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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 21 Antworten
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 Pro und Contra
Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

24.07.2008 23:30
Demokratie und Regierungswechsel Antworten

Ich verfolge gerade ein wenig das Vorgeplänkel zur bayerischen Landtagswahl, und stolpere dabei ständig über ein Argument, dass mir umso weniger einleuchten will, um so öfter ich es höre:

"Regierungswechsel sind eine Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie!".

Liegt es nur an meiner Einstellung als bayerischer Schwarzer, der mit der Regierung eigentlich immer ganz gut gefahren ist, dass mir das unsinnig erscheint? Meiner Meinung nach ist notwendig für eine funktionierende Demokratie, dass der Wähler die Möglichkeit, in freier, allgemeiner und gleicher Wahl zwischen mehreren Kandidaten oder Parteien zu wählen. Aber warum funktioniert Demokratie plötzlich nicht, wenn er sich über einen längeren Zeitraum nicht für unterschiedliche Parteien entscheidet? Müssen wir vielleicht doch Italien als Musterland der Demokratie ansehen?

Gruß Petz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.07.2008 03:32
#2 RE: Demokratie und Regierungswechsel Antworten

Lieber Meister Petz,

ich kann es mir lebhaft vorstellen, daß es einen Bayern vor einer Regierung der königlich-bayerischen Sozialdemokratie unter dem ehrenwerten Maget Franz graust.

Aber davon einmal abgesehen finde ich schon, daß der Wechsel zur Demokratie gehört, und zwar aus diesen Gründen:

1. Der Übermut der Macht ist nur dadurch zu bändigen, daß die Regierenden Angst haben, abgewählt zu werden. Diese Angst ist nur real, wenn sie sich gelegentlich auch erfüllt.

2. Macht bedeutet auch Protektion. Nicht überall so extrem wie in Italien, wo die Regierenden ja hauptsächlich damit beschäftigt sind, etwas für ihre clienti zu tun und diese zu fördern. Der Tendenz, die eigenen Leute überall unterzubringen, kann nur dadurch halbwegs Einhalt geboten werden, daß auch mal die anderen an die Fleischtöpfe dürfen.

3. Der Wechsel vollzieht sich meist zwischen einer mehr konservativen und einer mehr linken Partei. Die Konservativen sorgen dafür, daß die Wirtschaft läuft. Die Linken sorgen dafür, daß alle etwas vom Ergebnis abbekommen. Naja, gut, meist erreichen sie das Gegenteil. Aber mit ihren Forderungen sitzen sie doch den Konservativen immer im Nacken. Was aber, siehe oben, nur dann funktioniert, wenn sie eine realistische Chance haben, auch mal dranzukommen.

4. Viel schöner aus meiner Sicht wäre - so, wie es im 19. Jahrhundert in England war - ein Wechsel, also à la longue eine Balance, zwischen Konservativen und Liberalen. Die Konservativen sorgen dafür, daß im Staat Ordnung herrscht. Die Liberalen bringen die erforderliche Unordnung hinein.

5. Und jetzt, verehrter Meister, ziehe ich meinen stärksten Trumpf: In allen funktionierenden Demokratien, außer in Bayern und in der Schweiz, gibt es diesen Wechsel. Also muß er doch gut sein, oder?

Warum funktionieren die Schweiz und Bayern so gut ohne ihn? Ich bin sicher, lieber Petz, daß das irgendwas mit dem Föhn zu tun hat.

Herzlich, Zettel

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

25.07.2008 07:47
#3 RE: Demokratie und Regierungswechsel Antworten
Zitat von Zettel

ich kann es mir lebhaft vorstellen, daß es einen Bayern vor einer Regierung der königlich-bayerischen Sozialdemokratie unter dem ehrenwerten Maget Franz graust.


Wenn es sie denn wenigstens noch gäbe, die königlich-bayerische Sozialdemokratie, dann bräuchte es mir nicht grausen! Der letzte bayerische Soze, vor dem ich Respekt habe, ist Hans-Jochen Vogel. Aber Maget - nein. Dann lieber weiter einen protestantischen Franken ertragen.

Zitat von Zettel
Der Übermut der Macht ist nur dadurch zu bändigen, daß die Regierenden Angst haben, abgewählt zu werden. Diese Angst ist nur real, wenn sie sich gelegentlich auch erfüllt


Aber das hat auch eine furchtbare Kehrseite. Politiker werden aus Angst vor Machtverlust nämlich in der Regel nicht weise und bescheiden, sondern stellen dann meist den größten populistischen Unsinn an und agieren nach der gefühlten Stimmung im Land. Wenn die CSU den Machtverlust nicht fürchten müsste, gäbe es diese unselige Pendlerpauschalen-Diskussion nicht.

Zitat von Zettel
Macht bedeutet auch Protektion. Nicht überall so extrem wie in Italien, wo die Regierenden ja hauptsächlich damit beschäftigt sind, etwas für ihre clienti zu tun und diese zu fördern. Der Tendenz, die eigenen Leute überall unterzubringen, kann nur dadurch halbwegs Einhalt geboten werden, daß auch mal die anderen an die Fleischtöpfe dürfen.


Kann sie das? Italien ist doch das beste Beispiel dafür, nirgends wechselt die Regierung so oft. Und gerade wenn man nur kurz an der Macht ist, muss man viel mehr Anstrengungen unternehmen, seine Protégés unterzubringen und die anderen zu beseitigen (Österreich ist hier ein schönes Beispiel). Ich weiß nicht, ob es gleich demokratischer zugeht, wenn die Protégés nur unterschiedlichen Fraktionen angehören...

Zitat von Zettel
Der Wechsel vollzieht sich meist zwischen einer mehr konservativen und einer mehr linken Partei. Die Konservativen sorgen dafür, daß die Wirtschaft läuft. Die Linken sorgen dafür, daß alle etwas vom Ergebnis abbekommen. Naja, gut, meist erreichen sie das Gegenteil. Aber mit ihren Forderungen sitzen sie doch den Konservativen immer im Nacken. Was aber, siehe oben, nur dann funktioniert, wenn sie eine realistische Chance haben, auch mal dranzukommen.


Da verweise ich auf Ihre wunderschöne Formel-Berechnung (Landesregierung und Platz in der Rangliste) aus dem anderen Thread. Und in einem Staat, wo die Gewerkschaften der Wirtschaft schon so massiv im Nacken sitzen und mit Streiks z. T. unrealistische Forderungen durchzusetzen versuchen, brauche ich nicht auch noch eine rote Regierung, die zusätzlich umverteilt.

<blockquote><font size="1">Zitat von Zettel
Viel schöner aus meiner Sicht wäre - so, wie es im 19. Jahrhundert in England war - ein Wechsel, also à la longue eine Balance, zwischen Konservativen und Liberalen. Die Konservativen sorgen dafür, daß im Staat Ordnung herrscht. Die Liberalen bringen die erforderliche Unordnung hinein.[/quote]

Da bin ich dabei. Ich glaube sogar, dass die Sozen in Bayern noch VIEL MEHR UNORDNUNG reinbringen würden. Aber die will ich mir gar nicht vorstellen...

Zitat von Zettel
Und jetzt, verehrter Meister, ziehe ich meinen stärksten Trumpf: In allen funktionierenden Demokratien, außer in Bayern und in der Schweiz, gibt es diesen Wechsel. Also muß er doch gut sein, oder?


Und in allen funktionierenden Demokratien der Welt werden Katzen als Haustiere gehalten! Ohne Katzen keine Demokratie!

Aber im Ernst: Sogar, lieber Zettel, in Baden-Württemberg, wo die Regierung noch nie gewechselt hat, funktioniert die Demokratie. Man kann also eine geographische Linie konstruieren.

Zitat von Zettel
Warum funktionieren die Schweiz und Bayern so gut ohne ihn? Ich bin sicher, lieber Petz, daß das irgendwas mit dem Föhn zu tun hat.


Dafür würde sprechen, dass die Franken, die nicht mehr unter Föhneinfluss stehen, regelmäßig rot wählen.

Gruß Petz
califax Offline




Beiträge: 1.502

25.07.2008 09:39
#4 RE: Demokratie und Regierungswechsel Antworten

Zitat von Zettel

Warum funktionieren die Schweiz und Bayern so gut ohne ihn?


In der Schweiz bildet der Bürgerentscheid einen starken korrigierenden Einfluß. In Bayern wird die Oppositionsarbeit von der CSU gleich mit erledigt. Siehe Stoiberablösung.

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The Outside of the Asylum

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

25.07.2008 14:07
#5 RE: Demokratie und Regierungswechsel Antworten
In Antwort auf:
Der Wechsel vollzieht sich meist zwischen einer mehr konservativen und einer mehr linken Partei. Die Konservativen sorgen dafür, daß die Wirtschaft läuft. Die Linken sorgen dafür, daß alle etwas vom Ergebnis abbekommen.


In Antwort auf:
"The Democrats are the party that says government will make you smarter, taller, richer, and remove the crabgrass on your lawn. The Republicans are the party that says government doesn't work and then they get elected and prove it." -- P.J. O'Rourke


- http://www.rightwingnews.com/quotes/pj.php

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.07.2008 16:10
#6 RE: Demokratie und Regierungswechsel Antworten

Zitat von califax
Zitat von Zettel

Warum funktionieren die Schweiz und Bayern so gut ohne ihn?

In der Schweiz bildet der Bürgerentscheid einen starken korrigierenden Einfluß. In Bayern wird die Oppositionsarbeit von der CSU gleich mit erledigt. Siehe Stoiberablösung.

Für die Schweiz, lieber Califax, hat uns ja Manfred Messmer seinerzeit erklärt, wie dort die Machtbalance funktioniert; siehe auch hier.

Ob das auf andere Länder übertragbar ist, weiß ich nicht. Für ein großes Land kann ich mir das schwer vorstellen.

Daß die Stoiber-Ablösung nachahmenswert ist, glaube ich eher nicht.

Am Negativsten daran fand ich eigentlich die Art, wie man mit Gabriele Pauli umgesprungen ist. Diejenigen, die den Dolch im Gewande trugen, haben ihn stecken lassen und der Landrätin das Geschäft des Demontierens überlassen. Um sie dann, nach getaner Arbeit, gnadenlos zu erledigen.

Das scheint mir repräsentativ für diese Art des Machtwechsels zu sein; der Kommunismus hatte das ja perfektioniert: Statt daß der Wähler entscheidet, kann ein Machtwechsel nur durch interne Intrigen erfolgen.

Herzlich, Zettel


Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.07.2008 16:24
#7 RE: Demokratie und Regierungswechsel Antworten

Lieber Meister Petz,

ob es andere, funktionierende Formen der Kontrolle von Macht geben kann als den Regierungswechsel in einem parlamentarischen oder präsidialen System, wird ja immer wieder diskutiert. Rätedemokratie, direkte Demokratie, Partizipation usw.

Bisher hat nichts davon funktioniert. Mit Ausnahme der Schweiz; siehe den Beitrag von Califax in diesem Thread.

Ich vermute, das leidliche Funktionieren der Machtkontrolle per institutionalisierter Möglichkeit des Machtwechsels liegt daran, daß Gleiche gegen Gleiche antreten: Die Opposition verfügt im Prinzip - im Prinzip! - über ähnliche Mittel wie die Regierung.

Das ist, wie auch anders, mal wieder am besten in den USA und im UK verwirklicht. In den USA dadurch, daß ein Senator ja nicht ein kleiner Abgeordneter ist wie bei uns, sondern ein kleines Machtzentrum mit eigenem Stab, einem ganzen Apparat. Im UK dadurch, daß Her Majesty's Opposition ebenfalls gut mit Ressourcen ausgestattet ist; bis hin zur Gehaltszahlung an den Oppositionsführer.

Alle anderen Modelle kranken daran, daß die Kontrollierenden zu schwach sind. Das ist übrigens auch in Frankreich so, wo die Parlamentarier wenige Ressourcen haben. Die Verfassungsreform, die jetzt beschlossen wurde, hat das teilweise zu reparieren versucht.

Man könnte vielleicht argumentieren: Am besten ist es, wenn der Machtwechsel immer droht, aber - vorausgesetzt, die Regierung ist gut - nur selten passiert.

So weit erst einmal, lieber Petz. Auf einzelne Punkte gehe ich noch getrennt ein.

Herzlich, Zettel







Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

25.07.2008 23:41
#8 Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Obama sei näher an Europa als George Bush, sagt Franz Maget, bayrischer SPD-Spitzenkandidat und bekennender Obama-Fan. http://www.spiegel.de/politik/debatte/0,1518,567830,00.html

Zitat von Franz Maget
Eine sehr gute, in Teilen visionäre Rede, die Hoffnung macht. Ich sage seit langem, es ist an der Zeit, dass George Bush geht und frischer Wind reinkommt. Die Rede hat mich bestätigt, dass Obama intellektuell und moralisch das Zeug hat, die großen Menschheitsfragen im Geist wirklicher internationaler Kooperation anzupacken.

Er steht uns Europäern auch näher als der ausscheidende Präsident, der sehr 'texanisch' gedacht hat. Ein ehemaliger Sozialarbeiter aus Chicago ist dem europäischen Wertesystem auch näher als ein ideologisch denkender texanischer Farmer.


Nein, ein Regierungswechsel in Bayern ist einfach keine gute Idee. Aber was anderes fällt mir auf: Der CSU wird ja ständig Populismus vorgeworfen, aber im Vergleich zu diesem Geblubber hier ist selbst Söders Markus ein würdiger Staatsmann.

Lieber Zettel, wollen Sie das Attribut "ehrenwert" im Zusammenhang mit Herrn Maget nicht doch noch einmal überdenken?

Gruß Petz

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

26.07.2008 00:12
#9 RE: Demokratie und Regierungswechsel Antworten

Zitat von Zettel
Ich vermute, das leidliche Funktionieren der Machtkontrolle per institutionalisierter Möglichkeit des Machtwechsels liegt daran, daß Gleiche gegen Gleiche antreten: Die Opposition verfügt im Prinzip - im Prinzip! - über ähnliche Mittel wie die Regierung. (...)

Man könnte vielleicht argumentieren: Am besten ist es, wenn der Machtwechsel immer droht, aber - vorausgesetzt, die Regierung ist gut - nur selten passiert.


Lieber Zettel, genau so sehe ich es auch. Ich habe mich ja nicht gegen die Möglichkeit gewandt, die muss natürlich immer bestehen und ist auch wichtig.

Das Einzige, was mich an der Debatte tierisch nervt, ist, dass man ständig hören muss, dass Bayern keine "reife Demokratie" ist bzw. "nur mit einem Regierungswechsel endlich auch in Bayern Normalität herrscht" usw. Und das alles nur, weil diese unverschämten Hinterwäldler die Frechheit besitzen, die CSU nicht abzuwählen, obwohl sie dem Rest der Republik so unsympathisch ist.

Es ist auch nie die Rede davon, dass in Ba Wü noch nie die SPD regiert hat, sondern immer die CDU.

Während die SPD in Bayern immerhin bis 1957 mit Wilhelm Hoegner, der ein wirklich ehrenwerter Sozi war, aden Ministerpräsidenten stellte. Und das in einer absolut abenteuerlichen Viererkoalition mit der FDP, der Bayernpartei und dem Bund der Heimatvertriebenen. Man stelle sich das heute mal vor. Ein Bündnis aus Vor-Godesberger SPD, Vertriebenen, Liberalen und Königstreuen. Hat immerhin drei Jahre gehalten. Und heute regt man sich schon über Schwarz-Grün auf, dass da "die Schnittmengen zu gering sind"...

Gruß Petz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.07.2008 01:14
#10 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Zitat von Franz Maget
Er steht uns Europäern auch näher als der ausscheidende Präsident, der sehr 'texanisch' gedacht hat. Ein ehemaliger Sozialarbeiter aus Chicago ist dem europäischen Wertesystem auch näher als ein ideologisch denkender texanischer Farmer.

Nur daß George W. Bush zwar Texaner ist, aber kein Farmer, sondern studierter Historiker und danach Geschäftsmann, bevor er Berufspolitiker wurde. Nur daß Barack Obama studierter Politologe ist, der später noch Jurisprudenz studierte und als Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter in Yale gearbeitet hat, bevor auch er Berufspolitiker wurde.

Ja, er war ein paar Jahre lang - da war er zwischen 23 und 26 Jahre alt - als als Community Organizer tätig. Seine damalige Aufgabe beschreibt die Wikipedia so (Hervorhebungen von mir):
Zitat von Wikipedia
The job focused on helping poor blacks agitate with the city government to get benefits for their communities such as job banks and asbestos removal.

The small organization taught him a style of organizing developed by Saul Alinsky, a radical, University of Chicago-trained social scientist. Alinsky method centers on the idea of "agitation" — encouraging people to get angry enough about the horrible state of their lives in order to get them to take action. Alinsky had desribed the organizer's role as an effort "rub raw the sores of discontent." According to Mike Kruglik, a fellow organizer at that time, Obama was the best student he had ever had in his 10 years of training organizers.

In 2007, Ryan Lizza, a journalist writing for The New Republic, described Kruglik's assessment of Obama: "He was a natural, the undisputed master of agitation, who could engage a room full of recruiting targets in a rapid-fire Socratic dialogue, nudging them to admit that they were not living up to their own standards. [...] [H]e could be aggressive and confrontational. With probing, sometimes personal questions, he would pinpoint the source of pain in their lives, tearing down their egos just enough before dangling a carrot of hope that they could make things better."

"Sozialarbeiter" war also Obama so wenig, wie Bush Farmer ist. Er war ein (bezahlter) Agitator.

Wenn man sowas von Maget liest, lieber Petz, dann fragt man sich, ob das bayrische Schulsystem eigentlich zu Recht gerühmt wird.

Herzlich, Zettel

califax Offline




Beiträge: 1.502

26.07.2008 01:26
#11 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Maget ist Maget. Ich habe gerade FJS' Erinnerungen durch. Irgendwann gestern abend habe ich Strauß' vernichtendes Urteil über das Personal der bairischen SPD gelesen.
Es stimmt heute noch.
Wenn man sich die momentane Lage in Bayern anschaut, sieht man, daß die CSU Angst hat. Aber die Bedrohung geht, wie die CSUler auch ganz richtig erkennen, nicht von der SPD aus, sondern von den Freien Wählern.

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The Outside of the Asylum

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.07.2008 01:40
#12 RE: Demokratie und Regierungswechsel Antworten

Zitat von Meister Petz
Wenn es sie denn wenigstens noch gäbe, die königlich-bayerische Sozialdemokratie, dann bräuchte es mir nicht grausen! Der letzte bayerische Soze, vor dem ich Respekt habe, ist Hans-Jochen Vogel. Aber Maget - nein. Dann lieber weiter einen protestantischen Franken ertragen.

Dazu hatte ich, lieber Petz, auf Wilhelm Hoegner hinweisen wollen - aber das haben Sie ja inzwischen selbst getan. Ich meine mich zu erinnern, daß im ersten Kabinett Hoegner sogar Kommunisten saßen, habe das aber beim Nachsehen in der Wikipedia nicht finden können.

Hoegner gehört zu dieser Sorte von Sozialdemokraten, deretwegen ich mal in der SPD war - aufrechte, liberale Männer wie Carlo Schmid, Adolf Arndt, Fritz Bauer und Heinz Kühn, ich habe sie ja alle schon oft aufgezählt und spare mir das jetzt.

Warum sind solche Leute völlig aus der SPD verschwunden? Das wäre auch mal eine Diskussion wert.
Zitat von Meister Petz
Zitat von Zettel
Der Übermut der Macht ist nur dadurch zu bändigen, daß die Regierenden Angst haben, abgewählt zu werden. Diese Angst ist nur real, wenn sie sich gelegentlich auch erfüllt

Aber das hat auch eine furchtbare Kehrseite. Politiker werden aus Angst vor Machtverlust nämlich in der Regel nicht weise und bescheiden, sondern stellen dann meist den größten populistischen Unsinn an und agieren nach der gefühlten Stimmung im Land. Wenn die CSU den Machtverlust nicht fürchten müsste, gäbe es diese unselige Pendlerpauschalen-Diskussion nicht.

Schon wahr. Aber das ist nun mal das Wesen der Demokratie, daß man das machen muß, wofür man gewählt wird.

Erstaunlich, lieber Petz, finde ich im Grunde, wie gut das funktioniert. Wie wenig anfällig also "das Volk" für Agitatoren und Populisten ist. Wahrscheinlich fände eine dicke Mehrheit das gut, was, sagen wir Lafontaine fordert. Nur haben sie einen gesunden Sinn dafür, daß man es nicht machen kann, ohne sich schwerwiegende Nachteile einzuhandeln.

Das Volk ist nicht tümlich hat jemand (Tucholsky?) mal gesagt. Es ist auch nicht populistisch.
Zitat von Meister Petz
Zitat von Zettel
Macht bedeutet auch Protektion. Nicht überall so extrem wie in Italien, wo die Regierenden ja hauptsächlich damit beschäftigt sind, etwas für ihre clienti zu tun und diese zu fördern. Der Tendenz, die eigenen Leute überall unterzubringen, kann nur dadurch halbwegs Einhalt geboten werden, daß auch mal die anderen an die Fleischtöpfe dürfen.

Kann sie das? Italien ist doch das beste Beispiel dafür, nirgends wechselt die Regierung so oft.

Aber nicht die Macht. Während der gesamten Nachkriegsrepublik, die bis Anfang der neunziger Jahre bestand (sie wurde formal nie beendet, sondern starb dahin) regierten die Christdemokraten mit meist auch denselben Koalitionspartnern: Den Liberalen, den Saragat-Sozialisten und ein paar Kleinen.

Seither wurde die Regierung Berlusconi zwar durch Volksfront-Zwischenspiele unterbrochen, die aber kläglich scheiterten. Im Grunde regiert die alte Machtelite aus der DC weiter, nur unter neuem Namen.
Zitat von Meister Petz
Sogar, lieber Zettel, in Baden-Württemberg, wo die Regierung noch nie gewechselt hat, funktioniert die Demokratie.

Ich habe jetzt nicht nachgesehen. Aber wenn ich mich recht erinnere, regierte in BW mal der FDP-Mann Reinhold Maier (kann sein, daß das noch Württemberg vor der Bildung des Südweststaats war). Es gab auch, meine ich mich zu erinnern, mal eine Große Koalition. Und natürlich hat meist die FDP mitregiert, die im Südwesten ja ihre Tradition bis wenigstens 1848 zurückverfolgen kann und wirklich verwurzelt ist.

Aber gut, einen kompletten Machtwechsel hat es nie gegeben. Den hat es ja auch im Bund bisher erst ein einziges Mal gegeben, 1998. Sonst hat immer mindestens eine Partei, die vor den Wahlen schon in der Regierung gewesen war, auch danach weiterregiert.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.07.2008 01:55
#13 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten
Zitat von califax
Ich habe gerade FJS\' Erinnerungen durch. Irgendwann gestern abend habe ich Strauß\' vernichtendes Urteil über das Personal der bairischen SPD gelesen.

Dazu eine persönliche Erinnerung, lieber Califax: Meine Frau hat mir einmal zu Weihnachten zugleich die Memoiren von FJS und von Egon Bahr geschenkt; zur vergleichenden Lektüre und weil sie sehr für Gerechtigkeit ist.

Ich hatte mir von Bahr mehr versprochen als von Strauß und hatte damals auch noch ein eher negatives Bild von ihm, geprägt von vielen Jahren "Spiegel"-Lektüre.

Zu meiner großen Überraschung fand ich das Buch von Bahr ausgesprochen unangenehm. Verschwommen formuliert, unergiebig, fast wie eine Folge von Communiqués zu lesen. Verdruckst.

Und das Buch von Strauß fand ich prächtig - farbig, überzeugend, fesselnd.

Das hat damals mit dazu beigetragen, daß ich meine politischen Überzeugungen überdacht habe.

Herzlich, Zettel
Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

26.07.2008 08:01
#14 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten
Zitat von Zettel
Nur daß George W. Bush zwar Texaner ist, aber kein Farmer, sondern studierter Historiker und danach Geschäftsmann, bevor er Berufspolitiker wurde.


Und hier, lieber Zettel, wird es richtig lustig.

Zitat von Wikipedia
Von 1975 bis 1980 studierte Maget Geschichtswissenschaft, Sozialwissenschaften und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München


Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass Bush Herrn Maget näher steht als Obama!

Zitat von Zettel
Wenn man sowas von Maget liest, lieber Petz, dann fragt man sich, ob das bayrische Schulsystem eigentlich zu Recht gerühmt wird.


Ich habe meistens den Eindruck, dass die Irrationalität des Antiamerikanismus mit dem Bildungsgrad korreliert. Und wenn die These stimmt, muss Herr Maget eine exzellente Ausbildung erhalten haben

Gruß Petz
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.07.2008 09:51
#15 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Zitat von Meister Petz
Ich habe meistens den Eindruck, dass die Irrationalität des Antiamerikanismus mit dem Bildungsgrad korreliert.

Während andererseits, lieber Meister, Obama für dieselbe Intelligentsia ja gleich mehrfach das Gute verkörpert: Schwarz (wozu auch einiges zu sagen wäre - viele Schwarze in den USA sehen das anders, nicht nur Jesse Jackson), mit einem Vater aus der Dritten Welt, die Mutter irgendwie Künstlerin, Obama selbst "sozial engagiert" (wie, habe ich ja zitiert), gegen den Irakkrieg.

Also, da prallen zwei Klischees aufeinander - USA böse, Obama gut. Ich bin gespannt, was daraus wird.

Es gehört ja überhaupt zu den Besonderheiten des linken Weltbilds (die es mit dem Kolportageroman und der Telenovela teilt), daß die Welt in Gut und Böse zerfällt; tertium non datur.

Wenn es dann solche kognitiven Dissonanzen gibt, wird es schwierig. Ein anderes Beispiel ist die Türkei: Gut (weil Moslems, weil irgendwie fast schon Dritte Welt), schlecht (weil Nato, weil gegen Kurden). Was zu der absurden Position der Grünen geführt hat, die Türkei solle möglichst bald Mitglied der EU werden, Waffen dürfe man ihr aber nicht liefern.

Herzlich, Zettel

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

26.07.2008 13:44
#16 RE: und noch mal FJS Antworten

Manche Überlegungen gehen seltsame Wege. Da sind wir bei Obama, kommen auf Franz Josef Strauß und landen in der Türkei....

Im Jahr 1985 als Obama erstmals in Chicago Organisationen der Kirchengemeinden unterstützt hat, wurde Franz Josef Strauß genau dort in Chicago Ehrenbürger und im gleichen Jahr auch Ehrenbürger von Izmir.

Seine Ehrendoktorwürde in Chicago erhielt er allerdings schon 1964.

Dan Brown würde es sicherlich in einer Verschwörungstheorie aufarbeiten.

♥liche Grüße Nola

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

27.07.2008 23:03
#17 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Zitat von Zettel
Es gehört ja überhaupt zu den Besonderheiten des linken Weltbilds (die es mit dem Kolportageroman und der Telenovela teilt), daß die Welt in Gut und Böse zerfällt; tertium non datur.
Wenn es dann solche kognitiven Dissonanzen gibt, wird es schwierig. Ein anderes Beispiel ist die Türkei: Gut (weil Moslems, weil irgendwie fast schon Dritte Welt), schlecht (weil Nato, weil gegen Kurden). Was zu der absurden Position der Grünen geführt hat, die Türkei solle möglichst bald Mitglied der EU werden, Waffen dürfe man ihr aber nicht liefern.


Und vor allem gut, weil Ursprungsland unserer Mitbürger mit Migrationshintergrund (Stichwort "Ausländer bleiben, Deutsche vertreiben"?!

Lieber Zettel, dieser Gedanke mit dem Tertium non datur überzeugt mich, vor allem, weil ich das noch nie aus dieser Sicht betrachtet habe. Ich verbinde mit den Linken immer die Kultur dessen, was Broder so schön mit dem Ausspruch "Wir differenzieren uns zu Tode" bezeichnet.

Aber in der Tat erscheint es mir so, dass das Diffenzieren der Linken immer nur das Ziel hat, das betrachtete Objekt einer der beiden Seiten zuzuschlagen. So nach dem Motto "Gewalt durch Ausländer - eigentlich böse, aber doch gut, weil durch mangelnde Integrationsleistung der Deutschen hervorgerufen". Oder umgekehrt "Steigender Wohlstand - eigentlich gut, aber beutet die Dritte Welt aus".

Gruß Petz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.07.2008 00:54
#18 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Zitat von Meister Petz
Aber in der Tat erscheint es mir so, dass das Diffenzieren der Linken immer nur das Ziel hat, das betrachtete Objekt einer der beiden Seiten zuzuschlagen. So nach dem Motto "Gewalt durch Ausländer - eigentlich böse, aber doch gut, weil durch mangelnde Integrationsleistung der Deutschen hervorgerufen". Oder umgekehrt "Steigender Wohlstand - eigentlich gut, aber beutet die Dritte Welt aus".

So sehe ich das auch, lieber Petz. (Wir sollten mal ein Thema finden, wo wir uns uneins sind. ).

Es ist das Differenzieren, das man zB auch von den Scholastikern kennt, von Talmud-Gelehrten, von Scharia-Gelehrten. Man überlegt hin und her, prüft Argument und Gegenargument - aber am Ende kommt heraus, daß etwas entweder gut oder böse, entweder richtig oder falsch, entweder erlaubt oder verboten ist.

Warum ist das aber bei vielen aus der Intelligentsia so, obwohl sie doch meist eine wissenschaftliche Ausbildung haben, also eigentlich gelernt haben sollten, wirklich differenziert zu denken?

Für Marxisten ist die Antwort einfach: Marx lehrte, und Lenin hat das weiterentwickelt, daß allein die Praxis zählt. Wer - wen, auf diese Formel hat es Lenin gebracht. Alles in der Welt ist folglich danach zu beurteilen, ob es uns nützt oder den anderen. Was für einen Marxisten natürlich heißt, ob es dem objektiv Notwendigen entspricht, also progressiv ist, oder ob es den notwendigen Gang der Geschichte behindert, also reaktionär ist.

Ich habe solche Diskussion zB in Bezug auf den Nahen Osten erlebt, in den siebziger Jahren. Da gab es anfangs eine starke Sympathie mit Israel. Aber bald bekamen diejenigen argumentativ die Oberhand, die sagten: Natürlich gibt es eine historische Schuld gegenüber den Juden. Aber das ist ein Gefühl. Was zählt, sind die objektiven Interessen. Israel ist mit den USA verbündet, also steht es auf der Seite des Feinds. Die Palästinenser sind zwar keine Kommunisten, aber wenn sie siegen, dann wird das den Einfluß der Sowjetunion stärken.

Für Kader argumentieren Kommunisten heute noch genauso; ich habe ja kürzlich ein Beispiel aus der "Jungen Welt" gebracht, wo der Autor sich für Mugabe stark machte, weil der gegen den Imperialismus eintrete.

Warum auch linke Intellektuelle so denken, lieber Petz, die sich nicht als Kommunisten, vielleicht nicht einmal als Marxisten sehen, das weiß ich freilich auch nicht.

Herzlich, Zettel

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

28.07.2008 01:53
#19 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Zitat von Zettel
Warum auch linke Intellektuelle so denken, lieber Petz, die sich nicht als Kommunisten, vielleicht nicht einmal als Marxisten sehen, das weiß ich freilich auch nicht.


Ich habe einen Verdacht. Die meisten Linken aus meinem Umfeld haben ein sehr ästhetisierendes Politikverständnis, das interessanterweise erstaunlich mit dem persönlichen Vermögen korreliert..ist ja klar, man muss es sich leisten können, z. B. grün zu denken und zu wählen. Daraus folgt, dass die konkreten Sachzwänge an Bedeutung verlieren, und man trifft seine Wahlentscheidung eben nach ästhetischen Kriterien. Darum sind ja gerade bei Linkswählern z. B. so weiche Themen wie Homoehe so hoch im Kurs.

Eine gute Freundin z. B. hat mir rational völlig zugestimmt, dass bei einer Wahl der CSU-Kandidat der mit Abstand fähigste Mann ist, aber sie hat es einfach nicht übers Herz gebracht, nicht grün zu wählen. Und zwar mit irgendeiner diffusen Begründung, dass "man eine so konservative Partei ja nicht wählen könne".

Und hier kommt die Begründung für die mangelnde Differenzierung: Sobald man etwas unter ästhetischen Kriterien betrachtet, ist dem Schwarz-Weiß-Denken Tür und Tor geöffnet. Eine ästhetische Entscheidung muss nicht begründet werden, da Ästhetisierung ja genau bedeutet, etwas aus dem Funktionszusammenhang herausgelöst zu betrachten.

Und wenn ich den Kapitalismus, Konservatismus etc. ästhetisch hässlich finde (was auf der Linken sehr verbreitet ist), kann ich damit alles begründen, was ich nur will, weil ich ja auf die tatsächlichen Funktionszusammenhänge keine Rücksicht mehr nehmen muss.

Mein Lieblingsbeispiel ist das häufig geäußerte Argument, das Kondomverbot des Vatikans steigere die HIV-Rate in afrikanischen Ländern. Man kann gegen dieses Argument an Fakten einwenden, was man will, man wird keinen, der es vertritt, vom Gegenteil überzeugen. Weil das Argument vom ästhetischen Standpunkt eines Linken aus betrachtet einfach zu schön ist, um falsch zu sein!

Gruß Petz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.07.2008 17:27
#20 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Zitat von Meister Petz
Ich habe einen Verdacht. Die meisten Linken aus meinem Umfeld haben ein sehr ästhetisierendes Politikverständnis, das interessanterweise erstaunlich mit dem persönlichen Vermögen korreliert..ist ja klar, man muss es sich leisten können, z. B. grün zu denken und zu wählen. Daraus folgt, dass die konkreten Sachzwänge an Bedeutung verlieren, und man trifft seine Wahlentscheidung eben nach ästhetischen Kriterien.

Nach ästhetischen, und nach moralischen. Wobei die Moral gewissermaßen zur Ästhetik hin tendiert. (Schiller ist da gar nicht so fern; die "Ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts" kennen sie zwar wahrscheinlich nicht, diese Angehörigen der Intelligentsia; aber das trifft ihr Lebensgefühl).

Ich habe das irgendwo mal so formuliert: Man kann sich alles leisten. Und dazu leistet man sich auch noch ein gutes Gewissen.

Herzlich, Zettel

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

29.07.2008 01:56
#21 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Zitat von Zettel
Nach ästhetischen, und nach moralischen. Wobei die Moral gewissermaßen zur Ästhetik hin tendiert.


Lieber Zettel, ich tu mir immer sehr schwer, der Linken in ihrem Politikverständnis Moralität zuzugestehen. Und zwar aus dem einen Grund, dass ein moralisches Urteil aus meiner Sicht immer zum Bezugsrahmen passen muss. Und da ist halt das Problem, dass der Bezugsrahmen meistens sehr verzerrt ist. Sie sagen, mit Tendenz ins Ästhetische. Ich würde sagen, zunächst mal mit Tendenz ins Individualmoralische.

Sinngemäß: "Am liebsten ist mir der Politiker, der so denkt und handelt wie Du und ich. Ich finde Krieg schlimm und sage das auch regelmäßig, also ist mir am liebsten ein Politiker, der das gleiche findet und tut (z. B. auf dem Marktplatz von Goslar). Und ich finde es ganz schlimm, dass Schwule diskriminiert werden. Deshalb finde ich es wichtig, dass mehr Schwule in politische Ämter kommen und wähle Wowereit". Und diese moralischen Urteile finde ich einfach verfehlt, weil sie eben die individuelle Moral absolut setzen. Nicht zufällig heißt ein Buch von Claudia Roth "Das Private ist politisch".

Zitat von Zettel
(Schiller ist da gar nicht so fern; die "Ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts" kennen sie zwar wahrscheinlich nicht, diese Angehörigen der Intelligentsia; aber das trifft ihr Lebensgefühl)


Also es ist eine Zeit her, dass ich das Werk gelesen habe, aber wenn ich es richtig verstanden habe, geht es ja eher um eine Aussöhnung der divergenten Bereiche Ästhetik und Moral, oder lyrisch:
Zitat von Schiller
Deine Zauber binden wieder / Was die Mode streng geteilt.


Zumindest habe ich das damals in meiner Magisterarbeit so behauptet und keiner hat sich darüber beschwert

Worum es eben nicht geht, ist, wie bei der Linken die Moral zu ästhetisieren (genau wie man der Rechten ja immer vorwirft, die Ästhetik zu moralisieren).

Gruß Petz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

29.07.2008 18:21
#22 RE: Ergänzung: Und wie es mir graust! Antworten

Zitat von Meister Petz
Zitat von Zettel
(Schiller ist da gar nicht so fern; die "Ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts" kennen sie zwar wahrscheinlich nicht, diese Angehörigen der Intelligentsia; aber das trifft ihr Lebensgefühl)

Also es ist eine Zeit her, dass ich das Werk gelesen habe, aber wenn ich es richtig verstanden habe, geht es ja eher um eine Aussöhnung der divergenten Bereiche Ästhetik und Moral, oder lyrisch:
Zitat von Schiller
Deine Zauber binden wieder / Was die Mode streng geteilt.

Zumindest habe ich das damals in meiner Magisterarbeit so behauptet und keiner hat sich darüber beschwert
Worum es eben nicht geht, ist, wie bei der Linken die Moral zu ästhetisieren (genau wie man der Rechten ja immer vorwirft, die Ästhetik zu moralisieren).

Jetzt lese ich die "Ästhetische Erziehung" wieder, lieber Petz, auch nach Jahrzehnten. Bevor ich das Thema Ästhetik und Moral kommentiere, erst mal eine Fundstelle. Schillers Schilderung der Gesellschaft von 1795, die mir sehr gefällt. Man sieht, tempora non mutantur:
Zitat von Friedrich Schiller
Mitten im Schooße der raffiniertesten Geselligkeit hat der Egoism sein System gegründet, und ohne ein geselliges Herz mit heraus zu bringen, erfahren wir alle Ansteckungen und alle Drangsale der Gesellschaft. (...)

Die Kultur, weit entfernt, uns in Freiheit zu setzen, entwickelt mit jeder Kraft, die sie in uns ausbildet, nur ein neues Bedürfniß; die Bande des Physischen schnüren sich immer beängstigender zu, so daß die Furcht, zu verlieren, selbst den feurigen Trieb nach Verbesserung erstickt und die Maxime des leidenden Gehorsams für die höchste Weisheit des Lebens gilt.

So sieht man den Geist der Zeit zwischen Verkehrtheit und Rohigkeit, zwischen Unnatur und bloßer Natur, zwischen Superstition und moralischem Unglauben schwanken, und es ist bloß das Gleichgewicht des Schlimmen, was ihm zuweilen noch Grenzen setzt.


Herzlich, Zettel

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