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Dieses Thema hat 13 Antworten
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Calimero Offline




Beiträge: 3.280

01.04.2010 10:24
Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat von Tagesspiegel
Es wird überlegt, ob das Kottbusser Tor beispielsweise ohne große Übersetzungsmühen künftig gleichwertig „Kottbuss kapasa“ heißen kann und die Schönleinstraße beispielsweise „Schönlein sokaza“. Zur kompletten Übertragung eignen sich etwa die Bergmannstraße („madenci sokaza“), die Sackgasse („çikmaz sokak“) oder der Südstern („nisan eakasa“). Meyer-Güç gibt weiter zu bedenken, dass bereits kürzlich umbenannte Straßen nicht schon wieder einen neuen Namen erhalten sollten, um die Bewohner nicht zu verunsichern. „Da haben wir das May-Ayim-Ufer, an das sich die Bürger gerade gewöhnen“, sagt er, „da sollte jetzt nicht gleich das ,May Ayim sahil‘ draufgesetzt werden“.



http://www.tagesspiegel.de/berlin/Strass...;art270,3072143

Hurra, wir kapitulieren!

Nachtrag: Bei Kewil wird es auch behandelt und der Verdacht geäußert, dass es sich um einen Aprilscherz handeln könnte. Mist, ich hab nicht auf den Kalender geguckt.

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Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.04.2010 13:45
#2 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat von Calimero

Zitat von Tagesspiegel
Es wird überlegt, ob das Kottbusser Tor beispielsweise ohne große Übersetzungsmühen künftig gleichwertig „Kottbuss kapasa“ heißen kann und die Schönleinstraße beispielsweise „Schönlein sokaza“. Zur kompletten Übertragung eignen sich etwa die Bergmannstraße („madenci sokaza“), die Sackgasse („çikmaz sokak“) oder der Südstern („nisan eakasa“). Meyer-Güç gibt weiter zu bedenken, dass bereits kürzlich umbenannte Straßen nicht schon wieder einen neuen Namen erhalten sollten, um die Bewohner nicht zu verunsichern. „Da haben wir das May-Ayim-Ufer, an das sich die Bürger gerade gewöhnen“, sagt er, „da sollte jetzt nicht gleich das ,May Ayim sahil‘ draufgesetzt werden“.


http://www.tagesspiegel.de/berlin/Strass...;art270,3072143
Hurra, wir kapitulieren!
Nachtrag: Bei Kewil wird es auch behandelt und der Verdacht geäußert, dass es sich um einen Aprilscherz handeln könnte. Mist, ich hab nicht auf den Kalender geguckt.



Während des Lesens stieg allerdings auch in mir dieser Verdacht hoch, lieber Calimero. Denn "Sackgasse" ist ja nun kein Straßennamen (höchstens Erna-Sack-Gasse).

Die Bergmannstraße dürfte wohl auch eher nach einer Person als nach Beruf des Bergmanns benannt sein.

Herzlich, Zettel

Kallias Offline




Beiträge: 2.309

01.04.2010 14:50
#3 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat von Zettel
Denn "Sackgasse" ist ja nun kein Straßennamen

Eine "Sackgasse" gibt es in Berlin nicht! Wär ja noch schöna!

Zitat von Zettel
Die Bergmannstraße dürfte wohl auch eher nach einer Person als nach Beruf des Bergmanns benannt sein.

Und zwar nach der Grundbesitzerin Marie Luise Bergmann, der im frühen 19. Jahrhundert diese Gegend vor den Stadtmauern gehörte.

Ursprünglich hieß die Bergmannstraße, die an den Fuß des Kreuzberges führt, übrigens Weinbergsweg: in dieser recht hügeligen Gegend wurde Wein angebaut, was damals in Berlin nichts Ungewöhnliches war; auch die Brüder Humboldt zogen Wein im Garten ihres Schlösschens, das noch zwanzig Kilometer weiter nördlich liegt.

Später wurde es in Berlin kälter, wie man sich anhand von Raabes "Chronik der Sperlingsgasse" (Serçe sokak) überzeugen kann, erst der Klimawandel () brachte den Weinbau nach Kreuzberg zurück, und zwar im Jahre 1968, das auch sein Gutes hatte.

Herzliche Grüße,
Kallias

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

01.04.2010 15:04
#4 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Was man hier nicht alles lernt...

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Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

Libero Offline



Beiträge: 393

29.04.2010 12:33
#5 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat von Kallias
Ursprünglich hieß die Bergmannstraße, die an den Fuß des Kreuzberges führt, übrigens Weinbergsweg: in dieser recht hügeligen Gegend wurde Wein angebaut, was damals in Berlin nichts Ungewöhnliches war; auch die Brüder Humboldt zogen Wein im Garten ihres Schlösschens, das noch zwanzig Kilometer weiter nördlich liegt.
Später wurde es in Berlin kälter, wie man sich anhand von Raabes "Chronik der Sperlingsgasse" (Serçe sokak) überzeugen kann, erst der Klimawandel () brachte den Weinbau nach Kreuzberg zurück, und zwar im Jahre 1968, das auch sein Gutes hatte.
Herzliche Grüße,
Kallias



Das ist nicht ganz richtig, Herr Kallias. Es war vorher drastisch kälter. Der Frostwinter von 1740 mit 150 Frosttagen, davon viele unter -20 Grad C, hat den in der Mark und Mecklenburg weitverbreiteten Weinbau empfindlich getroffen. Alleine in heutigen Berliner Stadtgebiet gab es weit über 20, wenn nicht 40 ausgedehnte Weingärten, (Prenzlauer Berg, viele Anhöhen in den Dörfern) deren Weinstöcke alle erfroren.
Das gilt auch für Potsdam. Unterhalb des Belvederes waren noch zu Schinkels Zeiten Weinberge bis zum Heiligen See. Da steht ja Schinkels erster eigener Bau. Für einen Weinbergsbesitzer.

Friedrich II sprach zunächst ein Verbot aus, den Weinbau wiederzubeleben, um endlich den Ostanbau zu fördern. Die Märker waren da etwas unwillig und liebten nicht den Apfel, so wie es die Könige wollten. Harmlose Bäume wurden gefällt und zerstört. Guerillakrieg in der Mark gegen Ostbäume und königliche Baumaufseher und Pfarrer.

Der Weinbau erholte sich zunächst von dem Kältewinter 1740. Es war Pflicht in der praktischen Prüfüng der Gärtner und Weinmeister, einen erfrorenen Weinstock wieder zum Austreiben animieren zu können. Dann kamen wieder schwere Winter in der napoleonischen Zeit mit wieder mehr als hundert Frosttagen mit teilweise extremen Tieftemperaturen bis -20 Grad, aber noch bis 1945 wurde Wein als Tafelobst für den Berliner Mark angebaut. Ich darf nur daran erinnern, daß der Maler Karl Hagemeister als Sohn eines Weinbergbesitzers in Werder geboren ist.

Der Rückgang des Weinbaues ist weniger auf die Kälte und viel stärker auf die bessere Verkehrsanbindung der Mark zurückzuführen, durch die die besseren Weine südlich des Polarkreis des Weines wettbewerbsfähiger wurden. Auch die Behandlung des märkischen Weines nach der Ernte war nicht sonderlich gut, so das aus guten Tafelobst nur mässiger Wein entstand.

Wäre die Mark katholisch geblieben, wäre der Weinbau natürlich länger am Leben geblieben. 1542 wurde das Kloster Lehnin aufgehoben. Die drei verbliebenen Patres erbaten vom Kurfürsten 900 Liter Wein pro Jahr für sich selbst und ihre Besucher.

empfohlene Literatur

Am Polarkreis des Weines - Der Potsdamer Wachtelberg Vacat Verlag
Vom Weine wird ewig gesungen - 800 Jahre Weinanbau in Mecklenburg-Vorpommern und Ostbrandenburg. Hinstorff Verlag, (Bemerkenswert wegen der zahlreichen Eingaben der Weintrinker gegen den Wein des Nordens)
Bauet euch Weinberge Geschichte des Weinbaus in der Niederlausitz Regia Verlag
Potsdamer Pomologischen Geschichten Vacat Verlag

Die historische Literatur zum Weinbau in der Mark ist selbstverständlich umfangreicher und nicht in meinem Besitz. Eines der ältesten deutschen Weinbaulehrbücher stammt von dem Universalgelehrten Johannes Coler(us) des Kurfürsten der Mark und ist 1596 in Wittenberg erschienen. Die Weinmeisterordnung ist noch älter und wurde 1578 erlassen. Auch in den Jahrbüchern der Lokalhistoriker finden sie viele Beiträge. Wenn Sie sich die Karten 1:25000 ansehen, finden Sie die Flurbezeichnung Weinberg in den Gemarkungen vieler Dörfer der Mark.

Libero

PS: Ungewöhnlich, dass hier einer die Chronik der Sperlinggasse kennt und mit dem Namen Wilhelm Raabe etwas anzufangen weiss.

Man sollte vorsichtig sein in der Wahl seiner Feinde: Früher oder später wird man ihnen ähnlich.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

29.04.2010 12:42
#6 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat von Libero
Ungewöhnlich, dass hier einer die Chronik der Sperlinggasse kennt und mit dem Namen Wilhelm Raabe etwas anzufangen weiss.


Hehe! Hier lesen und schreiben Leute, die, lieber Libero, sich in mancherlei Chroniken auskennen.

Mit Raabe habe ich übrigens, trotz aller ehrlichen Bemühungen, bisher nichts anfangen können. Das ist mir, wie soll ich sagen, zu subjektiv, zu verdruckst, zu wenig souverän. Da schreibt sich, so scheint mir, einer sein Leid von der Seele.

Das geht nur selten gut. Bei Kafka ging es gut, weil er ein so unglaublich begabter Meister einer kargen, treffenden Sprache war. Bei Walser ging es gut, dem Robert, der Kafka so ähnlich war. Sonst selten.

Herzlich, Zettel

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

29.04.2010 13:09
#7 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat von Libero
Wenn Sie sich die Karten 1:25000 ansehen, finden Sie die Flurbezeichnung Weinberg in den Gemarkungen vieler Dörfer der Mark.



Das kann ich für mein Herkunftsdorf jedenfalls bestätigen, lieber Libero. Und, vielen Dank für diesen historischen Abriss. Hab wieder was gelernt über meine Mark Brandenburg. Thx.

Herzlich, Calimero

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Mein derzeitiger Avatar bezeugt meine Solidarität mit unseren Jungs, die derzeit in irgendwelchen politisch-medial nicht unterstützten Kriegen verheizt werden. Das Truppenabzeichen im Hintergrund ist das des Fallschirmjägerbataillons 373, dem ich mich persönlich stark verbunden fühle. Kameraden, Glück ab!

Libero Offline



Beiträge: 393

29.04.2010 13:27
#8 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von Libero
Ungewöhnlich, dass hier einer die Chronik der Sperlinggasse kennt und mit dem Namen Wilhelm Raabe etwas anzufangen weiss.


Mit Raabe habe ich übrigens, trotz aller ehrlichen Bemühungen, bisher nichts anfangen können. Das ist mir, wie soll ich sagen, zu subjektiv, zu verdruckst, zu wenig souverän. Da schreibt sich, so scheint mir, einer sein Leid von der Seele.




Lieber Herr Zettel

Seine literarischen Schwächen sind mir schon aufgefallen, so ist es nicht. Der Schriftsteller Raabe steht mir nicht so nahe wie natürlich Theodor Fontane, Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer und ... Jeremias Gotthelf. Diese Zeit des Umbruches und Durchbruches zur Moderne interessiert mich am meistens. Aber ich lese ohnehin eher Sachbücher und Kulturgeschichte. Von Schriftstellern lese ich vor allem die Autobiographien und Briefe. Die Autobiographien von Hesse, Schnitzler und Stefan Zweig fand ich sehr aufschlußreich. Dann die Briefe. Einige Briefe von G. Keller lese ich gerne vor. Oder die Erinnerungen von C.F. Meyer an seine Begegnungen mit G. Keller. Briefe können eine sehr interessante Lektüre sein. Wie der des 24 jährigen Bismarck an seinen späteren Schwiegervater Puttkamer.

Manchmal ist es auch hinderlich, zuerst die Briefe zu lesen. Ich lese Thomas Mann nicht. NIE. Diese Marotte, erst den Menschen, dann den Schriftsteller kennenzulernen, hat mich auch vor Brecht bewahrt.

Trotzdem steht mir der Mensch Wilhelm Raabe nahe. Einerseits als Ostfale und Braunschweiger. Andererseits sind die Bücher von Raabe auch sozialgeschichtlich interessant. Er ist ein Kind seiner Zeit, typisch für viele Menschen des damaligen Bürgertums. Fontanes Frau und Tochter Mette lasen Rabe, er eher beiläufig. Raabe ist bei einigen Themen Pionier in der deutschsprachigen Literatur. Umweltschäden, Mietskaserne, Behinderung, Verstädterung. Das sollte man ihm anerkennen.

Libero

Man sollte vorsichtig sein in der Wahl seiner Feinde: Früher oder später wird man ihnen ähnlich.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

29.04.2010 13:57
#9 Realismus Antworten

Zitat von Libero
Der Schriftsteller Raabe steht mir nicht so nahe wie natürlich Theodor Fontane, Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer und ... Jeremias Gotthelf. Diese Zeit des Umbruches und Durchbruches zur Moderne interessiert mich am meistens.


Ja, so geht es mir auch. Das 19. Jahrhundert war schon faszinierend. In der Literatur dieser Realismus, den es ja im 20. Jahrhundert kaum noch gegeben hat, von Arno Schmidt abgesehen. Im 20. Jahrhundert kehrte sich alles nach innen.

Aber von Balzac bis Zola gab es dieses Motiv, alles sozusagen haarklein zu beschreiben, wie es ist. Erbarmunglos, genau, gerecht. Bei Zola so glänzend, daß er einer meiner Lieblingsautoren ist, wie Fontane, wie Keller. Bei Balzac meines Erachtens hingeschludert.

Meyer und Jeremias Gotthelf kann ich nicht beurteilen, weil ich von ihnen zu wenig gelesen habe.

Von Keller habe ich alles gelesen, und ich weiß folglich, daß die Kennzeichnung "poetischer Realismus" für diesen Mann, der immer an der Grenze des Erträglichen war, absurd ist.

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

29.04.2010 14:31
#10 RE: Realismus Antworten

Zitat von Zettel

Aber von Balzac bis Zola gab es dieses Motiv, alles sozusagen haarklein zu beschreiben, wie es ist. Erbarmunglos, genau, gerecht. Bei Zola so glänzend, daß er einer meiner Lieblingsautoren ist, wie Fontane, wie Keller. Bei Balzac meines Erachtens hingeschludert.



Lieber Herr Zettel

Wer Balzac Leben kennt, verzeiht ihm seine Schluderei. Er schrieb immer gegen die Schulden und Vorauszahlungen an. Das geht nun mal zu Lasten der Qualität. Für die Zeitungen hat die Qualität gereicht.

Zitat

Meyer und Jeremias Gotthelf kann ich nicht beurteilen, weil ich von ihnen zu wenig gelesen habe.


Beide habe ich Hermann Hesse zu verdanken. Bei C.F. Meyer sind es eher die Balladen und Gedichte. Die Füsse im Feuer steht mir ähnlich nahe wie der Panther von Rilke. An Gotthelf finde ich gerade die bäurische Welt anziehend. Die Scholle ist mir näher als Ihnen, nur eine Generation. Das Berner (?) Deutsch ist leider schwer zu lesen.

Zitat

Von Keller habe ich alles gelesen, und ich weiß folglich, daß die Kennzeichnung "poetischer Realismus" für diesen Mann, der immer an der Grenze des Erträglichen war, absurd ist.


Gottfried Keller war auch privat nicht ganz einfach. Er war leicht aufbrausend und trotz seiner geringen Körpergröße ein gefürchteter Raufbold bei Prügeleien in den Gasthäusern. Die mangelnde Körpergröße machte er durch einen Sprung auf die Tische wett. Natürlich mit einem Stuhl, denn ein Stuhlbein brauchte er ja. Nach seiner Zeit als Staatsschreiber war er etwas gesetzter und ruhiger, aber immer noch aufbrausend. Gottfried Keller war zwar mehrfach verliebt, eine der Briefe an eine Liebe in Heidelberg ist das menschlich Berührendste, was er je schrieb, aber blieb unverheiratet und lebte wie viele in seiner Generation, mit seinen Geschwistern zusammen. Wenn man die Briefe an Frauen liest, merkt man schon, das er an diesem Alleinsein litt. Auch wenn er den gegenteiligen Eindruck erwecken will. Oder der Briefwechsel Storm Keller. Was sollte er da erwidern. Storm schrieb erst von seinen Kindern, dann von seinen Enkelkindern. All das fehlte bei ihm im Leben. Poetisch war wenig an seinem Leben. Ich hätte es schwer mit ihm gehabt. Meister Gottfried liebte die Stille beim Essen und erst recht beim Bier, wenn er mit dem Freund seiner späten Jahre, dem Meister Arnold Böcklin zusammensass.
Den ruhigeren Gottfried Keller eines anderen Lebensweges, der in seinen letzten Lebensmonaten stärker durchkam, den hat u.a. C.F. Meyer in seinen Erinnerungen beschrieben.

Libero

Man sollte vorsichtig sein in der Wahl seiner Feinde: Früher oder später wird man ihnen ähnlich.

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

29.04.2010 15:37
#11 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat
PS: (...) und mit dem Namen Wilhelm Raabe etwas anzufangen weiss.



Ja klar doch! Den Abu Telfan (bzw. "oder die Heimkehr vom Mondgebirge") habe ich gerne gelesen.

Zitat
(...)Wie der des 24 jährigen Bismarck an seinen späteren Schwiegervater Puttkamer.



Jou, vom 21. Dez. 1846, und seine folgenden Briefe an dessen Tochter, seine spätere Frau, welche meist mit: "mein liebes Herz" begannen. Oder:

Kissingen 28. Jul. 1881

"Mein geliebtes Herz,
mit Freuden empfing ich heut Dein Telegramm und danke Dir mit Gott für alle Gnade, die uns in diesen 34 Jahren wiederfahren ist". ...

Wer hätte gedacht, das Bismarck eine so zärtlich romantische Sprache für seine Herzensdame findet.

♥lich Nola

Kallias Offline




Beiträge: 2.309

30.04.2010 10:12
#12 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Zitat von Libero
Das ist nicht ganz richtig, Herr Kallias.

Kann passieren, wenn man sich aus zwei, drei Informationen die Geschichte zweier Jahrhunderte bastelt, noch dazu als Witz; für den ich mich entschuldige. Haben Sie vielen Dank für Ihre Ergänzungen!

Zitat von Libero
Friedrich II sprach zunächst ein Verbot aus, den Weinbau wiederzubeleben, um endlich den Ostanbau zu fördern. Die Märker waren da etwas unwillig und liebten nicht den Apfel, so wie es die Könige wollten.

(...) aber noch bis 1945 wurde Wein als Tafelobst für den Berliner Mark angebaut.

Nun verstehe ich endlich, wieso mein schwäbischer Opa beinahe der einzige Gärtner dieser südberliner Gegend gewesen ist, der Apfelbäume hatte - und Fichten - während der märkische Großonkel gegenüber Wein zog, an dessen durchdringende Säure ich mich zu erinnern glaube, aus dem er Traubensaft machte, vermutlich mit viel Zucker.

Zitat von Libero
Der Rückgang des Weinbaues ist weniger auf die Kälte und viel stärker auf die bessere Verkehrsanbindung der Mark zurückzuführen, durch die die besseren Weine südlich des Polarkreis des Weines wettbewerbsfähiger wurden.

Könnte nicht auch die Vorliebe für süße Weine in den 50er bis 80er-Jahren dabei eine Rolle gespielt haben? Der Weinbau nahm hier in der Stadt jedenfalls erst wieder seinen bescheidenen Aufschwung, als in den späten 80er Jahren die säuerlichen ("trockenen") Weine modisch wurden.

Zitat von Libero
Dann kamen wieder schwere Winter in der napoleonischen Zeit mit wieder mehr als hundert Frosttagen mit teilweise extremen Tieftemperaturen bis -20 Grad

Ich hatte mich schon über den kalten Winter 1812/13 gewundert, den Fontane in "Vor dem Sturm" - das andere Buch aus dem 19. Jh., das ich kenne - so malerisch darstellt, inkl. Verbrecherjagd auf der zugefrorenen Oder.

Herzliche Grüße,
Kallias

Libero Offline



Beiträge: 393

30.04.2010 10:54
#13 RE: Türkische Straßennamen in Berlin Antworten

Hallo Herr Kallias

die Märker waren sehr lange massiv gegen die Förderung des Obstbaues, der von den Landesherren ebenso energisch wie zunächst vergeblich gefördert und gefordert wurde. Die Alleen sollten zu Obstalleen werden, die ganz Mark reich an Obstgärten. Der Widerstand der Märker hat Menschen, die das Obst liebten und aus anderen Gegenden mit Obstanbau in die Mark kamen, damals auch gewundert. Den Widerstand kann man aus heutiger Sicht nicht verstehen. Damals gab es ja schon eine große wohlschmeckende Sortenvielfalt. Die Ernährung war ja eigentlich fad und neues Obst und Gemüse hätte sie verbessert.

Es gab lokale Keime des Obstanbaues, vornehmlich um königlichen Schlösser, die Ansiedlungen der Hugenotten und anderer Einwanderer. Auch einige Gutsbesitzersfamilien und Pfarrer waren sehr aktiv. Vorneweg natürlich die königlichen Gärtner, die mit Musterpflanzungen und Baumschulen dann den Durchbruch brachten.

Der Wein hat es am Polarkreis des Weinbaus schwer. Die Qualität der Weinbeeren waren schwankend, aber es reichte oft für Tafelobst, daß ab dem 19. Jahrhundert in drei Tagen mit kleinen Kähnen bis Berlin gebracht und von den Kähnen verkauft wurde.

Die miese Qualität der märkischen Weine lag leider vor allem an den privaten Weinmeistern, deren Ausbildung im Argen lag und deren Praxis teilweise katastrophal war. Was angekahrt wurde, wurde vermostet. Der Most ging gerade noch, aber das Reifen des Weines. Schlimm. Der meiste Most ging schließlich in die Essigproduktion. Das sagt genug.

Lustig sind in den genannten Büchern die Eingaben der Trinker. Dieser Wein war ja oft Deputatswein. Die Gutsherren oder die Stadtherren waren der Meinung, Wein ist Wein, die Trinker waren ganz und gar nicht der Meinung und schilderten die Wirkung des Genußmittels. Die Wirkung wird auch in einem Studentenlied der Frankfurter Universität geschildert.

Das man jetzt wieder Wein in und um Berlin, auch weiter nördlich anbauen kann, hat sicherlich damit zu tun, daß die süssen Weine kaum noch nachgefragt werden.

Der frühe Wein- und Ostbau ist ein sehr interessantes Kapitel der Kulturgeschichte der Mark. Falls Sie mal im Schloß Glienecke sind, lohnt sich ein Besuch der Hofgärtnermuseums. Alleine um mal die Originalzeugnisse des 18. Jahrhunderts zu sehen. Das sind keine Zeugnisse, das sind kalligraphische Meisterwerke. Die Zeugnisse des 19. Jahrhunderts waren nüchtern. Name, Fächer, Zensuren, mehr nicht. Falls Sie dann noch Zeit haben, besuchen Sie den Friedhof im Potsdam-Bornstedt. Dort finden Sie in einer kleinen Einfriedigung nahe der Kirche die Gräber der Hofgärtnerfamilien, die wie die Sellos über Generationen Hofgärtner waren. Dort liegen auch der Architekt von Arnim und natürlich Peter Lenne.

Es ist übrigens erstaunlich, was die Hofgärtner damals geleistet haben. Die ersten Kirschen gab es zum Beispiel Ende März, manchmal auch früher. Natürlich nicht im Freiland, sondern in Treibhäusern. Es ist auch erstaunlich, wieviele Südfrüchte in Treibhäusern erzeugt wurden.

Libero

Man sollte vorsichtig sein in der Wahl seiner Feinde: Früher oder später wird man ihnen ähnlich.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.04.2010 15:27
#14 RE: Realismus Antworten

Zitat von Libero
Gottfried Keller war auch privat nicht ganz einfach. Er war leicht aufbrausend und trotz seiner geringen Körpergröße ein gefürchteter Raufbold bei Prügeleien in den Gasthäusern. Die mangelnde Körpergröße machte er durch einen Sprung auf die Tische wett. Natürlich mit einem Stuhl, denn ein Stuhlbein brauchte er ja. Nach seiner Zeit als Staatsschreiber war er etwas gesetzter und ruhiger, aber immer noch aufbrausend. Gottfried Keller war zwar mehrfach verliebt, eine der Briefe an eine Liebe in Heidelberg ist das menschlich Berührendste, was er je schrieb, aber blieb unverheiratet und lebte wie viele in seiner Generation, mit seinen Geschwistern zusammen. Wenn man die Briefe an Frauen liest, merkt man schon, das er an diesem Alleinsein litt. Auch wenn er den gegenteiligen Eindruck erwecken will. Oder der Briefwechsel Storm Keller. Was sollte er da erwidern. Storm schrieb erst von seinen Kindern, dann von seinen Enkelkindern. All das fehlte bei ihm im Leben. Poetisch war wenig an seinem Leben. Ich hätte es schwer mit ihm gehabt. Meister Gottfried liebte die Stille beim Essen und erst recht beim Bier, wenn er mit dem Freund seiner späten Jahre, dem Meister Arnold Böcklin zusammensass.


Da haben Sie ihn trefflich gezeichnet, lieber Libero. Er war ein unglücklicher Mann, der sehr unter seinem Zwergwuchs litt; einer, dessen ganzes Leben unerwiderte Liebe durchzog. Er hatte dieses innige, ambivalente Verhältnis zur Mutter und litt fast so sehr, wie er immer lieben mußte, unter Schuldgefühlen.

Ob ich einen Autor schätze, hängt bei mir immer in erster Linie von der sprachlichen Meisterschaft ab. Nur sie hat mich zunächst für Keller eingenommen, und ich habe mich, mit dem "Grünen Heinrich" beginnend, durch sein Werk gelesen.

Dabei ist mir die Doppelbödigkeit immer deutlicher geworden. Diese Geschichten von oft scheinbar biederen Bürgern sind beim genaueren Hinsehen fürchterliche Geschichten. Realismus ja, aber unter der Poesie lauern die Abgründe.

Dann erst habe ich mich a bisserl mit der Person Gottfried Keller beschäftigt, einem Mann ständig am Rand des Scheiterns. Melancholiker, Alkoholiker, im Alter heiter-resignativer werdend. Ein anrührender Mensch.

Herzlich, Zettel

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