Hallo Paul,
in der Vergangenheit wurde in diesem Forum in mehreren Strängen zum NSU umfangreich und kontrovers diskutiert. Da dachte ich, hier ist meine Darstellung an der richtigen Stelle. Mit Widerspruch habe ich gerechnet, mit einem wütenden "Halt die Klappe!" nicht. Aus diesem Grund sind einige erklärende Bemerkungen erforderlich, bevor ich auf Ihre Frage eingehe.
Nach quälenden Monaten U-Haft und Prozess wurde Kachelmann letztlich doch freigesprochen. Wäre das Urteil so günstig für den Angeklagten ausgefallen, hätte er nicht unter dem Schutz der Öffentlichkeit gestanden? Zweifel sind angebracht.
In den letzten Jahren sind mehrere Fälle von furchtbarem Justizversagen bekanntgeworden. Spontan fallen mir Michelsen, Witte, Wörz, Arnold und Mollath ein. Der letzte bundesweit berichtete Fall ist Ulvi Kulac, Details können Sie auf http://www.ulvi-kulac.de/ lesen. Am besten tun Sie das im Liegen, was dort abging haut einem den Hocker weg. Gemeinsam ist diesen Fällen, dass Personen zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, obwohl es an deren Unschuld eigentlich zu keiner Zeit vernünftige Zweifel gab. Aufgehoben wurden diese Urteile erst, als sich anwaltliche Schwergewichte mit öffentlicher Unterstützung der Sache angenommen haben. Außerhalb Deutschlands sieht es leider nicht viel besser aus. Über die Justiz in Diktaturen müssen wir nicht reden. Aber selbst in den sogenannten "Rechtsstaaten" ist es nicht besser als in Deutschland. Bürgerinitiativen in den USA haben in den letzten Jahren reihenweise Verurteilte aus den Todeszellen geholt.
Man wagt gar nicht daran zu denken, wie viele Unschuldige im Gefängnis sind, die nicht das Glück öffentlicher Unterstützung haben. Man ist entsetzt wenn man sieht, dass es in der Justiz keine Korrekturmechanismen und keine Selbstreinigungsprozesse gibt, wie der mehrstufige Prüfprozess verpufft, wenn in der Praxis nichts weiter passiert als dass einer vom anderen abschreibt. Es hat sich gezeigt, dass es nur eine Möglichkeit gibt, das Justizversagen einzuhegen: die kritische Beobachtung durch die Öffentlichkeit.
Dass auch in unserem Fall die kritische Begleitung durch die Öffentlichkeit angebracht ist, zeigt allein der Fall Ziercke (siehe oben), der am 21.11.2011 gegenüber dem Bundestagsinnenausschuss aussagte, dass in Mundlos´ Lunge Rußpartikelchen gefunden wurden. Diese Aussage ist ausweislich des Obduktionsberichts falsch. Weiß BKA-Chef Ziercke nicht, dass man als Zeuge gegenüber einem Bundestagsausschuss die Wahrheit sagen muss?
Oder nehmen wir die von Erling Plaethe freundlicherweise verlinkte Presseerklärung des GeneralbundesanwaltsZitat von Erling Plaethe im Beitrag #9 http://www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?themenid=13&newsid=419
Lesen Sie mal, was Wikipedia zur Unschuldsvermutung verlinkt. Da wird die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zitiert Zitat von UN-Menschenrechtscharta Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.
und die Europäische Menschenrechtskonvention Zitat von Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig
Dagegen halten wir die von Erling Plaethe verlinkte Presseerklärung Zitat von GBA Pressemitteilung 13.11.2011 - 37/2011 Haftbefehl gegen die Brandstifterin von Zwickau
Am 13.11.2011 gab es kein rechtskräftiges Urteil gegen Zschäpe. Am 13.11.2011 gab es kein erstinstanzliches Urteil gegen Zschäpe. Am 13.11.2011 wurde noch nicht über die Zulassung der Anklage entschieden. Am 13.11.2011 war noch nicht mal Anklage erhoben. Trotzdem veröffentlicht der Generalbundesanwalt schon mal die Wertung, Zschäpe ist eine Brandstifterin. Hat der Generalbundesanwalt noch nie von der Unschuldsvermutung gehört?
Der BGH hat im Beschluss StB 1/12 beschlossen Zitat von BGH Beschluss StB 1/12 vom 28. Februar 2012 Ferner findet sich <im Bekennervideo, T.> eine Montage mit Einblendung einer der <Michelle Kiesewetter und Martin A., T.> entwendeten Dienstwaffen, in der "Paulchen Panther" einem Polizisten in den Kopf schießt.
Hier die Einblendung, wo "Paulchen Panther" einem Polizisten in den Kopf schießt. Und hier sehen wir die heute übliche Dienstwaffe der Polizei, eine H&K P2000. Becker, Huber und Mayer gehören zu den ranghöchsten und höchstbezahlten Richtern Deutschlands. Man kann von so einem jeden Tag Qualitätsarbeit erwarten. Aber OK, auch Bundesrichter haben vielleicht mal einen schlechten Tag, "ein Brett vorm Kopf". Doch kann das sein, dass alle DREI Bundesrichter an diesem Tag keine klaren Bilder gesehen haben, dass DREI Bundesrichtern der Unterschied zwischen einer schwarzen (brünierten) Pistole und einem silbergrauen Revolver nicht ins Auge gesprungen ist?
Egal was und wie, allein diese drei Facetten zeigen, das driftet alles ins Irrationale, wenn sich keine kritische Öffentlichkeit kümmert.
Zu dem von Erling Plaethe freundlicherweise verlinkten SPIEGEL-Artikel vom "August" Zitat von SPIEGEL 19.08.2012, 6 von 13 Beschuldigten im NSU-Verfahren kooperieren mit Ermittlern Der Mitbeschuldigte Carsten S. holte, seinem Geständnis zufolge, die Waffe in Jena ab und brachte sie nach Chemnitz, wo er sich mit dem Trio traf.
ist eine Ergänzung notwendig. Der verlinkte Tagesspiegel-Artikel (obwohl fast 2 Jahre neuer) hilft leider nicht weiter, der bringt zwar viele Kraftausdrücke, nur kein Jota mehr Information. Also müssen wir selbst nachsehen, was Carten S. (von dessen Glaubwürdigkeit ich genauso überzeugt bin wie die hohen Richter) so alles gestanden hat. Wenn wir mit dem Tagesspiegel nicht weiter kommen, vielleicht hilft der SPIEGEL Zitat von SPIEGEL June 12, 2013, Neo-Nazi Trial: Tearful Testimony Hints at Unknown Attack The NSU, which stands accused of murdering 10 people between 2000 and 2007 in addition to perpetrating several bomb attacks and bank robberies, was just getting started when the meeting referenced by Carsten S. took place in a café in the Galeria Kaufhof department store in Chemnitz. It was, in fact, during that meeting that Carsten S. handed over the Ceska handgun he had obtained for the trio -- a weapon that was used to kill nine of the 10 murder victims.
(emphasis added) Werfen wir einen Blick auf die Tatzeiten: Enver S. wurde am 09.09.2000 ermordet. Abdurrahim Ö. wurde am 13.06.2001 ermordet. Süleyman T. wurde am 27.06.2001 ermordet. Habil K. wurde am 29.08.2001 ermordet. Der Ort der Mordwaffenübergabe, die Galeria Kaufhof, wurde für das Publikum am 18.10.2001 eröffnet - anderthalb Monate nach dem vierten Mord.
Weil wir gerade bei Presserklärungen sind, es gibt noch mehrere davon, z.B. die vom 29.11.2011 Zitat von Presserklärung GBA 29.11.2011, 41/2011 Weitere Festnahme im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Mitglieder und Unterstützer der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)"
Die Bundesanwaltschaft hat heute Morgen (29. November 2011) aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. November 2011 den 36-jährigen deutschen Staatsangehörigen Ralf W. in Jena durch Beamte des Landeskriminalamts Thüringen festnehmen lassen. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, Beihilfe zu sechs vollendeten Morden und einem versuchten Mord der terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ geleistet zu haben. … Aufgrund seiner anhaltenden Verbindung zu der unter falscher Identität lebenden Gruppe wusste er von ihren terroristischen Straftaten. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, dem „NSU“ 2001 oder 2002 eine Schusswaffe nebst Munition verschafft zu haben.
(emphasis added) Warum eigentlich nur sechs vollendete Morde? Und wann wurde gleich noch mal Enver S. ermordet?
Noch eine Bemerkung zum Brand und Explosion in Zwickau. Bei NSU-Watch liest sich das so Zitat von NSU-Watch, Protokoll 15. Verhandlungstag – 25. Juni 2013 Es sei eine hohe Konzentration von Benzin feststellbar gewesen, es habe sehr stark danach gerochen. Eine Gasexplosion sei auszuschließen gewesen, da nur im angrenzenden Haus 26a Gas anliege, dort aber alles in Ordnung gewesen sei. … Das LKA Sachsen habe an 22 Stellen, an denen die Hunde angeschlagen hätten – in der ganzen Wohnung verteilt – Spuren entnommen und an 19 Stellen Benzin nachgewiesen. Drei Stellen seien offen geblieben, da sei aber wahrscheinlich auch Benzin zu finden gewesen, weil Hunde besser als jede Laboranalyse seien.
und so Zitat von NSU-Watch, Protokoll 38. Verhandlungstag – 24. Sept 2013 Durch den Bagger habe das Dach angehoben werden sollen, um das Gebäude gefahrlos betreten zu können. Das sei der Einsatz des Baggers gegen 22 Uhr bis 2 Uhr, wo er, L., das Objekt übernommen habe. Schneiders hält vor, in den Akten stehe, L. habe gegen 22 Uhr das weitere Abreißen des Gebäudes untersagt. L. sagt, das müsse 2 Uhr heißen, da habe er das Objekt für alle gesperrt. Schneiders fragt nach dem Grund dafür. L. sagt, das sei das normale Vorgehen, um Spuren zu sichern, angesichts des Ausmaßes des Brandes und der Verwendung von Ottokraftstoff, den er schon selbst habe riechen können.
(emphasis added) Klingt ganz gut, wenn da nicht noch andere Berichte wären. Zum Beispiel lesen wir im von der Feuerwehr nach dem Einsatz ins Netz gehängten Bericht Zitat von Blaulichtfahrzeuge, DE - SN - Zwickau - 04.11.2011 - Explosion einer Doppelhaushälfte Die Polizei setzte am Folgetag mehrere Leichen- und Brandbeschleunigerspürhunde ein, fand aber nichts. Es konnte definitiv ausgeschlossen werden, das sich die vermissten Personen im Gebäude befanden.
Die Ursache der Explosion ist derzeit noch unbekannt und wird durch die Brandursachenermittler der Kriminaltechnik ermittelt.
(emphasis added) BILD meldete einen Tag nach dem Brand Zitat von BILD 05.11.2011, Nach Wohnhausexplosion: drei Menschen vermisst Speziell ausgebildete Leichen- und Brandspürhunde haben nach der Explosion in einem Zwickauer Wohnhaus nach möglichen Opfern gesucht. … Die Hunde sollten auch dabei helfen, die Ursache für die Explosion zu klären. Bisher gebe es allerdings noch keine Anhaltspunkte,
Der MDR brachte Zitat von MDR 05.11.2011, Bewohner von explodiertem Haus weiter vermisst Die Ursache des Unglücks ist noch unbekannt. Auch der Einsatz der Spürhunde am Sonnabend hat nach Angaben der Polizei keine neuen Anhaltspunkte erbracht.
Die Mitteldeutsche Zeitung Zitat von Mitteldeutsche Zeitung, 05.11.2011, Drei Vermisste nach Wohnhausexplosion Die Hunde sollten auch dabei helfen, die Ursache für die Explosion zu klären. Bisher gebe es allerdings noch keine Anhaltspunkte, die Untersuchungen dauerten an.
Die Märkische Onlinezeitung meldete noch einen Tag später Zitat von Märkische Onlinezeitung 06.11.2011, Nach Wohnhausexplosion Menschen weiter verschwunden Zum Einsatz kamen auch Brandmittelspürhunde, um die Ursache für die Explosion zu klären. Bisher gebe es allerdings noch keine Anhaltspunkte, die Untersuchungen dauerten an. "Es kann nichts ausgeschlossen werden, weder Unfall noch Brandstiftung."
Problematisch ist nicht so sehr, dass die Aussagen sich gegenseitig ausschließen. Vielleicht gibt es eine harmlose Erklärung. Doch warum macht das hohe Gericht überhaupt keine Anstalten, die Widersprüche aufzuklären?
Wir haben hier verschiedene Quellen, die m.E. alle gleich glaubwürdig sind. Aber jemand muss was falsches verbreitet haben, was anderes lässt die Logik nicht zu.
Hat KHM L. als Zeuge das Gericht angelogen? grrrrrh
Haben die Kameraden der Feuerwehr gelogen? Den Schlawinern trau ich eher zu, dass die ihre Heldentaten rhetorisch überhöhen. Einen Erfolg (Brandbeschleuniger gefunden) nicht an die große Glocke zu hängen? Never ever.
Haben die Praktikanten von MDR, BILD, Märkische Oderzeitung und der Märkische Onlinezeitung beim Abschreiben der DPA-Meldung was falsch gemacht? Sind alle zu dumm zu copy+paste? Neee.
Hat DPA die Aussagen des Polizeisprechers falsch widergegeben? Ach was. "Keine Anhaltspunkte" heißt keine Anhaltspunkte. Das begreifen sogar die DPA-Leute.
Oder hat der Polizeisprecher gelogen? Glaube ich nicht. Warum sollte er?
Ob das Gericht das noch aufklärt? Vielleicht. Wir sind ja erst beim 135. Verhandlungstag. Vielleicht passiert es doch noch, am 300. oder am 3000. Verhandlungstag. Bekanntlich soll man die Hoffnung nicht aufgeben. Und immer an das Gute im Menschen glauben.
Im netten Portal "Erziehung-Online" gab es noch diesen Eintrag
Zitat von Erziehung-Online, Eintrage von ´Erdnuckel´ am 06. November 2011, 20:07:16 Bei meinem Onkel in einem Mietshaus gab es vor 2 Tagen eine Gasexplosion, er darf jetzt nicht mehr rein, er hatte sich gestern noch schnell mit meinem Cousin ( er ist bei der feuerwehr ) ein paar Klamotten und das wichtigste rausgeholt. leider nicht viel, da es vor gestank bald nicht auszuhalten war. Jetzt habe ich die Wäsche gewaschen und es richt immer noch nach Gas, hat man da irgend eine Möglichkeit das raus zubekommen?
Einen Tag später von der gleichen Autorin Zitat von Wenn es interessiert kann gern mal goo+eln; Explosion Weißenborn ( seine Wohnung ist links oben )
(emphasis added) Was das bedeutet? Keine Ahnung. Aber man wundert sich, warum von den jeden Tag beim Prozess haufenweise anwesenden Richtern, Staatsanwälten, Nebenklageanwälten und Verteidigern kein einziger das hinterfragt.
Sind wir jetzt durch? Nein, lieber Paul. Wir sind nicht am Ziel, wir haben uns gerade an der Startlinie aufgestellt, wir könnten noch viel mehr an diesem Fall analysieren.
Zu Ihrer Frage Zitat von Paul im Beitrag #8 Können Sie vielleicht Ihr Anliegen in einem Zehnzeiler zusammenfassen
Die BKA BAO Trio hat mit einem Personalbestand von mehreren Hundert Mitarbeitern ein ganzes Jahr ermittelt. Ein Bundestagsuntersuchungsausschuss und vier Landtagsuntersuchungsausschüsse haben sich ausgiebig mit dieser Sache befasst. Der Prozess, in dem das Gericht alle Macht der Welt zur Erforschung der Wahrheit aufbieten kann, läuft schon über ein Jahr.
Trotzdem ist die Beweislage dünn und belastbar wie nasses Seidenpapier. Tatbeweise gibt es trotz der Unmenge unterstellter Verbrechen überhaupt keine. Was die als Indizien aufbieten, ist entweder nur schwach belastend oder gar (wie im Fall der Tatwaffenübergabe) eine Entlastung der Angeklagten (auch für die toten Mundlos und Böhnhardt).
Welche vernünftige Wertung ist hier die einzig in Frage kommende? Da muss man nichts erfinden, die Tatsachen sprechen für sich.
Eigentlich ist schon der Tonfall der Postings von Erling Plaethe und Kallias aussagekräftig genug. Die NSU-Story ist nur noch durch die Unterdrückung der Wahrheit zu halten. Sehen Sie auf das Verhalten des ZR-Zensorteams.
Absacker
Am 16.09.2013 nachmittags sollte Florian H. beim Staatsschutz aussagen (es ging um den Polizistenmord in Heilbronn). Die Aussage fiel aus, weil der Zeuge am Morgen dieses Tages in seinem Auto verbrannt ist. Angeblich hat er sich selbst verbrannt und das Motiv soll Liebeskummer gewesen sein. Eine Quelle für das Motiv Liebeskummer konnte die Polizei bis heute nicht offenbaren.
Im April ist Thomas R., der V-Mann Corelli, mitten im Zeugenschutzprogramm an Diabetes gestorben. Anstatt eines Kommentars dazu nur ein Zitat von dieser AutorinZitat von Nola im Beitrag RE: Der NSU-Prozeß, die Medien und die Politik Und so folgt eine Ungereimtheit der anderen in dieser Dramaturgie, deren Ablauf für immer neue Überraschungen sorgt
Ob Beate Zschäpe nächstes Jahr noch lebt? Wir werden das beobachten.
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