Zitat von Jens bergerWenn man diese Dokumente heute betrachtet, fragt man sich unweigerlich, was vor nunmehr fast 80 Jahren große Teile des deutschen Volkes bewogen hat, diesen hysterischen Schreihals für den Heiland des deutschen Volkes zu halten.
Ich habe das als Jugendlicher meine Eltern gefragt. Ihre Antwort: Hitler sei damals als ein ganz normaler Redner wahrgenommen worden; nur etwas rhetorischer, nur charismatischer als andere.
Aus heutiger Sicht erscheint uns diese Rhetorik maßlos überzogen. Damals war sie üblich oder jedenfalls weit verbreitet. Nicht nur Mussolini hat so geredet; auch Karl Liebknecht. Noch Ernst Reuter hatte diese Rhetorik in seiner "Völker der Welt"-Rede. Charles de Gaulle hatte sie noch in den fünfziger, sechziger Jahren.
Erst allmählich begannen die leisen Töne zu überwiegen. Adenauer war zum Pathos unfähig, erst recht Theodor Heuss. Auch in den anderen Ländern verschwand das allmählich; vielleicht hängt es mit dem Aufkommen des Fernsehens zusammen.
Als ich letztes Jahr den Wahlkampf von Barack Obama verfolgt habe, war ich erstaunt, daß er wieder diesen Stil praktizierte. Diesen Versuch, mit rhetorischen Mitteln die Zuhörer emotional zu erreichen, sie in einen kollektiven Rausch zu versetzen, statt an ihren Verstand zu appellieren. Diese Verzückung, dieses endlose rhythmische Rufen.
Meine Abneigung gegen Obama ist entstanden, als ich in CNN diese Auftritte verfolgt habe. Ich bin überzeugt, daß jeder das nachvollziehen kann, der ein paar davon vollständig gesehen hat. Ich kann verstehen, daß viele, die das nicht haben, meine Abneigung gegen Obama wundert.
Zu den Änderungen im Stilempfinden kommen technische Verbesserungen. Musikaufnahmen aus den 30er Jahren wirken oft schrill oder scheppernd, Sprachaufnahmen wirken entsprechend vermutlich stärker "hysterisch" oder "geschrieen" als für die damaligen Live-Zuhörer.
Die Redner waren zudem gewohnt, ohne elektronische Verstärkung vor größeren Versammlungen zu sprechen. Da muß man oft einfach schreien: ich habe mal in einer Kneipe einen vielleicht 8minütigen Vortrag gehalten, die Akustik war lausig, die Löffel klapperten in den Tassen, ich habe so laut es ging gesprochen, nachher war ich heiser, während ich mir anhören musste, es sei kaum etwas zu verstehen gewesen.
Die Möglichkeit, mit entspannter Stimme zu reden, hat dann sicher auch auf die Rhetorik zurückgewirkt - mit leiser Stimme beschimpft den Gegner nicht mehr wüst, sondern versucht, ihn madig zu machen usw. - doch ist das nicht zwingend; die bessere Technik gibt nur mehr Möglichkeiten an die Hand. Man kann auch in bester Audio-Qualität dickes Pathos auflegen, das mag bei Obamas Wahlkampf der Fall gewesen sein.
Daß andere Politiker im Wahlkampf eher an den Verstand appellieren als zu versuchen, sie emotional zu erreichen, glaube ich allerdings nicht. In den 90er Jahren habe ich ein paar mal Kohl reden gehört, da war nicht viel mit Verstand, er versuchte zu rühren und vermittelte Angst. Der Baß dröhnte durch die halbe Stadt.
Zitat von KalliasZu den Änderungen im Stilempfinden kommen technische Verbesserungen. Musikaufnahmen aus den 30er Jahren wirken oft schrill oder scheppernd, Sprachaufnahmen wirken entsprechend vermutlich stärker "hysterisch" oder "geschrieen" als für die damaligen Live-Zuhörer.
Stimmt, das dürfte ein wichtiger Punkt sein. Man konnte die Bässe nicht übertragen bzw. aufnehmen und wiedergeben; und weil Menschen in Erregung ihre Stimmlippen anspannen, also die Grundfrequenz der Stimme steigt, wirkt eine hohe Stimme, vor allem wenn sie auch noch laut ist, schrill.
Zitat von KalliasDie Redner waren zudem gewohnt, ohne elektronische Verstärkung vor größeren Versammlungen zu sprechen. Da muß man oft einfach schreien: ich habe mal in einer Kneipe einen vielleicht 8minütigen Vortrag gehalten, die Akustik war lausig, die Löffel klapperten in den Tassen, ich habe so laut es ging gesprochen, nachher war ich heiser, während ich mir anhören musste, es sei kaum etwas zu verstehen gewesen.
Ich habe bis vor ein paar Jahren Vorlesungen auch in großen Hörsälen ohne Verstärkung halten müssen, wie das immer schon gewesen ist. Da gewöhnt man sich eine laute, ein wenig schneidend klingende Stimme an. Dann wurden Anlagen eingebaut, und hinfort holte ich mir vor jeder Vorlesung beim Hausmeister meinen Headset ab.
Das war wunderbar! Endlich konnte ich normal, auch mal leise sprechen, mit viel entspannterer Stimme. In der Vorlesungskritik schrieb allerdings jemand, die Vorlesung klinge jetzt wie "Zettels Märchenstunde".
Zitat von Zettel Ich habe das als Jugendlicher meine Eltern gefragt. Ihre Antwort: Hitler sei damals als ein ganz normaler Redner wahrgenommen worden; nur etwas rhetorischer, nur charismatischer als andere.
Lieber Herr Zettel
Man muß dann ungekehrt betrachten, welche Redner hat man vorher erlebt. Bis 1918 relativ wenige. Ein Übung, politische Reden und den Redner bewerten zu können, hat sich so kaum entwickeln können. Es hat ja schon im Reichstag vor 1918 gute Redner gegeben, aber es fehlte der Rundfunk, der solche Reden für alle hörbar machte. Stellen Sie sich vor, Bismarcks Reden wären übertragen wurden. Der Hühne und seine hohe Fistelstimme. Der ganze Nimbus wäre zerbrochen.
In Antwort auf:Zitat Zettel Als ich letztes Jahr den Wahlkampf von Barack Obama verfolgt habe, war ich erstaunt, daß er wieder diesen Stil praktizierte. Diesen Versuch, mit rhetorischen Mitteln die Zuhörer emotional zu erreichen, sie in einen kollektiven Rausch zu versetzen, statt an ihren Verstand zu appellieren. Diese Verzückung, dieses endlose rhythmische Rufen.
Das ging mir genauso und ich hatte deswegen schon Vorbehalte gegen Obama. Und auch Hitler hat das modernste Medium, welches ihm damals zur Verfügung stand - die Wochenschauen in den Kinos - perfekt genutzt. Aufmärsche und Reden sowie Veranstaltungen in Szene gesetzt. Meine Eltern waren damals 14 und 18 Jahre alt, und die Wahrnehmung und Einschätzung der Lage, bedingt durch keinerlei Konfrontation durch Deportation oder ähnl. mit jüdischen Familien im Umfeld, war dann wohl sehr einseitig um nicht zu sagen oberflächlich. Und fast zu Beginn des Krieges schon ausgebombt, waren die Verhältnisse sowieso in dem Wohnviertel total durcheinander. Darum haben sie auf meine Fragen auch keine Antworten gewußt. Aber im Kino sind sie gewesen und wer Harry Piel und Winni Marcus war, haben sie mir erzählt und auf Sammel-Bildchen gezeigt.
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