaukasus. Die EU wäre mit und vor allem an diesen neuen Außengrenzen ersmal eine Weile beschäftigt und abgelenkt und kommt den USA nicht in die Quere. Vor allem aber dürfte so etwas für die EU erstmal ein massives Hochrüsten bedeuten, um die Sicherheit der neuen Grenzen zu gewährleisten.
Bei alledem darf natürlich nicht vergessen werden, daß die USA zur Zeiten des Kommunsimus an starken europäischen, speziell NATO-Staaten, interessiert war, damit diese Staaten nicht doch irgendwann dem Kommunismus anheimfallen (z.B. nach einem Umsturz im Inneren mit anschließender kommunistischer / sozialistischer Machtergreifung). Speziell West-Deutschland wurde noch mehr als Vorposten gegen den Kommunismus gebraucht als Griechenland oder die Türkei, so dass ein schwaches Westdeutschland immer wie ein Messer in den Rippen gewesen wäre; daher auch das rege Interesse, auch den ehemaligen Kriegsgegner Deutschland schnellstmöglich wieder flottzubekommen (ich beziehe mich auf den Marshallplan und skizziere das mal aus Sicht der 50´er). Auch ein stärkeres Zusammengehen NATO-Europas durch Intensivierung und Ausweitung der EG war in diesem Zusamenhang zur Not auch noch gerngesehen. In diesem Zusammenhang kann vielleicht auch das Ja zur deutschen Einheit gesehen werden. 1989/90 stand ja nun nicht fest, wie es in Osteuropa weitergehen würde, also gaben die USA ihren Segen zur Einheit. Falls Gorbatschow nämlich nur eine kurze "Moskauer Frühlingserscheinung" sein sollte, hätte der Westen dem Kommunismus zumindest etwas Boden und vor allem etwas von seiner Einflusssphäße abgetrotzt, also mussten entsprechende Fakten, mit friedlichen Mitteln nicht umkehrbare faits accomplis, geschaffen werden, bevor es vielleicht zu einem Umsturz in der Sowjetunion kommen würde... und so sicher saß Gorbatschow ja nun nicht im Sattel, wie der Putschversuch Janajews von 1991 zeigt. Das mag zwar kein vordringlicher Grund für das amerikanische Ja zur deutschen Einheit gewesen sein, dürfte aber dennoch zumindest mal ein Gegenstand in den entsprechenden Think-Tank-Erörterungen gewesen sein.
Was ich bei alledem, um mal wieder den Bogen zur Gegenwart zu spannen, nicht verstehe ist, wieso wichtige EU-Paragraphen für die Türkei außer Kraft gesetzt werden... zum Beispiel ist m.W. ein Aufnahmekriterium, daß ein Beitrittskandidat nicht mit einem EU-Mitglied in Konflikt liegen darf... und da wäre die Zypernfrage, die im Grunde genommen bis heute nicht beigelegt ist... und Griechenland ist EU-Mitglied.
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