Nachdem Gerhard Schröder 2005 die Wahlen verloren hatte, hat er sich am Wahlabend und dann noch Tage danach zum Wahlsieger erklärt.
Damals erschien mir das schlicht als Chuzpe, als der unverfronene Versuch zu bluffen. Aber dank des Politiologen Franz Walter wissen wir jetzt, daß sich Schröder damals nur wie ein "großer Politiker" verhalten hat.
kann man Politiker, die solchen Unsinn erzählen, nicht offiziell für blöd erklären lassen? Wer offensichtlich nicht in der Lage ist, eine so einfache Aufgabe zu erledigen, wie bei zwei Zahlen festzustellen, welche größer ist, darf doch nicht ernsthaft Regierungsverantwortung bekommen.
Daß sie sich bei diesem hemmungslos absurden Theater, das sie abziehen, nicht selber lächerlich vorkommen, wundert mich allerdings. Auch immer wieder beliebt sind Interpretationen des Wählerwillens anhand von Wahlergebnissen. Ach ja, ein Mehrheitswahlrecht wäre schön, damit dieser Zirkus entfällt.
Zitat von RexCramerkann man Politiker, die solchen Unsinn erzählen, nicht offiziell für blöd erklären lassen?
Wenn wir Franz Walter glauben, lieber RexCramer, dann sind sie ja die klugen Strategen, die es mit Tricksen und Täuschen versuchen.
Allerdings schreibt er auch, man solle sich nicht erwischen lassen. ("Man muß nur aufpassen, daß das alles zugleich als 'glaubwürdig' erscheint"). "Glaubwürdig" schreibt er in Anführungszeichen, der Politologe.
Manchmal frage ich mich, ob die hessische SPD nicht vielleicht Walter als ihren Ratgeber engagiert hat.
Die Rechnung ist, glaube ich, einfach: Die meisten Wähler lesen ja nicht das amtliche Endergebnis und auch nicht ZR.
Sie erinnern sich aus der Wahlnacht, daß die SPD in den Hochrechnungen vorn lag. Sie erinnern sich, daß die CDU Stimmen verlor und die SPD welche (relativ zu ihrer vernichtenden Niederlage bei den vorausgehenden Wahlen) gewann.
Also kann man's ja versuchen, sich zum Wahlsieger zu erklären. Die CDU braucht der SPD diese Roßtäuscherei nicht abzunehmen, denn natürlich will sie mit der CDU genauso wenig ernsthaft verhandeln wie mit der FDP.
Es geht darum, der FDP und der CDU den Schwarzen Peter dafür zuzuspielen, daß Ypsilanti sich von den Kommunisten mitwählen läßt. (Wobei ja hier im Forum R.A. aus Kenntnis der hessischen SPD schon vor Wochen darauf hingewiesen hat, daß das an der hessischen SPD scheitern könnte).
Zitat von RexCramerDaß sie sich bei diesem hemmungslos absurden Theater, das sie abziehen, nicht selber lächerlich vorkommen, wundert mich allerdings. Auch immer wieder beliebt sind Interpretationen des Wählerwillens anhand von Wahlergebnissen.
Sie sehen das, glaube ich, als die Kunst der Politik an. Siehe Franz Walter.
Zitat von RexCramerAch ja, ein Mehrheitswahlrecht wäre schön, damit dieser Zirkus entfällt.
Find ich auch. Aber wir werden es nicht bekommen; jetzt erst recht nicht.
Denn die Kommunisten würden jetzt, sollte man es einzuführen, "Manipulation!" rufen und dafür viel Zustimmung bekommen.
Die einzige Chance in der Geschichte der Bundesrepublik für eine Einführung des Mehrheitswahlrechts war 1969, als die NPD den Einzug in den Bundestag nur knapp verfehlte.
Hätte sie damals statt 4,3 Prozent 5,3 Prozent bekommen, dann hätte es keine sozialliberale Koalition gegeben, sondern zwangsläufig eine Fortsetzung der Großen Koalition.
Und diese hätte erstens die Mehrheit gehabt, um das Wahlrecht zu ändern. Zweitens hätte es keine Regierungspartei gegeben, der das geschadet hätte. Und drittens hätte man den sehr guten Grund gehabt, der NPD damit den Garaus zu machen.
Man hätte damals eine Variante einführen können, die eine kleine demokratische Partei wie die FDP nicht ausgeschaltet hätte. Zum Beispiel das französische Modell der zwei Wahlgänge.
Aber es kam bekanntlich anders. Es kam die sozialliberale Koalition, und mit der FDP in der Regierung war an ein Mehrheitswahlrecht nicht mehr zu denken.
So entscheiden manchmal kleine Umstände über den Gang der Geschichte. Denn unter einem Mehrheitswahlrecht wären die Kommunisten niemals im Westen ein relevanter Faktor geworden; vermutlich noch nicht einmal im Osten.
Herzlich, Zettel
RexCramer
(
gelöscht
)
Beiträge:
02.03.2008 11:11
#4 RE: Zitat des Tages: Ypsilantis Potemkinsches Dorf
Zitat von ZettelWenn wir Franz Walter glauben, lieber RexCramer, dann sind sie ja die klugen Strategen, die es mit Tricksen und Täuschen versuchen. ... Sie sehen das, glaube ich, als die Kunst der Politik an. Siehe Franz Walter.
entschuldigen Sie bitte meine Unaufmerksamkeit, denn das hatte ich dummerweise vergessen. Einem kleinen Geist wie mir ist es leider nicht immer möglich, dieses große Format als solches zu erkennen!
Zum Mehrheitswahlrecht:
Realistisch ist das natürlich nicht, keine Frage. Auch bei entsprechender Mehrheit nicht, denn die ganzen Listenabgeordneten müßten ja für ihre eigene Abschaffung stimmen. Viel wahrscheinlicher ist für mich, daß ich irgendwann die Faxen dicke haben werde, wenn Strukturreformen weiter ausbleiben und zum Kaschieren von Problemen stetig munter Steuern und Abgaben erhöht werden, und mein Leben in einem Land fortsetze, wo man eine andere Einstellung hat.
"Schön" ist in diesem Zusammenhang auch dieser Artikel: http://www.spiegel.de/politik/deutschlan...,538740,00.html Da lernen wir mal wieder, wie uns Kandidaten vorgesetzt werden und daß die Bürger in den Überlegungen keine Rolle spielen. Zum Weglaufen. Auch interessant ist, daß der "SPD-Parteivorstand auf Becks Vorschlag hin beschlossen" hat, "den Landesverbänden im Westen wieder freie Hand bei der Regierungsbildung zu geben." Daß sich niemand - vor allem in den Medien - an dem dahinterstehenden Demokratieverständnis stört, ist schon irritierend. Ich wußte gar nicht, daß Landesverbänden bzw. gewählten Volksvertretern Weisungen erteilt werden dürfen ...
Dazu der SPD-Abgeordnete Marco Bülow, der zu dem Schluß kommt, daß Bundestagsmitglieder "fast nichts" zu sagen haben (dessen Äußerungen auch bemerkenswert sind im Hinblick auf die Diskussion zur Gewaltenteilung hier im Forum):
In Antwort auf:Es kann zu heftigen Attacken kommen, bei denen die Redner deutlich machen, wie übel sie es finden, wenn sich jemand der Mehrheit verweigert.
In Antwort auf:Andererseits habe ich unter dem Druck der Partei und des Koalitionsvertrages schon mehrmals für Gesetzesvorlagen gestimmt, die ich persönlich ablehne.
In Antwort auf:Es ist so, dass über eine Gesetzesvorlage zum ersten Mal im Ausschuss abgestimmt wird, und in der SPD-Fraktion wurde entschieden, dass Gesetzesvorlagen in den Ausschüssen grundsätzlich nicht scheitern dürfen.
In Antwort auf:Die Gewissensentscheidung, die jedem Abgeordneten die freie Wahl lässt, gilt, wenn überhaupt, nur für das Plenum, nicht für den Ausschuss.
In Antwort auf:Die wichtigste Aufgabe einer Regierungsfraktion scheint vielmehr darin zu bestehen, die Vorgaben der Regierung möglichst kritiklos umzusetzen und die SPD-Minister in ein gutes Licht zu rücken.
In Antwort auf:Vor wichtigen Entscheidungen werden Abweichler unter Druck gesetzt und zum Beispiel zu Einzelgesprächen ins Büro von Peter Struck, unserem Fraktionsvorsitzenden, zitiert.
In Antwort auf:Wenn diese Entwicklung so weitergeht, kann man sich fragen, wozu Regierungsfraktionen noch gut sind. Zum Abnicken und Jasagen?
In Antwort auf:Besonders vorsichtig verhalten sich Abgeordnete, die über die Landeslisten ins Parlament gekommen sind; ...
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/index.php?id=110&tx_ttnews[tt_news]=3658&tx_ttnews[backPid]=116&tx_ttnews[showUid]=346&tx_ttnews[catSelection]=6 (Aus irgendeinem Grund läßt sich der Link nicht korrekt einfügen, daher die Textform.)
Wahrscheinlich ist er aber auch nur ein armer Irrer, der die großen Strategen nicht versteht und daher an der kurzen Leine gehalten werden muß!
Ach, eigentlich ist das nicht zum Lachen, wenn man drüber nachdenkt ...
MfG
P.S.: Vielleicht sollte man die namentliche Abstimmung abschaffen und dafür die geheime gesetzlich festschreiben, um Abgeordneten mehr Unabhängigkeit zu verleihen.
dieses Syndrom, sich trotz mangelnder Stimmenmehrheit zum Wahlsieger zu erklären, scheint sich ja seuchenartig in der SPD zu verbreiten! Ich denke, wir haben allen Grund, uns Sorgen zu machen. Wahnvorstellungen sind ja in der Politik nichts Neues, nur halte ich's da mit Altbundeskanzler Schmidt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!" Und Wahn ist noch dringender behandlungsbedürftig!
Zitat von Thomas PauliIch denke, wir haben allen Grund, uns Sorgen zu machen. Wahnvorstellungen sind ja in der Politik nichts Neues, nur halte ich's da mit Altbundeskanzler Schmidt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!" Und Wahn ist noch dringender behandlungsbedürftig!
"Though this be madness, yet there is method in't", sagt im Hamlet der Polonius, lieber Thomas.
Die Methode hier scheint ja zu funktionieren: Der Vorstoß Kochs in den letzen Tagen, seinerseits Regierungsanspruch anzumelden, ist in den Medien verhallt.
Wie bei den Bundestagswahlen 2005 kamen auch am 27. Januar wieder die Hochrechungen dieser Art von gezieltem Wahn über gefühlten Sieg entgegen.
CNN ist da viel professioneller. Dort betont der Fachmann für Hochrechnungen, John King, regelmäßig, daß sich die Werte für die einzelnen Kandidaten ändern können, weil die Wahlbezirke in den einzelnen Gegenden nicht im gleichen Tempo auszählen.
Füher galt die Faustregel: Zuerst kommen die Ergebnisse aus den Großstädten, zum Schluß die aus ländlichen Wahlkreisen. Das ist heute wohl nicht mehr so, im Zeitalter des Internet. Aber es gibt halt immer Wahlbezirke, die langsam sind. Sie können überall liegen; wenn ich mich recht erinnere, war diesmal einer aus Frankfurt besonders langsam.
Gute Wahlanalytiker - wie eben John King - berücksichtigen das. Sie gucken sich ständig an, welche Gegenden noch nicht ausgezählt sind, und bewerten die aktuelle Hochrechnung entsprechend. Erst wenn das Ergebnis trotz dieser Vorsicht hinreichend feststeht, wagt CNN eine Prognose ("calls the winner").
Bei uns wird das offenbar anders gehandhabt, so daß derjenige, der schon wie der Sieger aussieht, das am Ende keineswegs sein muß. 2002 ist es ja Stoiber so gegangen.
In Antwort auf:Andererseits habe ich unter dem Druck der Partei und des Koalitionsvertrages schon mehrmals für Gesetzesvorlagen gestimmt, die ich persönlich ablehne.
Der "Koalitionsvertrag", lieber RexCramer, das ist auch so ein Thema.
Da sitzen Leute zusammen, die für das, was sie tun, nicht die geringste Legitimation haben: Festzulegen, welches der Inhalt der Gesetze sein wird, die man in der kommenden Legislaturperiode mit seiner Regierungsmehrheit durchzusetzen gedenkt.
In diesen "Verhandlungskommissionen" sitzen Parteifunktionäre; sie müssen noch nicht einmal dem Bundestag angehören. Und die entscheiden, wie die Abgeordneten der betreffenden Parteien sich während einer Legislaturperiode verhalten werden!
Und diese müssen sich ja auch daran halten; bei Strafe eines Sturzes der Regierung.
Das ist eben das Elend des parlamentarischen Systems, das erstens (in der Regel) Koalitionen erzwingt und zweitens die Regierung so vom Parlament abhängig macht, daß nur dann ordentlich regiert werden kann, wenn die Abgeordneten der Regierungsparteien sich so verhalten, als gehörten sie faktisch der Exekutive an.
Dagegen hilft nur ein Präsidialsystem, in dem die Regierung primär dem Präsidenten verantwortlich ist. Der dafür nicht in die Gesetzgebung hineinzuregieren hat.
Eine balance of powers also statt der mixture of powers, die wir im parlamentarischen System haben.
Herzlich, Zettel
RexCramer
(
gelöscht
)
Beiträge:
03.03.2008 14:03
#12 RE: Zitat des Tages: Ypsilantis Potemkinsches Dorf
Zitat von ZettelDer "Koalitionsvertrag", lieber RexCramer, das ist auch so ein Thema. Da sitzen Leute zusammen, die für das, was sie tun, nicht die geringste Legitimation haben: Festzulegen, welches der Inhalt der Gesetze sein wird, die man in der kommenden Legislaturperiode mit seiner Regierungsmehrheit durchzusetzen gedenkt. In diesen "Verhandlungskommissionen" sitzen Parteifunktionäre; sie müssen noch nicht einmal dem Bundestag angehören. Und die entscheiden, wie die Abgeordneten der betreffenden Parteien sich während einer Legislaturperiode verhalten werden!
im Grunde könnte man den Funktionären in den Verhandlungsrunden die Stimmen virtuell zur Machtausübung entsprechend der Wahlergebnisse zur Verfügung stellen und die eigentlichen Abgeordneten und damit die Parlamente abschaffen. Eine perverse Vorstellung, die aber leider allzu dicht an der Realität liegt ...
"Das haben sie nun doch nicht verdient, der Marx und der Lenin"
Das stimmt wohl. Die waren aus einem anderem Holz geschnitzt als Kurt Beck, dem Elektriker aus der Pfalz. Obwohl ich ehrlicherweise, wenn dies die einzigen Optionen wären, immer noch Kurt Beck vorziehen würde.
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