Hier war die Rede davon, dass der evangelische Kirchentag sich nicht von einem grünen Parteitag unterscheidet. Ich habe mir gestern früh aus reinem Masochismus einen evangelischen Gottesdienst im Fernsehen angeschaut. Hätte ich nicht tun sollen, denn das war nicht nur grün, das war dunkelrot. Es ging um das Thema "das liebe Geld". Und die These, dass Protenstantismus und Kapitalismus irgendwas miteinander zu tun haben, kann man getrost in die ideengeschichtliche Tonne treten.
Zitat von FernsehgottesdienstFrüher konnte man für gute Arbeit gutes Geld bekommen. Heute geht das nicht mehr so leicht. Viel besser kann man mit viel Geld noch mehr Geld verdienen. Blöd nur, wenn man keins hat. Es ist absurd: Da wetten Menschen auf das Steigen von Nahrungsmittelpreisen und gewinnen Unmengen von Geld, wenn sie recht behalten. Dass dadurch am anderen Ende der Welt Menschen verhungern, scheint nicht von Interesse. Ganz ehrlich: Ich verstehe es nicht. Aktienkurse, Derivate, Optionen, Leerverkäufe – das ist nicht meine Welt. Aber ich merke, dass ich das unheimlich ungerecht finde, wenn einige wenige mit Spekulationen unermesslich reich werden können und andere kaum eine Chance haben, egal wie sie sich mühen.
Danach kommt als Lesung das Gleichnis vom Kamel und dem Nadelöhr, und schon "predigt" die Pfarrerin weiter:
Zitat von Pfarrerin TrautweinRobert Frank, ein Wall Street Journalist beobachtet US Millionäre und Milliardäre,. Er berichtet: „Finanziell stehen sie nach der Krise besser da als jede andere Einkommensgruppe in den USA. Trotzdem sind sie die paranoideste, ängstlichste, am stärksten verunsicherte Gruppe in der Bevölkerung.“ Frank hat dafür eine einfache Erklärung: „Wer viel hat, der hat eben auch viel zu verlieren. So werden gerade Millionäre in unruhigen Zeiten von Abstiegsängsten geplagt.“ Jeder glaubt, Reichtum bringt dir Sicherheit, aber viele dieser Leute sind einfach gestresste Nervenbündel“. Offen gestanden: mein Mitgefühl hält sich an dieser Stelle in Grenzen. Mein Mitgefühl gilt den Menschen, die sich sorgen, weil sie zu wenig Geld haben und oft nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen und deshalb nicht richtig am Leben teilnehmen können.
Natürlich ist es wichtig zu erwähnen, dass es US-Milliardäre sind, aber auch in der "Stadt des Geldes im Schatten der Bankentürme" (Trautwein) scheint es nicht viel besser zu sein:
Zitat Denn die mächtigsten Götzen unserer Zeit heißen wohl „Geld“ und „Markt“. Sie scheinen allmächtig zu sein, so dass ganze Regierungen nach ihrer Pfeife tanzen.
Das Problem ist also klar erkannt. Nach liturgischen Sahnestücken wie "money money money" von ABBA und einem Eckart-von-Hirschhausen-Zitat geht es nun darum, Lösungen zu finden. Der Frankfurter Lutheraner kennt sich aus:
Zitat Neulich habe ich zum Beispiel meinen Finanzberater ins Schwitzen gebracht – Für meine Rente wollte ich wissen, ob es auch verantwortbare Geldanlagen gibt, bei denen es nicht auf Kosten anderer oder der Umwelt geht. Er hat ein paar Tage gebraucht, aber jetzt investiere ich in nachhaltige Anlagen, die eben sozial gerecht und ökologisch vertretbar sind. Davon gibt es immer mehr und die meisten sind auch irgendwie zertifiziert. Das ist sicher besser als nichts. Und das erwarte ich auch von unseren Politikern. Ich will ein Steuersystem das sozial gerecht und ökologisch vertretbar ist
. Und jetzt fragt man sich doch, warum die evangelische Kirche nicht einen Boom erlebt, wenn sie sich dem Zeitgeist so offenkundig anbiedert. Aber die Austrittszahlen sind nicht geringer als in der Una Sancta, auch Konversionen gibt es nicht so viele.
Da braucht sich der Islam keine Sorgen um Zulauf zu machen. Da gibt's klare, nicht verhandelbare Regeln, und jeder weiß, was Sache ist. Schaut man sich dagegen unsere weichgespülten, jeder Mode nachrennnenden Kirchen an, die Katholiken sind ja nur unwesentlich besser, sind diese zurecht auf dem absteigenden Ast.
Wir haben bereits mehrere sozialistische Parteien – wozu sind Kirchen nütze, die lediglich die Predigten der Parteien nachbeten?
Mit freundlichem Gruß
-- „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ – sagt Ingeborg Bachmann
Zitat von FernsehgottesdienstGanz ehrlich: Ich verstehe es nicht. Aktienkurse, Derivate, Optionen, Leerverkäufe – das ist nicht meine Welt. Aber ich merke, dass ich das unheimlich ungerecht finde
Zugegebenermaßen keine Ahnung haben, aber es "unheimlich ungerecht finden". Oh mein Gott.
-- Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
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