Für die Messung sportlichen Erfolgs gibt es so wenig "das" gerechte Kriterium, wie es "das" gerechte Wahlysystem gibt. Das gilt nicht nur für die Messung des Erfolgs, sondern auch für das Ranking nach Erfolg. Ein Beispiel sind die unterschiedlichen Rankings zu den Olympischen Spielen.
Calimero
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01.03.2010 14:24
#2 RE: Marginalie: Wer war in Vancouver am erfolgreichsten?
Ihr Artikel, lieber Zettel, hat bei mir gleich einen Gedanken zurückgerufen, der mich spontan überkam, als ich diese Diskussion zum Thema nationale Identität hier verfolgte: Die deutsche Lust am Superlativ.
Am Medaillen-Ranking sieht man es wieder: Nur der Beste zählt, alles andere ist nachrangig. Lustigerweise werden dabei (in anderen Kontexten) auch völlig gegensätzliche Bestleistungen abgefeiert. Das stärkste (deutsche) Auto der Welt vs. die benzinschluckendste (deutsche) Autoflotte der Welt. Die Freude, dass soundsoviele Deutsche im Forbes-Ranking der Reichsten der Welt auftauchen, als auch die Lust daran, dass immer mehr Deutsche vermeintlich unter die Armutsgrenze zu rutschen drohen. Der Stolz der Kulturschaffenden über jeden deutschen Oscar-Gewinner und der Stolz derselben über jeden Film eines ausländischen Regisseurs (je fremder, desto besser!), der deutsche Filmpreise gewinnt.
Man kann sich über den obersten Rang in der Kriminalitäts-Statistik entsetzen, sich aber gleichzeitig als Multi-Kulti-Hauptstadt feiern. Man kann sich stolz den Titel "Exportweltmeister" ans Revers hängen und gleichzeitig die deutsche Industrie als besonders "umweltsünderisch" anprangern. Auch wenn die Staatsverschuldung auf Rekordhöhe ist, wird sich Deutschland immer bemühen, notleidendenden Staaten schnelle Hilfen in besonderer Höhe zu versprechen.
Immer das gleiche Schema: Erster sein, besser sein, schlimmer sein, schlimmer gewesen sein - egal, der Superlativ muss angestrebt werden. Und genauso sieht es mit der Anerkennung anderer aus. Den Ersten muss man anerkennen, der Rest wird erst dann interessant, wenn er auf andere Weise Besonders ist. Fremd, exotisch, eigentlich chancenlos, von unten kommend ... da gibts Bonuspunkte, ansonsten zählt nur der Sieger.
Komisches Volk.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat von CalimeroImmer das gleiche Schema: Erster sein, besser sein, schlimmer sein, schlimmer gewesen sein - egal, der Superlativ muss angestrebt werden.
Ja, deutsch sein heißt eine Sache um ihrer selbst willen übertreiben, so kommt es mir manchmal schon vor.
Mag sein, daß das a bisserl was mit unserer Geschichte seit dem Dreißigjährigen Krieg zu tun hat. Das Avis-Syndrom sozusagen: Wir sind nur zweite, we try harder.
Deutschland war kein Nationalstaat, als die meisten anderen das schon erreicht hatten. Wir waren im Tempo der Industrialisierung lange Zweiter hinter England. Wir versuchten erst dann ein Kolonialreich zu zimmern, als die anderen ihres längst besaßen. Auch im Übergang zur Demokratie hinkten wir hinter England, Frankreich den USA her.
Es gab da in Deutschland ein wahrgenommenes Mißverhältnis zwischen dem, was wir waren, und dem, worauf wir eigentlich Anspruch gehabt hätten. Das hat, denke ich, zu diesem Strebertum beigetragen.
Es war ja auch zur Zeit der Teilung so: Die DDR hatte - in ihrem Selbstverständnis, in mancher Hinsicht wohl auch wirklich - den besten Sozialismus aller Bruderländer; dieweil wir im Westen fleißiger und disziplinierter, ja sogar demokratischer sein wollten als die anderen.
Das hat sich gelegt. Inzwischen wollen wir als vereintes Vaterland nur noch friedlicher, ökologischer, feministischer und vor allem multikultureller sein. Mit anderen Worten, wie sind jetzt auf der Suche nach Negativrekorden.
wenn man die Anzahl der gewonnenen Medaillen ins Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt, dann ist übrigens zumindest eines vollkommen klar: nämlich was die unsportlichste Nation der Welt ist. Mit riesigem Abstand ist das Indien.
Von den in der olympischen Geschichte bislang insgesamt 16.066 vergebenen Medaillen gingen ganze 20 an Indien. (Alle bei Sommerspielen. Davon allein 11 mal im Herren-Hockey. Und nur eine einzige Medaille ging bislang an eine indische Frau).
Wirklich beschämend für ein Land mit fast 1,2 Milliarden Einwohnern (d.h. rund 18% der Erdbevölkerung). Eine "proportionale" Medaillendichte würde für Indien rund 2800 Medaillen verlangen, also mehr als Hundert mal mehr als tatsächlich erreicht wurden. Bei den Frauen ist das Missverhältnis mehr als 1000 zu 1.
Indien hätte ja eigentlich alle klimatischen und geographischen Voraussetzungen, um seiner Bevölkerung vom Alpinsport bis zum Wassersport viele Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Woran liegt also diese katastrophale Medaillenausbeute?
Fehlende finanzielle Mittel allein können das nicht erklären. Deutlich kleinere und ähnlich arme Länder liegen meist weit vor Indien (z.B.Äthiopien 38 Medaillen, Kenia 75, Kuba 194, Jamaika 55). Ich kann mir das daher eigentlich nur mit der nationalen Mentalität erklären (wenn diese Vereinfachung hier erlaubt ist).
Als kleine Anekdote: Im Studium hatte ich für ein Semester einen indischen WG-Partner. Eines der Dinge, die ihm am meisten überrascht haben, waren die vielen sportlichen Aktivitäten der Studenten. In Indien, so meinte er, würde man so hart studieren, dass man für Sport einfach keine Energie mehr übrig hätte. (Mag stimmen. Obwohl ja Sport auch ein Ausgleich zum Studium sein kann. So oder so: Sport scheint für die indische Jugend einfach keine naheliegende Beschäftigung zu sein).
Zitat von Florianwenn man die Anzahl der gewonnenen Medaillen ins Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt, dann ist übrigens zumindest eines vollkommen klar: nämlich was die unsportlichste Nation der Welt ist. Mit riesigem Abstand ist das Indien.
Interessant. Wirklich interessant. Und kaum jemandem außer Ihnen ist es bisher aufgefallen, mir auch nicht.
Es ist umso merkwürdiger, als Indien ja kulturell stark von England geprägt ist. Warum also?
Vielleicht sollte man die Frage umgekehrt stellen: Warum gibt es in einer Nation sportliche Höchstleistungen? Mir scheint, es gibt eigentlich nur drei Gründe: Die Tradition der westlichen Kultur, ein extremes Streben nach nationalem Prestige, genetische Disposition.
Fangen wir mit dem dritten an: Die Spitzensportler aus Ostafrika sind fast durchweg Langläufer, und sie sind es offensichtlich, weil dort Menschen leben, die dafür genetisch disponiert sind. Mancher, der nie mit modernen Methoden trainiert hat und der doch die Weltelite schlägt.
Die Tradition der westlichen Kultur mag man auf die klassischen Olympischen Spiele zurückführen, dann die Turniere des Mittelalters und entsprechende Belustigungen später im Feudalismus, dann das Aufkommen des Sports als Freizeitbeschäftigung zunächst der Oberschicht im 18. Jahrhundert, dann zunehmend aller Schichten im 19. Jahrhundert.
Darin drücken sich wohl auch -, sicherlich nicht nur - die sehr abendländische Hochschätzung des Einzelnen, die damit zusammenhängende Neigung zum Wettbewerb und drittens natürlich auch der Prozeß der Zivilisation aus. In anderen Kulturen hat es das in dieser Form meines Wissens nicht gegeben.
Insofern ist Sport eine Angelegenheit unserer abendländischen Kultur. Er hat sich wie so vieles aus unserer Kultur über die Welt ausgebreitet. Eine wirklich konsequente Förderung hat er außerhalb unseres Kulturkreises aber, soweit ich sehe, nur dort erfahren, wo es um nationales Prestige und vor allem um das Prestige des Sozialismus ging und geht.
Zuletzt in enormem Umfang in China. In dem im ZR-Artikel verlinkten Bericht von Anfang August 2008, unmittelbar vor Beginn der Spiele geschrieben, hieß es
Zitat von SZ vom 5. August 2008In diesem Jahr sind Russland und die USA die Favoriten auf den ersten Platz. Der Geheimtipp lautet allerdings: Der Gastgeber. China werden erstmals Chancen auf den "Gesamtsieg" eingeräumt werden.
In dem zweiten verlinkten Artikel von vorgestern konnte man hingegen lesen:
Zitat von SZ vom 27. 2. 2010...wie erbärmlich langweilig war das doch 2008 in Peking, als es ja gar nicht darum ging, wer die Nationenwertung gewinnen würde, sondern lediglich darum, ob China in den 302 Wettbewerben nun 40, 50 oder 303 Goldmedaillen zu holen würde.
So sehr haben die Chinesen 2008 die Welt überrascht; und so wirksam ist wieder einmal der Hindsight Bias.
Aus dem Geheimtipp wurde derjenige, dessen Erfolg alle erwartet haben. Im Nachhinein hat's jeder gewußt.
Zitat Und kaum jemandem außer Ihnen ist es bisher aufgefallen, mir auch nicht.
Vielen Dank für die Blumen. Und weil ich gerade so schön in Fahrt bin:
Zitat Die Spitzensportler aus Ostafrika sind fast durchweg Langläufer, und sie sind es offensichtlich, weil dort Menschen leben, die dafür genetisch disponiert sind. Mancher, der nie mit modernen Methoden trainiert hat und der doch die Weltelite schlägt.
Richtig. Die besten Langstreckenläufer kommen alle aus Ostafrika. Und nun das verblüffende: Die besten KURZ-Streckenläufer kommen alle aus Westafrika. (Bzw. deren Vorfahren wurden aus Westafrika als Sklaven in die Neue Welt verschleppt). Natürlich ist das eine Simplifizierung (deren Biologismus auch nicht so ganz politisch korrekt ist). Aber die empirische Evidenz für die simple Formel "Westafrika=schnell, Ostafrika=ausdauernd" ist überwältigend.
Und was China betrifft: Sie haben schon recht, dass es im Westen eine gewisse kulturelle Prägung pro Sport gibt. Umgekehrt gibt es dies im Konfuzianismus eindeutig nicht. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass in China etliche gar nicht so anspruchsvolle Berge erst vor wenigen Jahrzehnten ihre Erstbesteigung hatten. Das "immer höher hinaus" war für die Chinesen einfach kein wichtiger Antrieb.
(Wobei man allerdings auch zugeben muss, dass auch viele Alpengipfel erst im 19. Jahrhundert bestiegen worden sind. Oft von englischen Adligen. Die einheimischen Bauern konnten keinen rechten Sinn im ersteigen irgendwelcher Gipfel erkennen).
Zitat Die einheimischen Bauern konnten keinen rechten Sinn im ersteigen irgendwelcher Gipfel erkennen
Oder sie haben sie erstiegen, dann aber kein Aufhebens darum gemacht, oder hatten keine Möglichkeit oder auch nur den Einfall, die Leistung einem breiteren Publikum bekannt zu machen, oder es war ein solches gar nicht vorhanden.
Ungelt
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02.03.2010 09:50
#9 RE: Marginalie: Wer war in Vancouver am erfolgreichsten?
Zitat von ZettelEr hat sich wie so vieles aus unserer Kultur über die Welt ausgebreitet. Eine wirklich konsequente Förderung hat er außerhalb unseres Kulturkreises aber, soweit ich sehe, nur dort erfahren, wo es um nationales Prestige und vor allem um das Prestige des Sozialismus ging und geht.
"Förderung erfahren" möglicherweise schon, neben diesem Aspekt kommt aus meiner Sicht aber noch ein anderer dazu: die Chance des Einzelnen, einem diktatorischen System oder sonst unerfreulichen Lebensverhältnissen zu entkommen. So gesehen könnte man Länder mit wenig sportlichem Ehrgeiz auch beglückwünschen. Jedenfalls mache ich mir um die mir sympatischen Inder wegen ihrem fehlenden sportlichen Ehrgeiz keine sorgen, eher schon um die, die Sporterfolge unbedingt brauchen.
Schönen Tag noch, Ungelt
Ungelt
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gelöscht
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02.03.2010 09:58
#10 RE: Marginalie: Wer war in Vancouver am erfolgreichsten?
Zitat von Thomas WolfOder sie haben sie erstiegen, dann aber kein Aufhebens darum gemacht, oder hatten keine Möglichkeit oder auch nur den Einfall, die Leistung einem breiteren Publikum bekannt zu machen, oder es war ein solches gar nicht vorhanden.
Den Verdacht habe ich allerdings auch! Für so manchen Erstbesteiger müßte man wohl auf jedem Hügel dauerhaft einen einheimischen Bauern postieren, um dessen überragende Leistung etwas zu relativieren.
Zitat Die einheimischen Bauern konnten keinen rechten Sinn im ersteigen irgendwelcher Gipfel erkennen
Oder sie haben sie erstiegen, dann aber kein Aufhebens darum gemacht, oder hatten keine Möglichkeit oder auch nur den Einfall, die Leistung einem breiteren Publikum bekannt zu machen, oder es war ein solches gar nicht vorhanden.
Das Bergsteigen um des Bergsteigens willen ist, lieber Thomas Wolf, wohl in der Tat eine europäische Erfindung, und noch dazu eine ziemlich späte.
Auch heute noch dürfte sich mancher Sherpa fragen, was in aller Welt denn seine europäischen und amerikanischen Kunden dazu bewegt, die Strapazen und Gefahren einer Gipfelbesteigung auf sich zu nehmen, nur um für ein kurze Zeit oben zu sein und - wenn das Wetter es erlaubt - runtergucken zu können.
Bis Ende des 18. Jahrhunderts dürften das wohl auch die meisten Europäer so gesehen haben. Man hatte zu den Bergen alles andere als ein romantisches Verhältnis; man war heilfroh, wenn man einen Paß bewältigt hatte und wieder im Tal war. 1786 dann die Erstbesteigung des Mont Blanc; damit ging es los. Für Humboldt war es schon ein Ziel an sich, auf den Chimborazo hinaufzukommen; auch wenn er es vielleicht nicht ganz schaffte.
Es war wie mit dem Reisen: Bis Ende des 18. Jahrhunderts reiste man überwiegend aus Notwendigkeit und freut sich, wenn man die Unbequemlichkeiten des Reisens wieder hinter sich hatte. In der Fremde fühlte man sich im Elend, was ja die ursprüngliche Bedeutung dieses Worts ist.
Die Natur hat man teils als feindselig gesehen, teils als die Quelle von Benötigtem. Das romantische Verhältnis zur Natur, das viele Reisen und das eben auch die Bergsteigerei motiviert, ist ein Kind der Umbruchzeit ab Ende des 18. Jahrhunderts. Sozusagen ein Nebeneffekt der Revolutionen dieser Zeit, und dann natürlich ein Hauptthema der Romantik.
Zitat von ZettelEr hat sich wie so vieles aus unserer Kultur über die Welt ausgebreitet. Eine wirklich konsequente Förderung hat er außerhalb unseres Kulturkreises aber, soweit ich sehe, nur dort erfahren, wo es um nationales Prestige und vor allem um das Prestige des Sozialismus ging und geht.
"Förderung erfahren" möglicherweise schon, neben diesem Aspekt kommt aus meiner Sicht aber noch ein anderer dazu: die Chance des Einzelnen, einem diktatorischen System oder sonst unerfreulichen Lebensverhältnissen zu entkommen. So gesehen könnte man Länder mit wenig sportlichem Ehrgeiz auch beglückwünschen. Jedenfalls mache ich mir um die mir sympatischen Inder wegen ihrem fehlenden sportlichen Ehrgeiz keine sorgen, eher schon um die, die Sporterfolge unbedingt brauchen.
Das sehe ich auch so, lieber Ungelt. Der sportliche Erfolg gehört ebenso untrennbar zum Sozialismus wie die Armut und die Unterdrückung.
Warum? Es ist, glaube ich, ähnlich wie mit der Raumfahrt, die ja auch für den Sozialismus eine ungeheure Bedeutung hatte und für China heute noch hat. Nach dem faktischen Ausstieg Obamas aus der bemannten Raumfahrt wird China sie jetzt noch schneller vorantreiben und damit der Welt seine zunehmende Überlegenheit über die USA demonstrieren.
Denn darum geht es natürlich: Um Prestige, um den Nachweis der Überlegenheit. Jeder weiß, daß ein Gesellschaftssystem nicht human und lebenswert sein muß, nur weil das betreffende Land Menschen in den Weltraum schießt und Sportler zu Höchstleistungen trimmt. Dennoch wird das, irrational, wie wir Menschen sind, so wahrgenommen.
Und ein zweites kommt hinzu: Nicht nur nach außen, sondern auch ins Innere hinein sollen solche Erfolge wirken. Vielleicht können Sie, lieber Ungelt und können andere, die den Sozialismus aus eigener Erfahrung kennen, Richtigeres dazu sagen als ich. Mein Eindruck jedenfalls ist es, daß zB die Erfolge der DDR-Sportler bei vielen von "unseren Menschen" tatsächlich so etwas wie einen Stolz auf "unser Land" begründet haben; ebenso der Flug des Kosmonauten Jähne.
Zitat von ZettelUnd ein zweites kommt hinzu: Nicht nur nach außen, sondern auch ins Innere hinein sollen solche Erfolge wirken. Vielleicht können Sie, lieber Ungelt und können andere, die den Sozialismus aus eigener Erfahrung kennen, Richtigeres dazu sagen als ich. Mein Eindruck jedenfalls ist es, daß zB die Erfolge der DDR-Sportler bei vielen von "unseren Menschen" tatsächlich so etwas wie einen Stolz auf "unser Land" begründet haben; ebenso der Flug des Kosmonauten Jähne.
Das sehe ich auch so: Manche entwickeln diesen Stolz und beim Rest bohrt der Gedanke, ob das System möglicherweise doch nicht besser als vermutet sein könnte, wenn es zu solchen "Erfolgen" führt. (Die werden ja durch selektive Berichterstattung noch deutlich verstärkt, das kennen wir ja schließlich auch.) Es ist dann zumindest ein trennender Faktor innerhalb der Opposition, relativ stark gefühlsgeladen, denn es geht ja "um unsere Jung's" und so. Wer es skeptisch sieht, ist schnell "überkritisch" usw.
Zitat Oder sie haben sie erstiegen, dann aber kein Aufhebens darum gemacht, oder hatten keine Möglichkeit oder auch nur den Einfall, die Leistung einem breiteren Publikum bekannt zu machen, oder es war ein solches gar nicht vorhanden.
Soweit ich die Geschichte des Bergsteigens richtig kenne, war das Ersteigen von Bergen um seiner selbst willen auch in Europa bis ca. frühes 19. Jahrhundet schlicht nicht üblich. Natürlich wird der eine oder andere Berg auch früher schon erstiegen worden sein, wenn es notwendig war: wenn man einen Aussichtspunkt brauchte, wenn man entlaufenem Vieh nachstieg, Gemsen jagte, etc. Die ein oder andere nicht überlieferte mittelalterliche Erstbesteigung mag es daher durchaus gegeben haben. Aber einfach so aus Jux und Tollerei einen Berg zu ersteigen ist eine neumodische Erfindung. Die allermeisten europäischen Gipfel über sagen wir 2500 Meter (d.h. deutlich oberhalb jedweder wirtschaftlich sinnvollen Nutzung) werden wohl tatsächlich erst im 19. Jahrhundert von einem Menschen erstiegen worden sein.
Sowas gefällt mir, lieber Thomas - a bisserl die Daten zusammentragen, und schon hüpfen Einsichten heraus!
Nur eines verstehe ich nicht ganz: Für Deutschland hat Briggs offenbar zwischen 1956 (letzte gesamtdeutsche Mannschaft) und 1992 (wieder erste gesamtdeutsche Mannschaft) einfach linear interpoliert.
Warum hat er nicht entweder die Zahlen für die beiden deutschen Mannschaften addiert oder eben, falls ihm das nicht gerecht vorkam, eine Lücke gelassen? Mir kommt das, was er macht, wie eine der unsinnigen linearen Interpolationen vor, die man den Studenten im Statistikunterricht auszutreiben versucht (So in dieser Art: Auf der Abszisse Obstsorten, auf der Ordinate die vom Durchschnittsdeutschen verzehrte Menge pro Jahr in kg, und dann die Daten mit einem Kurvenzug verbunden ).
Zitat von ZettelFür Deutschland hat Briggs offenbar zwischen 1956 (letzte gesamtdeutsche Mannschaft) und 1992 (wieder erste gesamtdeutsche Mannschaft) einfach linear interpoliert.
De facto schon, aber eigentlich hat er nur verbunden: "that flat line in the middle joins the old and new Germany" Also einfach nur ein graphisches Element, damit die beiden Kurvenstücke links und rechts erkennbar zusammen gehören. Im Rahmen einer schnellen kleinen Zahlenspielerei wie dieser halte ich das für ok.
Zitat Warum hat er nicht entweder die Zahlen für die beiden deutschen Mannschaften addiert ...
Das wäre natürlich inhaltlich falsch gewesen, weil das Antreten mit zwei Mannschaften die Medaillenchancen erhöht.
Zitat von ZettelWarum hat er nicht entweder die Zahlen für die beiden deutschen Mannschaften addiert ...
Das wäre natürlich inhaltlich falsch gewesen, weil das Antreten mit zwei Mannschaften die Medaillenchancen erhöht.
Nicht unbedingt. Warum sollten die Chancen von, sagen wir, hundert Athleten größer sein, wenn sie in je einer Mannschaft zu fünfzig als wenn sie in einer einzigen Mannschaft zu hundert an Olympischen Spielen teilnehmen?
Ein größere Chance ergibt sich nur erstens bei denjenigen Sportarten, wo die Zahl der Teilnehmer pro Land limitiert ist. Ich kenne mich da nicht aus. Wissen Sie, lieber R.A., wie das in den einzelnen Sportarten ist? Zweitens steigt die Chance natürlich bei den Mannschaftssportarten.
Zitat Warum hat er nicht entweder die Zahlen für die beiden deutschen Mannschaften addiert oder eben, falls ihm das nicht gerecht vorkam, eine Lücke gelassen
Du hast natürlich Recht , zumal Brigg's Elementarcredo sonst "The Data Is The Data" lautet. Da geht noch nicht einmal ein Strich und schon gar keine Addition! Ts, Ts!
Zitat von ZettelEin größere Chance ergibt sich nur erstens bei denjenigen Sportarten, wo die Zahl der Teilnehmer pro Land limitiert ist. Ich kenne mich da nicht aus. Wissen Sie, lieber R.A., wie das in den einzelnen Sportarten ist? Zweitens steigt die Chance natürlich bei den Mannschaftssportarten.
Ehrlich gesagt dachte ich zuerst nur an die Mannschaftssportarten.
Und ich habe jetzt neugierhalber mal etwas nachgeschaut. Es gibt bei Winterspielen in dieser Zeit offenbar nur zwei Mannschaftswertungen - Biathlon-Staffel und Eishockey. Die DDR ist beim Eishockey nie angetreten, die BRD hat nie eine Medaille gewonnen. 1968, 1972 und 1976 gab es DDR-Bronze in Biathlon. Bei einem gemeinsamen Antreten wäre die Ausbeute eher besser gewesen als schlechter, die Addition wäre möglich gewesen. 1980 dagegen gab es im Biathlon eine westdeutsche Silber- und eine ostdeutsche Bronzemedaille. Also echter Vorteil wg. Trennung. 1984 waren beide Nationen einen Platz schlechter - also nur eine deutsche Medaille. 1988 nur Silber für den Westen. Und dann waren wir ja wieder glücklich vereint.
Wenn ich so die Ergebnisse anschaue vermute ich aber sehr, daß auch die Teilnehmerzahl pro Land begrenzt ist, daß man also mit zwei Mannschaften die Medaillenchancen steigern kann. Aber ich weiß es nicht sicher.
Zitat Es gibt bei Winterspielen in dieser Zeit offenbar nur zwei Mannschaftswertungen - Biathlon-Staffel und Eishockey.
Es dürfte noch mehr Disziplinen geben, bei denen die Teilnehmer pro Land begrenzt sind. Spontan fälllt mir z.B. der Viererbob ein. Früher mit max. 2 Bobs pro Land, jetzt mit max. 3 Bobs pro Land.
Der Hauptgrund, warum DDR+BRD im kalten Krieg in der Summe mehr Medaillen holten als heutzutage Deutschland, ist aber sicher ein anderer. Nämlich (a) die Tatsache, dass ein totalitärer Staat wie die DDR tendenziell bessere Chancen hat, gute Sportler hervorzubringen als ein Laisser-faire-System, das den Menschen viele alternative Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Und (b) der System-Wettbewerb, der die Bundesrepublik gezwungen hat, wenigstens einigermaßen dagegen zu halten. Konkurrenz belebt eben das Geschäft.
Wichtig ist natürlich auch die Frage, welche Disziplinen mit welchem Gewicht im Medaillenspiegel vertreten sind. Bis in die 30er gab es z.B. bei Olympia keinen Alpin-Ski. Der Skisport war rein nordisch. Daher vielleicht die relative Dominanz der Skandinavier in jener Zeit. Und je mehr "Funsportarten" wie z.B. Snowboard olympisch wurden, desto bessere Chancen haben auf einmal "relaxtere" Nationen wie Kanada, im Medaillenspiegel zu punkten.
Nebenbei gesagt ist es übrigens auch kein Zufall, dass Nationen mit ausgeprägter medaillenorientierter Sport-Föderung (wie z.B. China aber auch Deutschland) sich auf Sportarten konzentrieren, in denen es viele Medaillen gibt. Eine einzige Biathletin kann 4 Medaillen holen. Beim Eishockey braucht man hingegen ein großes Team für maximal eine Medaille. Also nicht so kosteneffizient.
Auf die Spitze getrieben haben dieses Spiel die Schwimmer. Wenn ein Schwimmer 6 oder 7 Goldmedaillen holen kann, dann ist klar, dass die Sportförderung sich darauf konzentrieren wird.
Zitat von R.A.Die DDR ist beim Eishockey nie angetreten, die BRD hat nie eine Medaille gewonnen.
Aber aber. Wer wird denn die großartige Bronzemedaille von 1976 vergessen! Auch wenn man sich das heute kaum noch vorstellen kann
Eishockey kapiert ja auch keiner. Im Prinzip scheint das Spiel ja klar: Punktrichter, Schläger, Rüstung, glatter Untergrund. Aber wozu braucht man dieses komische schwarze Projektil? Panzerbrechend ist das ja nun auch nicht...
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Zitat von R.A.Die DDR ist beim Eishockey nie angetreten, die BRD hat nie eine Medaille gewonnen.
Aber aber. Wer wird denn die großartige Bronzemedaille von 1976 vergessen! Auch wenn man sich das heute kaum noch vorstellen kann Gruß, hubersn
Nach der Bronzemedaille von 1932 übrigens sogar schon die zweite Bronzemedaille für eine deutsche Mannschaft. Man muss nur lange genug nach den Erfolgen suchen. Heute kann man sich das tatsächlich kaum noch vorstellen. Die Deutschen sind nicht nur technisch alles andere als weltklasse, sondern können auch körperlich nicht mithalten, was unter anderem mit der Regelauslegung in den deutschen Ligen zu tun hat. Wenn dort fast jeder harte, aber nach den Regeln durchaus korrekte Bodycheck mindestens zu einer 2-Minuten-Strafe führt, ist es kein Wunder, dass die Spieler Probleme haben, wenn bei internationalen Turnieren diese Checks von den Schiedsrichtern konsequent nicht geahndet werden.
Eine Anmerkung noch zur DDR: Die DDR ist 1968 zum ersten und letzten Mal bei einem olympischen Eishockeyturnier angetreten. Sie wurde zwar Letzter und verlor auch das Spiel gegen die Bundesrepublik, aber sie war immerhin dabei.
Zitat von califax Eishockey kapiert ja auch keiner. Im Prinzip scheint das Spiel ja klar: Punktrichter, Schläger, Rüstung, glatter Untergrund. Aber wozu braucht man dieses komische schwarze Projektil? Panzerbrechend ist das ja nun auch nicht...
Da Sie anscheinend den Puck nicht mögen, vielleicht wäre ja Bandy ein Sport für Sie? Oder wie wäre es mit Ringette?
Calimero
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03.03.2010 06:54
#25 RE: Marginalie: Wer war in Vancouver am erfolgreichsten?
Zitat von tekstballonnetje Eine Anmerkung noch zur DDR: Die DDR ist 1968 zum ersten und letzten Mal bei einem olympischen Eishockeyturnier angetreten. Sie wurde zwar Letzter und verlor auch das Spiel gegen die Bundesrepublik, aber sie war immerhin dabei.
Ich habe dunkel in Erinnerung, dass die DDR-Eishockeyliga überhaupt nur aus zwei Mannschaften bestand (Berlin und Weißwasser, soweit ich weiß). Da kann man schon mal Letzter werden.
Eishockeystadien sind ja auch teuer im Unterhalt, ... und der Energiebedarf erst, ... und der Carbon-Footprint ...
Mal ehrlich, zwei Mannschaften reichen doch völlig aus, um den sozialistischen Volksmassen spannende Spiele bieten zu können, oder? Aber, ich schweife ab.
Beste Grüße, Calimero
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