In diesem Beitrag in Zettels Raum geht es um das, was Krieg noch ist, seit er durch die Nürnberger Prozesse geächtet wurde.
Es kommt so gut wie nicht mehr vor, daß ein Staat einem anderen den Krieg erklärt. Kriege "brechen" nicht mehr "aus" wie eine Infektionskrankheit, sondern sie entwickeln sich schleichend, wie eine Kreislauferkrankung.
Deshalb - so meine These - ist es im Grunde sinnleer, wenn man fragt, ob in diesen Tagen im Nahen Osten "schon ein Krieg" im Gange sei, ob es im Irak einen "Bürgerkrieg" gebe und ob die USA sich seit 9/11 im "Krieg gegen den Terrorismus" befinden.
Geächtet ist der Krieg. Daß militärische Gewalt dadurch seltener oder weniger fürchterlich geworden sei, wird man nicht behaupten können.
du hast in Zettels Raum einen sehr interessanten und kenntnisreichen Kommentar geschrieben. Da ich mal wieder meine Lust auf ausführliches Antworten nicht bändigen konnte, habe ich die Antwort hierher verlagert - auch, weil ich mich auf deine Entgegnung freue.
Und damit's lesbar bleibt, zerlege ich die Antwort in zwei Teile.
In Antwort auf:"Als im Januar 1991 der erste Golfkrieg begann, war in unserer Universität und ihrem Umfeld die Bestürzung groß."
Kleine Korrektur. Der Erste Golfkrieg tobte mehrere Jahrelang in den Achtzigern und fand zwischen dem Iran und dem Irak statt.
Naja, lieber Sparrowhawk, kommt halt darauf an, wie man zählt. Ich hatte einen Verweis auf diesen Krieg erst im Text stehen und habe ihn dann wieder gelöscht, weil mir das vom Gedankengang abzulenken schien.
Übrigens war dieser irakisch-iranische Krieg weit blutiger als die beiden folgenden Golfkriege, wurde aber in Deutschland viel weniger zur Kenntnis genommen.
Man sah ihn eher so, daß gewissermaßen "hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinanderschlagen". Vermutlich, weil es kein Krieg war, bei dem die Guten und die Bösen feststanden und wo vor allem den USA die Bösewicht-Rolle zugeschrieben werden konnte. (Aus wohl demselben Grund finden die blutigen Kriege in Afrika bei uns kaum Beachtung; würden irgendwo in Afrika US-Truppen kämpfen, dann wären dieser Krieg sofort täglich in den Schlagzeilen).
In Antwort auf:"Er war nur die erste kriegerische Auseinandersetzung, die in allen Einzelheiten "gecovert" wurde, medial begleitet."
Hm, naja, so ganz richtig ist das auch nicht; ich darf an die Kriegsberichterstattung aus Vietnam erinnern. Nur gab es zu der Zeit weder News aus dem Internet noch per Satellitenfernsehen.
Das war überhaupt kein Vergleich zu den heutigen medial begleiteten Kriegen. Ich habe das ja erlebt: Da gab es, wie du richtig sagst, noch keine Satellitenübertragungen, sondern die Bilder kamen nach Tagen in den TV-Stationen an. Es waren oft nur Standfotos, gelegentlich einmal kurze Filmsequenzen.
Jetzt im Irak-Krieg fuhren die Bildreporter dagegen mitten im Konvoi mit, wirklich "embedded", und sie berichteten via Satelliten-Video in Echtzeit über die Kämpfe.
Oder, anderes Beispiel: In CNN gab es jeden Tag die vollständige Übertragung der ausführlichen Pressekonferenz des US-Hauptquartiers in Katar; mit allen militärischen Einzelheiten. (Die habe ich eine zeitlang täglich verfolgt und weiß seitdem, wie sachlich dort informiert wurde).
Aber du hast Recht, für die Amerikaner war Vietnam immerhin der erste Krieg, der überhaupt im TV dokumentiert wurde. Und es mag schon sein, daß das zur "Vietnam-Müdigkeit" beigetragen hat, die schließlich Nixon/Kissinger veranlaßte, den Krieg verlorenzugeben und sich zu einem schmachvollen Abzug zu entschließen.
Soweit erst mal. Zum Nürnberger Prozeß etc. gleich noch der zweite Teil meiner Antwort.
In Antwort auf:"Der Nürnberger Prozeß hat den Angriffskrieg geächtet"
Paradox dabei ist, daß diejenigen, die ihn angeblich geächtet haben, sich dann selbst der Methode des Angriffskriegs immer wieder bedient hatten... dabei hat sich vor allem die UdSSR hervorgetan. Und der Drite Golfkrieg (2003) ist nach wie vor ein Angriffskrieg gewesen, unter der Führung der USA und unter Beteiligung Englands.
Es liegt nun mal im Wesen des Kriegs, daß es (mindestens) einen Angreifer gibt. Ein Krieg, der kein Angriffskrieg ist, ist ein Unding - oder anders gesagt, "Angriffskrieg" ist ein Pleonasmus. Man kann lediglich vom Angreifer und dem Verteidiger sprechen; jedenfalls manchmal. Meist ist aber auch das noch nicht einmal klar.
Was den Irakkrieg angeht, haben wir, lieber Sparrowhawk, über seinen Hintegrund ja oft in Schrippes Forum diskutiert. Hier nochmal, kurz zusammengefaßt, meine Sicht (du kennst sie, aber einige vielleicht nicht, die hier mitlesen):
Schröder hatte Bush im Sommer 2002 zugesagt, daß Deutschland sich an einem solchen Krieg zwar nicht aktiv beteiligen, ihm aber auch keine Hindernisse in den Weg legen würde.
Schröder hat diese Zusage im Herbst 2002 gebrochen, weil das seine letzte Wahlkampf-Trumpfkarte war. (Don Jordan hat vor ein paar Tagen in einer TV-Diskussionssendung anläßlich des Bush-Versuchs wieder einmal auf diesen Sachverhalt hingewiesen; dieser Wortbruch war es - und nicht Schröders Politik als solche -, der Bushs Verhältnis zu Schröder zerrüttet hat).
Schröder war damit zunächst isoliert, aber im Januar 2003 sah Chirac seine Chance, Deutschland an Frankreich zu binden, indem es Schröder gegen die USA beisprang. Für Frankreich ging damit der alte gaullistische Traum in Erfüllung, Deutschland aus der ("atlantischen") Bindung an die USA zu lösen und es an Frankreich zu binden. Alle französischen Präsidenten seit de Gaulle hatten das versucht, und Chirac sah die Chance, es zu realisien.
Folglich ging Frankreich als Veto-Macht im Sicherheitsrat auf Konfrontationskurs zu den USA. Dadurch kam es nicht zu der von den USA fest eingeplanten Nachfolge-Resolution zu Resolution 1441, die noch einmal ausdrücklich festgestellen sollte, daß die Voraussetzungen für die "serious consequences" jetzt gegeben seien. Die USA und GB mußten den Krieg - der seit Monaten vorbereitet und überhaupt nicht mehr ohne schwerste Nachteile abzublasen war; dies wäre ein ungeheurer Triumph für Saddam und ein vernichtender Prestigeverlust für die USA gewesen - mußten den Krieg also ohne einen eindeutigen Auftrag des Sicherheitsrats führen. Sie konnten sich nur auf 1441 stützen, das sie als bereits hinreichende Ermächtigung interpretierten.
In Antwort auf:"Genaue Historiographen notieren zwar, daß es immer noch Staaten gibt, die sich formal im Kriegszustand befinden "
Dazu gehört eigentlich auch Deutschland, denn nach 1945 hat es einen formellen Friedensvertrag nie gegeben; auch hier, wie in Korea, ist´s letztendlich "nur" ein vereinbarter Waffenstillstand.
Da bin ich nicht sicher. Ich habe das leider nicht mehr im Detail in Erinnerung. Ich glaube aber noch zu wissen, daß als Ergebnis der Vier-plus-vier-Gespräche alle Beteiligten sich verständigten, auch ohne formalen Friedensschluß die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zu akzeptieren.
Wäre aber interessant, das mal herauszufinden, wie da eigentlich genau die völkerrechtliche Situation ist. Letzen Endes sind "Friedensschlüsse" ja obsolet, wenn es keine Kriegserklärungen mehr gibt.
In Antwort auf:"Aber was - sicher nicht nur durch die Ächtung des Kriegs, aber sicher auch nicht unabhängig von ihr - geschehen ist, das ist eine Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden. Sie waren, als Krieg noch erlaubt und durch das Völkerrecht reguliert war, scharf gezogen; eben durch Kriegserklärung und Friedensschluß."
Es gab auch die Haager Landkriegsordnung, die regelte, was in einem Krieg erlaubt sei sollte und was nicht... zum Beispiel sollte es verboten sein, Nichtkombattanten (zu deutsch: Zivilisten) anzugreifen. Daß diese Ordnungs nichts wert ist, hat gerade der 2. Weltkrieg gezeigt, als dieser Paragraph von Deutschland, England, den USA und der Sowjetunion immer wieder nicht nur verletzt, sondern ignoriert wurde.
Stimmt. Nur setzt die Anwendung der Haager Landkriegsordnung, ebenso wie die der Genfer Konvention, ja voraus, daß man sich im Kriegszustand befindet, daß also eine Kriegserklärung vorausgegangen ist.
Mir ist unklar, wieso viele US-Kritiker zugleich a) bestreiten können, daß die USA sich im Krieg gegen den Terrorismus befinden, aber b) ihnen vorwerfen, daß sie sich nicht an die Genfer Konvention hielten - die doch logischerweise nur gilt, wenn man sich im Krieg befindet.
In Antwort auf:Naja, lieber Sparrowhawk, kommt halt darauf an, wie man zählt. Ich hatte einen Verweis auf diesen Krieg erst im Text stehen und habe ihn dann wieder gelöscht, weil mir das vom Gedankengang abzulenken schien.
Hm, also wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht - der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak ist immerhin gut 20 Jahre her - war es so, daß, zumindest in der Tagesschau, wenn denn mal Kurznachrichten zu diesem Thema kamen, diese unter dem Schlagwort "Golfkrieg" präsentiert wurden. Von daher zähle ich:
Erster Golfkrieg: Iran gegen Irak (in den 1980´ern). Zweiter Golfkrieg: Befreiung Kuwaits von der irakischen Besetzung (1990-1991, von der Besetzung Kuwaits bis zu ihrem Ende) Dritter Golfkrieg: Einmarsch in den Irak (2003)
Bin übrigens nicht der einzige ;).
In Antwort auf:Übrigens war dieser irakisch-iranische Krieg weit blutiger als die beiden folgenden Golfkriege, wurde aber in Deutschland viel weniger zur Kenntnis genommen.
Das ist richtig. Wenn ich mich nicht ganz irre, ist im Ersten Golfkrieg (s.o.) von ca. 1 Million Todesopfern die Rede. So viele Tote haben die beiden folgenden Golfkriege auch dann nicht verursacht, wenn man die Toten aus Saddams z.T. Giftgas-Bombardements gegen die Kurden und die Schi´iten, die 1991 ihre Chance sahen und aufständisch wurden, aber auf sich allein gestellt waren, mitzählt. Nun muß man aber auch sagen, daß der Erste Golfkrieg länger dauerte als der Zweite und der Dritte, sogar zusammengenommen... da liegt´s fast schon in der Natur der Dinge, daß es mehr Gefechte und somit mehr Todesopfer gab.
Was die Wahrnehung angeht, magst du teilweise rechthaben; der Persische Golf ist ja nicht an Nachbars Haustür (von uns aus gesehen). Andererseits aber ist gerade die Golfregion wegen ihres Ölreichtums eine sehr wichtige SChlüsselstelle, auch für Deutschland, gewesen und ist es noch, also ist die vergleichsweise geringe Rezeption dieses Krieges eher rätselhaft. An die Bösewicht-Rolle der USA glaube ich nicht unbedingt; schließlich reden wir von den Achtzigern, das war seit 1982 Kohlzeit. Und die 68´er waren damals noch zu jung, um an die Schlüsselstellen in den Medien zu kommen, von daher glaube ich nicht, daß die Nichtteilnahme der USA an diesem Krieg in Relation zur seiner Wahrnehmung hierzulande steht.
Was auch möglich sein kann, war daß die Berichterstattung in und aus diesen Ländern grundsätzlich nicht leicht war. Immerhin darf man nicht vergessen, daß sich dort 2 Diktaturen beharkten, die beide auf Pressefreiheit nichts geben. Von daher haben wohl viele ausgewogene News erst gar nicht den Weg nach draußen gefunden... und was nicht nach draußen dringt, kann auch nicht woanders wahrgenommen werden. Zusätzlich kommt hinzu, daß westliche Journalisten kaum ins Land gelassen wurden oder auch gar nicht erst versucht haben, reinzukommen. Aus dem gleichen Grund übrigens kann es sein, daß nur wenige Meldungen aus Afrika nach draußen kommen. Der Sudan ist z.B. ein gefährliches Pflaster für alles Nichtmoslemische, von daher ist es als westlicher Journalist schwer, reinzukommen, noch schwerer, zu überleben und noch viel schwerer, ausgewogen zu berichten; ich kann mir durchaus vorstellen, daß die News, die nach draußen dringen, größtenteils vorher zensiert werden und daß ausgewogene News, z.B. Berichte über Massaker, eher "nach draußen geschmuggelt" werden. Und das ist ebenfalls nicht leicht. Gleiches kann ich mir auch im Kongo oder in Afghanistan (welches natürlich nicht in Afrika liegt) vorstellen, undzwar dort, wo keine UN-Truppen präsent sind.
Zur Berichterstattung in Vietnam: selbstverständlich kann man die damalige Berichterstattung nicht mit der heutigen vergleichen; die technischen Möglichkeiten haben sich ja fast schon revolutionär verändert. Berichterstattung via Internet, via Satellit und alles live oder schnellstmöglich nach Eintreten des Ereignisses. Das gab es damals eben nicht. Man darf da nicht den Fehler mancher HistorikerstudentInnen machen und die Gegebenheiten aus einer früheren Zeit und unter anderen Umständen mit den Möglichkeiten und Umständen der heutigen Zeit bewerten. Bezieht man dies mit in die Bewertung mit ein, kann man durchaus von einer medialen Begleitung des Vietnamkriegs sprechen.
Nur mal als kleines Beispiel, warum die Geschichts-Professoren vor solchen ex-nunc Bewertungen warnen:
Würde man damit agieren, müßte man zum Schluß kommen, daß die athenische Demokratie keine Demokratie gewesen wäre.
1.) Die Frauen waren nicht wahlberechtigt (weder aktiv noch passiv),
2.) Es gab Sklaverei
3.) Es gab, nach Solons Reformen, ein vierstufiges Zensuswahlrecht, also eben kein gleiches Wahlrecht.
Ergo: würde man Athen mit heutigen Maßstäben bewerten, würden heutige integrale Elemente einer Demokratie fehlen, ergo käme man zu dem Schluß, daß Athen nicht demokratisch war (vielleicht "prädemokratisch" oder "teildemokratisch" oder sowas in der Art). Was natürlich unsinnig ist, da gleiches Wahlrecht, Frauenwahlrecht und die Abschaffung der Sklaverei Errungenschaften der Moderne sind und in der Antike unbekannt waren.
Als Analogie zur Berichterstattung in Vietnam folgt daraus: es gab durchaus eine mediale Begleitung des Krieges, berücksichtigt man die damaligen technischen Gegebenheiten. Legt man ex-nunc die heutigen Möglichkeiten zugrunde, naja... dann sähe es natürlich völlig anders aus.
Die Berichterstattung aus Vietnam hat sicherlich zur Kriegsmüdigkeit beigetragen, aber der eigentliche Faktor war eher das, was aus Vietnam berichtet wurde. Kaum glorreiche Erfolge, außer am Anfang, aber dafür haben "our boys" zum Teil übel einstecken müssen. Und diejenigen, die in der Heimat um Ehemann, Familienmitglied, Anverwandte und Freunde bangten, zitterten, oftmals auch trauerten, waren es eben leid, noch mehr Bilder von immer mehr toten Amerikanern zu sehen. Es hätte wohl um einiges anders ausgesehen, hätten es weit weniger amerikanische Opfer und weit mehr, vor allem in der Spätphase, mehr durchschlagende Erfolge für die USA gegeben. Dann hätte eine Hurra-Stimmung eingesetzt und bis zum Ende angehalten.
In Antwort auf:Letzen Endes sind "Friedensschlüsse" ja obsolet, wenn es keine Kriegserklärungen mehr gibt.
Nunja, aber im 2. Weltzkrieg gab es ja noch formale Kriegserklärungen. Die der Westmächte an Deutschland nach dem deutschen Überfall auf Polen oder die deutsch-japanische Kriegserklärung an die USA nach Pearl Harbor, um Beispiele zu nennen.
In Antwort auf:Mir ist unklar, wieso viele US-Kritiker zugleich a) bestreiten können, daß die USA sich im Krieg gegen den Terrorismus befinden, aber b) ihnen vorwerfen, daß sie sich nicht an die Genfer Konvention hielten - die doch logischerweise nur gilt, wenn man sich im Krieg befindet.
Das hat etwas für sich. Da gibts aber noch andere Dinge, die mich wundern:
Die USA selbst, in der Gestalt, ich glaube, Bushs, hatte nach dem 9/11 gesagt, sie befänden sich im Krieg gegen den Terrorismus. So gesehen betrachten sich die USA ja als sich im Kriegszustand befindend. Wie kommt es dann, daß dies von Außenstehenden bestritten wird ?
Auf dieser Basis dann würden ja Den Haag und Genf gelten.
Wer von den Gefangenen in Guantanamo oder z.B. in Abu Ghraib gehört zu den regulären irakischen Truppen (wäre also gemäß der Übereinkunft "Kombattant") und wer ist Partisane, Terrorist, etc. und fiele daher unter die Abteilung (ich weiß jetzt nicht, wie´s Den Haag genau bezeichnet, also sag ichs mal zusammengefaßt) "Nichtkombattanten, die sich wie Kombattanten verhalten" ? Diese Unterteilung ist für die weitere Betrachtung essentiell. Die regulären Truppen, die Kombattanten, wären demzufolge als Kriegsgefangene gemäß der Genfer Konvention zu behandeln. Diejenigen, die nicht den Truppen angehören, aber als Nichtkombattanten kriegerische Akte verüben (Partisanen, Terroristen, etc), genießen den Status des Kriegsgefangenen nicht. Und wenn ich mich nicht ganz irre, dürfen diese sogar standrechtlich erschossen werden, und es wäre kein Kriegsverbrechen... (Gleiches gilt auch, wenn sich jemand die Uniform des Feindes anzieht und sich zum Zweck der Spionage auf feindliches Gebiet schleicht und dann erwischt wird... der kann ebenfalls standrechtlich erschossen werden, es bedürfte nicht einmal einer wie auch immer gearteten Gerichtsverhandlung... und die Exekution wäre kein Kriegsverbrechen. So gesehen war dann auch die Tötung jugoslawischer Partisanen während des 2. Weltkrieges KEIN Kriegsverbrechen der Wehrmacht). Damit möchte ich natürlich nicht die Folterungen in Abu Ghraib gutheißen. Da wurden Menschenrechte mit Füßen getreten (z.B. daß die Würde des Menschen unantastbar ist), keine Frage. Nur... wären die "kriegerischen Nichtkombattanten" (das ist jetzt eine Zusammenfassung von mir) gleich an die Wand gestellt und erschossen worden, hätte sich niemand darüber aufregen dürfen, denn dann hätten Lyndie England und ihre Spießgesellen vollkommen im Rahmen des allgemein akzeptierten Kriegsrechts gehandelt; denn auch dieser Absatz ist nach wie vor gültig. Klingt irgendwie paradox, wenn ich das so lese... und Juristen, die sich mit internationalem Recht beschäftigen, dürften da ein paar schlaflose Nächte bekommen. Quintessenz also ist, daß, wenn man den erklärten Kriegszustand der USA zugrundelegt, die tatsächlichen Kriegsgefangenen (also die gefangenen regulären irakischen Soldaten) tatsächlich laut Genf besser behandelt werden müßten als sie es in so manch einem Gefängnis wohl werden. Legt man die gleiche Basis für die Partisanen (u.a.) zugrunde, und das muß man, denn wer "A" sagt muß auch "B" sagen, können diese froh sein, daß sie überhaupt noch leben. Dennoch... Folter muß und darf nicht sein.
ich zerlege auch hier wieder meine Antwort in (hoffentlich) verdauliche Häppchen. Mit verschiedenen Überschriften; möge es den Lesern die Orientierung erleichtern, so daß sie weniger blind herumtapsen müssen . Hier das erste; die anderen folgen, wenn ich Zeit zum Schreiben habe:
In Antwort auf:Hm, also wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht - der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak ist immerhin gut 20 Jahre her - war es so, daß, zumindest in der Tagesschau, wenn denn mal Kurznachrichten zu diesem Thema kamen, diese unter dem Schlagwort "Golfkrieg" präsentiert wurden.
Ich widerspreche dem gar nicht; hab halt nur in dem Zettels-Raum-Beitrag auf die Erwähnung des irakisch-iranischen Kriegs verzichtet, weil er eben mit dem Thema nix zu tun hatte.
Im Grund war sogar "Golfkrieg" nur bei diesem ersten Krieg die zutreffende Bezeichnung, denn er fand eben zwischen zwei Anrainerstaaten des Persischen Golfs statt. Diese Bezeichnung hat man dann ziemlich gedankenlos auf die Kriege von 1991 und 2003 übertragen, obwohl diese richtiger Irak-Kriege heißen sollten. In der Wikipedia wird sogar nur der Krieg von 1991 als "Gulf War" bezeichnet, während der von 1980 bis 1988 "Iran-Iraq War" heißt. Der Golf spielte aber 1991 ebenso wie 2003 nur als maritimes Aufmarschgebiet der Invasionstruppen eine Rolle. Ohne den irakisch-iranischen Golfkrieg hätte man diese Kriege sicherlich nicht "Golfkriege" genannt.
In Antwort auf:An die Bösewicht-Rolle der USA glaube ich nicht unbedingt; schließlich reden wir von den Achtzigern, das war seit 1982 Kohlzeit. Und die 68´er waren damals noch zu jung, um an die Schlüsselstellen in den Medien zu kommen, von daher glaube ich nicht, daß die Nichtteilnahme der USA an diesem Krieg in Relation zur seiner Wahrnehmung hierzulande steht.
Es war ja noch die Zeit der Ost-West-Konfrontation, wenn auch einer allmählich abnehmenden. Du hast sicher Recht, daß es damals in Deutschland noch nicht den heutigen Antiamerikanismus gab; dh dieser war auf Links- und Rechtsaußen beschränkt. Aber man sah eben alles aus der Perspektive der Ost-West-Konfrontation. Und da paßte dieser Krieg nicht hinein.
In Antwort auf:Was auch möglich sein kann, war daß die Berichterstattung in und aus diesen Ländern grundsätzlich nicht leicht war.
Stimmt, das dürfte ein wichtiger Aspekt gewesen sein. Von den unglaublichen Grausamkeiten dieses Kriegs, die auf beiden Seiten begangen wurden, erfuhr man damals wenig. Saddam setzte chemische und biologische Waffen ein, denen rund 100 000 Menschen zum Opfer fielen. Die Perser schickten ganze Armeen aus jugendlichen "Freiwilligen", den Pasdaran, ins Feuer; teils fast noch Kinder.
In Antwort auf:Aus dem gleichen Grund übrigens kann es sein, daß nur wenige Meldungen aus Afrika nach draußen kommen.
Ich denke, mit den heutigen logistischen und Kommunikationsmöglichkeiten könnte über diese Kriege berichtet werden. Aber es wäre teuer und gefährlich. Und weil sich halt kaum ein Leser oder TV-Zuschauer dafür interessiert, lohnt es sich für die Medien nicht.
Ob militärische Konflikte Medieninteresse finden, lieber Sparrowhawk - das hat halt wenig damit zu tun, wie blutig sie sind, was sie anrichten. Sondern es geht - glaube ich - im Grunde darum, wie sehr sie die Phantasie der Leser und Zuschauer beschäftigen. Das tun sie, wenn eigene Leute betroffen oder beteiligt sind. Das tun sie, wenn der Konsument sie in sein weltanschauliches und politisches Wertesystem einordnen und folglich Partei ergreifen kann.
Der Vietnamkrieg illustriert das. Das ungeheure weltweite Interesse an ihm speiste sich daraus, daß viele - sehr viele - ihn als einen "nationalen Befreiungskrieg" gegen die "imperialistischen USA" interpretierten.
Er interessierte also primär nicht wegen der Leiden der Bevölkerung und der Soldaten; sondern er stand für eine große weltanschaulich-politische Auseinandersetzung.
du erwähnst, daß man die Vietnam-Berichterstattung nicht aus der Sicht heutiger technischer Möglichkeiten bewerten dürfe. Dem stimme ich zu. Du erläuterst das dann durch ein Beispiel, das ich kommentieren möchte, die attische Demokratie. Das ist ein spannendes Thema, zu dem ich gern mehr von dir wüßte.
In Antwort auf:Nur mal als kleines Beispiel, warum die Geschichts-Professoren vor solchen ex-nunc Bewertungen warnen: Würde man damit agieren, müßte man zum Schluß kommen, daß die athenische Demokratie keine Demokratie gewesen wäre.
1.) Die Frauen waren nicht wahlberechtigt (weder aktiv noch passiv),
2.) Es gab Sklaverei
3.) Es gab, nach Solons Reformen, ein vierstufiges Zensuswahlrecht, also eben kein gleiches Wahlrecht.
Stimmt. Es gab ja auch noch die Metöken, die "Mitbewohner"; Freie, die aber kein Bürgerrecht hatten. Vollbürger waren nur vielleicht ein Drittel der Athener. Nimmt man das alles zusammen, dann waren es vielleicht zehn Prozent der Bevölkerung, die aktiv an der "attischen Demokratie" teilnahmen - nämlich diejenigen erwachsenen Männer aus der Gruppe der Vollbürger, die ihren Wehrdienst absolviert hatten und die nicht verschuldet oder mit der Steuer im Rückstand waren. Ähnlich dürften die Verhältnisse in den anderen griechischen Stadtstaaten gewesen sein, in denen sich Demokratien entwickelt hatten.
In Antwort auf:Ergo: würde man Athen mit heutigen Maßstäben bewerten, würden heutige integrale Elemente einer Demokratie fehlen, ergo käme man zu dem Schluß, daß Athen nicht demokratisch war (vielleicht "prädemokratisch" oder "teildemokratisch" oder sowas in der Art). Was natürlich unsinnig ist, da gleiches Wahlrecht, Frauenwahlrecht und die Abschaffung der Sklaverei Errungenschaften der Moderne sind und in der Antike unbekannt waren.
Natürlich darf man andere Zeiten nicht an heutigen Maßstäben "messen" in dem Sinn, daß man ihnen sozusagen zum Vorwurf macht, nicht unseren Stand erreicht zu haben. Das wäre eine Wertung, die als solche unwissenschaftlich ist. Aus meiner Sicht hat die Geschichtswissenschaft genauso wertfrei zu sein wie jede andere Wissenschaft auch.
Andererseits erscheint mir die Frage schon interessant, welche Gemeinsamkeit eigentlich die attische Demokratie (oder die römische Republik) mit unseren heutigen demokratischen Rechtsstaaten haben, und wo fundamentale Unterschiede liegen.
Hierzu ein paar Gedanken:
Ein offensichtlicher Unterschied - vielleicht der fundamentale Unterschied - liegt meines Erachtens darin, daß der Antike der Gedanke einer Gleichheit aller Menschen ("All men are created equal") völlig fremd war. Niemand fand etwas dabei, daß die Sklaven und die Metöken (oder in Sparta die Periöken) keine oder keine vollen Bürgerrechte hatten. Sie gehörten eben nicht zum Demos - so, wie ja auch heute niemand etwas dabei findet, daß jemand, der nicht Mitglied des VfL Bochum ist, auch bei dessen Vorstandswahlen nicht mitstimmen darf.
Die demokratischen Rechte waren, anders gesagt, nicht dem Menschen als solchen eigen, sondern sie waren aus griechischer, überhaupt aus antiker Sicht Privilegien. Privilegien der Vollbürger Athens, Korinths usw.; in Rom Privilegien derjenigen, die stolz von sich sagen konnten: Civis romanus sum.
In einer anderen Hinsicht war aber die attische Demokratie "demokratischer" als alles, was heute selbst die kühnsten Befürworter einer Direkten Demokratie vertreten: Die Entscheidungen wurden von allen Bürgern getroffen, die überhaupt volles Bürgerrecht hatten. Und dabei waren alle wirklich gleichberechtigt. Jeder durfte zur Ekklesia, der "Vollversammlung" kommen; teils wurde man sogar mit sanfter Gewalt dazu angehalten. Und dort durfte jeder einen Antrag stellen, als Boulomenos auftreten, als "Wollender".
Dieses egalitäre Prinzip ging sogar so weit, daß dort, wo man Repräsentanten brauchten - vor allem bei der Boulé, so etwas wie dem Hauptausschuß der Ekklesia - , diese nicht gewählt, sondern durch das Los bestimmt wurden. Nur in wenige Ämter, die besondere Fähigkeiten verlangten - Finanzverwaltung, Militär - wurde man gewählt.
Es gab in diesem System also keine Gewaltenteilung. Es gab auch keine Regierung und Opposition. Es gab keine Parteien. Die Demokratie funktionierte im Grunde wie ein Familienrat: Man setzte sich zusammen, beriet und traf Entscheidungen. Nur eben unter Beteiligung von Zehntausenden.
War das nun eigentlich eine besonders entwickelte oder eine eher primitive Form der Demokratie? Ich weiß nichts über ihre Entstehung; weiß auch gar nicht, wieviel darüber bekannt ist. Aber mir kommt es so vor, als hätte diese attische Demokratie viel Ähnlichkeit mit Stammesdemokratien - der Regierung durch den Thing, die Dorfversammlung, den Caucus.
Die Leistung dieser attischen Demokratie scheint mir weniger darin bestehen, solche Strukturen und Regularien erfunden zu haben als vielmehr darin, sie nach Jahrhunderten der Feudalherrschaft wiederentdeckt und an die Verhältnisse eines Stadtstaats, einer Polis, angepaßt zu haben.
Aber das ist eine Vermutung. Wie gesagt, woher die attische Demokratie, wie sie sich zwischen, sagen wir, Solon und Perikles entwickelt hat, eigentlich ihre Vorbilder hatte, welche Traditionen da aufgegriffen wurden - davon weiß ich leider nichts. Vielleicht kannst du etwas dazu sagen?
Puh, ganz schön viel auf einmal... (aber okay, ich bin ja nicht "besser" )
An dieser Stelle möchte ich erst einmal von dir aufgreifen, daß der Erste Golfkrieg (Iran - Irak; übrigens stimmt es, was du bezüglich der amerikanischen Wahrnehmung gesagt hast... diese Auseinandersetzung wird dort nicht als "Gulf War", "Forst Gulf War" oder wie auch immer betrachtet) niht in das Ost-West-Schema des Kalten Krieges hineingepaßt hätte. Hm... naja, dieser Krieg war durchaus ein Stellvertreterkrieg. Saddam wurde, als in Persien noch der Shah regierte, von den Sowjets aufgerüstet (der Iran dafür von den USA), und nach der Revolution in Teheran 1979 war es genau anders herum. Die Mullahs und die USA, die konnten nicht miteinander (salopp gesprochen), somit war Persien / der Iran kein Verbündeter der USA mehr. Also mußte sich Washington neue Verbündete in der Gegend suchen, wollte es überhaupt Einfluß dort haben, und da war Saddam damals die einzige Möglichkeit. Also wurde nun der Irak vom Westen aufgerüstet, und im Gegenzug bekam der Iran sowjetische Unterstützung. Nicht daß Kommunisten und Mullahs sich besonders grün gewesen wären (fanatische Gotteskrieger auf der einen und Atheisten auf der anderen Seite, das paßt eigentlich nicht), aber zum einen brauchte der Iran nun seinerseits wohl Waffenhilfe, und der Westen fiel ja nun aus, andererseits brauchte die UdSSR auch einen Bündnispartner in der Region, und der Irak hatte gerade das Lager gewechselt. Also, ein gewisses Maß Kalter Krieg war im Krieg zwischen dem Iran und dem Irak schon mit drin, wenn auch nicht durch eine direkte Konfrontation der Supermächte, sondern eben durch eine Konfrontation ihrer jeweiligen Verbündeten.
Das dürfte möglicherweise auch erklären, warum Rußland sich teilweise im jetzigen Iran-Streit wegen dessen Nuklear-Anlagen ebenso sperrt wie China. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging ja auch erst einmal der russische Einfluß in der Golfregion zurück, denke ich mal; schließlich hatte man Wichtigeres zu tun wie sich neu zu ordnen und auszurichten. Nun aber sieht Putin seine Chance, eine alte Einflußsphäre zurückzugewinnen, nämlich den Iran, um somit Rußland auf die Bühne der Weltpolitik zurückzuführen. Viel mehr bleibt Putin ja auch nicht übrig; Osteuropa hat sich als Interessenssphäre weitestgehend verabschiedet (vielleicht abgesehen von Weißrußland), die Ex-Sowjetrepubliken in Asien sind weder rohstofftechnisch noch anderweitig geostrategisch wichtig, soweit mir bekannt, China will selbst Weltpolitiker spielen, also bleibt der Iran, um sich zu profilieren.
In Antwort auf:Andererseits erscheint mir die Frage schon interessant, welche Gemeinsamkeit eigentlich die attische Demokratie (oder die römische Republik) mit unseren heutigen demokratischen Rechtsstaaten haben, und wo fundamentale Unterschiede liegen.
Ein paar der Unterschiede nannte ich bereits... Sklaverei, kein Frauenwahlrecht, keine Gleichheit der Stimmen. Die Losbestimmung der Beamten, die du anführst, ist natürlich auch ein sehr wichtiger Unterschied. Ich stelle mir gerade vor, unsere Staatsanwälte, Richter oder Regierungs-Angehörigen würden durch das Los bestimmt. Nein, lieber nicht, da kommt zu viel Unheil bei heraus.
Gemeinsamkeiten gibt es natürlich auch mit heutigen Demokratien, das ist klar. Es darf nicht jeder wählen. Das ist einerseits ans Wahlalter gekoppelt (18 in Deutschland, in Athen bin ich mir nicht sicher; das wahlfähige Alter war bei 21 oder 25, wenn ich mich nicht ganz irre, aber genau weiß ich das nicht mehr), andererseits durften und dürfen, modern gesprochen, Ausländer auch nicht wählen. Ich wüßte jedenfalls nicht, daß z.B. ein Bürger Naupaktos´ in Athen hätte wählen dürfen (und von doppelten Staatsbürgerschaften in Athen wüßte ich jetzt nichts). Heute ist es mit den Staatsbürgerschaften ja ähnlich. Wer die amerikanische Staatsbürgerschaft nicht hat, kann weder wählen noch gewählt werden. Schwarzenegger dürfte ja einen amerikanischen Paß haben.
Der Vergleich mit Stammesdemokratien ist sicher nicht unberechtigt. Schließlich war Athen ja, im übertragenen Sinn, einer von vielen griechischen Stämmen; andere wären demnach z.B. Sparta, Korinth oder Theben bewesen. Übrigens... viele der skandinavischen Parlamente heißen heute noch "Ting" (abgeleitet von "Thing"), z.B. das Storting in Norwegen oder das Folketing in Dänemark, dies nur als Randbemerkung.
Wie es zur Demokratie in Athen kam, ist eine gute Frage. Wirklich bekannt ist wohl kaum etwas darüber, und so stellen Historiker Theorien auf, die sie zu belegen versuchen.
Ein kleiner Abriß (der für ein Fprum doch etwas länger wurde) Zur Zeit der Könige gab es einen Adelsrat, den "Areopag" (der, wie der Name sagt, auf dem Ares-Hügel tagte). Dieser Adel gewann im Laufe der Jahrhunderte immer mehr an Bedeutung, und es war der Areopag und nicht der König, der z.B. die Beamten und die Militärkommandeure ernannte. Das attische Umland wurde eingemeindet, und Athen war durch seinen Hafen Piräus ein wohlhabender Warenumschlagplatz geworden. Beides verursachte soziale Spannungen, da nicht jeder in Athen von diesem Wohlstand etwas hatte. Um wohl zu verhindern, daß die Beamten (die Archonten) zu viel Macht und Reichtum im Amt anhäuften (das ist in diesem Zusammenhang jetzt meine spontan geäußerte Vermutung), beschnitt der Aropag ihre Amtszeit auf 1 Jahr. Dies war 682 v. Chr. (es kann gut sein, daß dies auch das Vorbild für Rom war; dort galt ja in der republikanischen Phase auch das Annuitätsprinzip, d.h. alle Magistrate, vom Ädil bis zum Konsul, waren ein Jahr im Amt, von Ausnahmen in Extremfällen wie z.B. Kriegen einmal abgesehen). Durch diese Beschneidung hatten also theoretisch mehr Athener die Möglichkeit, in das Amt zu kommen und somit konnten theoretisch mehr Athener davon profitieren. Allerdings kenne ich die Vergabekriterien des Areopag nicht, somit ist diese Vermutung von mir mit Vorsicht zu genießen. Die Spannungen in Athen namen aber dennoch zu, und so unternahm Kylon 632 einen Staatsstreichversuch, der aber danebenging. Dennoch war klar, daß es so nicht weitergehen konnte, wollte man weitere Spannungen und weitere Staatsstreichversuche verhindern. Zunächst versuchte Drakon, Ordnung zu schaffen. Ihm wird nachgesagt, daß er besonders hohe Strafen selbst bei kleinsten Vergehen eingeführt haben soll. Daher kommen auch die sprichwörtlichen "drakonischen Strafen" oder "drakonischen Maßnahmen." Die heutige Historiographie sieht das anders: Drakon hat, etwa um 621, lediglich vorhandenes Recht und Gesetz erstmals kodifiziert und damit die ungerechten, ausufernden Strafen, wie sie davor üblich waren, sogar abschaffte. Mit der Kodifizierung hatte man also erstmals das Recht, auf das man sich berufen konnte, undzwar schriftlich niedergelegt. Außerdem führte er eine wichtige Rechtsunterscheidung ein, die bis heute Bestand hat, nämlich die Unterscheidung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Tötung (heute würde man wohl einerseits von "vorsätzlicher Tötung" sprechen, und dort zwischen Mord und Totschlag unterscheiden und andererseits von "fahrlässiger Tötung" z.B. wenn jemand bei einem Autounfall getötet wird und dies vermeidbar gewesen wäre). Außerdem führte er ein, daß die Vergehen an dafür spezialisierte Gerichte verwieden wurden. Diese Gerichte sollten das Strafmaß festlegen; damit schaffte Drakon in Athen die Blutrache de iure ab und machte damit den ersten wichtigen Schritt zu dem, was wir heute als "staatliches Gewaltmonopol" kennen.
Allerdings genügte das wohl nicht, und so entschied Solon sich, noch einen Schritt weiter zu gehen. Die solonischen Reformen zielten auf einen Augleich zwischen Adel und Stadtbürgertum ab. Die Bürger Athens wurden in die von mir schon angesprochenen 4 Klassen eingeteilt, und neben der Staffelung des aktiven Wahlrechts wurde damit auch das passive Wahlrecht festgelegt, denn nur die oberste Klasse, die Fünfhundertscheffler, durften politische Ämter bekleiden, während die Reiter (oft als "Ritter" mißübersetzt, aber die "Ritter" gehören eigenltich ins Mittelalter... "und die "Kavallerie" als taktischer Körper gehört in die Neuzeit, also kommen Sie mir nicht mit römischer Kavallerie an !" würde Schmidtchen sagen). Solon schaffte ebenfalls die Schuldsklaverei ab. Und zu großen Grundbesitz sollte es auch nicht mehr geben, der wurde einfach mal abgeschafft. Wie diese Obergrenze aussah, weiß ich nicht. Was damit passieren sollte, scheint klar zu sein, nämlich daß die Kleinbauern gestärkt werden sollten. Ursprünglich sollten die Großgrundbesitzer freiwillig Land abgeben, aber da sie dies größtenteils nicht taten, wurden sie dazu verpflichtet. Ob es dafür eine Entschädigung gab oder ob die Großgrundbesitzer in, modern gesprochen, sozialistischer Mainier enteignet wurden, kann ich nicht sagen. Was für letzteres spricht ist die Tatsache, daß Solon viel auf Reisen war, da ihm gerade der Adel nach dem Leben trachtete.
Viel gebracht hatte das zunächst nichts, denn es gab noch einen Staatsstreich, und dieser war erfolgreich; die Rede ist von der Tyrannis der Peisistratiden. Peisitratos´ Sohn Hippias wurde 510 durch Kleisthenes und mit Hilfe Spartas vertrieben, da Hippias sich wohl aufgeführt hat wie ein Tyrann im heutigen Sinn; er ließ Politiker ermorden und verbannte seinen Bruder. Peisistratos soll übrigens recht moderat gewesen sein. Hippias wurde also vertrieben und wurde Berater des persischen Großkönigs.
Kleisthenes war es dann auch, der die Demokratie weiter vorantrieb. Die Macht des Adels wurde eingeschränkt und Athen wurde komplett neu gegliedert. Vorher war Athen in 4 Phylen unterteilt. Kleisthenes teilte Athen in 3 gleichberechtigte Teile (Stadt, Binnenland, Küste). Jeder der 3 Teile bestand aus 10 Trittyen. Diese waren, je nach Bevölkerugszahl, unterschiedlich groß; es gab Trittyen mit mehreren Demen (Dörfern), andere hatten nur ein Demos. Die Trittyen wurden auf 10 Phylen verteilt, undzwar so, daß je 1 Trittys aus Küste, Stadt eine Phyle bildete. Jede der 10 Phylen wählte jeweils 50 Repräsentanten, die dann gemeinsam als Rat der 500 Athen regieren sollten, und jedes Ratsmitglied war für 1 Jahr gewählt. So hatte sich Kleisthenes das gedacht, die Praxis sah leicht abgewandelt aus. Tatsächlich regierte nicht der Rat der 500, sondern die Prytanien. Die Prytanie bestand aus den 50 Ratsmitgliedern einer Phyle und regierte für jeweils 36 Tage (= 1/10 des gedachten damaligen Jahres), danach regierte eine andere prytanie, etc., und wenn alle 10 Prytanien einmal durch waren, war das Jahr vorbei. Die leitung der Prytanie, der Prytane, wurde durch Losentscheid bestimmt undzwar für einen Tag.
KLeistehenes wird auch die Einführung des Ostrakismos zugerechnet, also, sehr kurz gesagt, das Scherbengericht, mit dem das Wahlvolk Politiker für 10 Jahre sozusagen außer Landes jagen konnte (pro Jahr einen, jeweils im Januar). Der Verbannte durfte innerhalb dieser 10 Jahre nicht zurückkehren, sonst drohte die Todesstrafe. Er behielt aber sein Eigentum und alle seine Bürgerrechte; zur Verwaltung seines Eigentums in Athen konnte er einen Verwalter bestimmen. Zur Regelung seiner Angelegenheiten hatte ein Verbannter, bevor er Athen verlassen mußte, 10 Tage Zeit. Es durfte bei dieser Abstimmung nicht diskutiert, nicht einmal gesprochen werden, um z.B. Demagogen nicht zu Wort kommen zu lassen. Dennoch gab es wohl Manipulationen anderer Art, weswegen der Ostrakismos nach 417 nicht mehr angewandt wurde. Außerdem konnten Sondergesetze verabschiedet werden, um Verbannte vor Ablauf der 10 Jahre zurückzurufen. So wurde der eigentlich 482 ostrakisierte Aristides schon sehr schnell zurückgerufen und nahm 480 für Athen an der Schlacht von Salamis teil und kommandierte 479 v. Chr. die athenischen Truppen in der Schlacht von Plataiai. Eingeführt wurde der Ostrakismos aller Wahrscheinlichkeit nach, um zu verhindern, daß jemand zu mächtig wird und dies zu einem in die Tyrannis mündenden Staatsstreich ausnutzt.
Perikles steht dann erst einmal am Ende dieser demokratischen Entwicklung. Er weitere die Kompetenzen der Geschworenengerichte aus, ein eigener Richterstand wurde eingeführt, und der Areopag zur Machtlosigkeit verurteilt, während die Ecclesia, die Volksversammlung zu dem bestimmenden Element in Athen aufgewertet wurde. Danach führte Perikles Athen in den Peloponnesischen Krieg, der das Ende der athenischen Vormacht bedeutete.
So viel also zu den Anfängen der athenischen Demokratie; von auswärtigen oder früheren Vorbildern wüßte ich auch nichts, und das, was ich zusammengetragen habe, liest sich eher wie eine solonische Erfindung zum Zweck des Ausgleichs, um die sozialen Spannungen im Land abklingen zu lassen und um die Ordnung wiederherzustellen.
Quellen... gibts derer einige... teilweise sind es Vorlesungen, an die ich mich noch teilweise erinnere (u.a. Winfried Schmitz, Walter Eder oder auch K.W. Welwei), aber auch bei Christian Meier findet sich einiges dazu, bei Belock, bei Kagan und so weiter und so fort... (ich hab meine Infos neben meinen Vorlesungen bei Wiki rausgefischt, diese sind aber durchaus verwertbar... Stichwörter waren u.a. "Solon", "Geschichte Athens", "Perikles", "Drakon", "Kleisthenes", "Kleisthenische Reformen," "Hippias," Aristides," "Peisistratos," und "Ostrakismos").
Jetzt hab ich die Zeit für das nachträgliche Editieren überschritten... also in diesem Posting zu den Nomotheten nachgereicht:
Die Nomotheten wurden - Link zur BPB - 403 nach dem Poloponnesischen Krieg und der Wiedereinführung der Demokratie (es gab zwischen 411 und 403 ein Wechselspiel zwischen oligarchischen Umstürzen und Wiedereinführung der Demokratie) eingeführt. Diese Nomotheten (zu deutsch: "Gesetzgeber") waren für die Gesetzgebung bei höherrangigen Gesetzen zuständig und bestanden aus Richtern. Diese Gesetze bedurften dann nicht mehr der Zustimmung durch die Volksversammlung, die aber nach wie vor für die Gesetzgebung bei niedrigrangigeren gesetzen zuständig war.
Das, finde ich, liest sich dann schon wie ein erster Schritt zu einer Gewaltenteilung, denn wenn ich das richtig verstehe, waren die Nomotheten vonder Ecclesia und anderen Institutionen unabhängig; es entstand also eine unabhängige Legislative.
Als kleinen Ausblich sei noch gesagt, daß Athen sich im 4. Jahrhundert recht gut erholte, ohne an die alte Blüte heranreichen zu können. 323 installierte Antipatros noch einmal eine makedonische Oligarchie, die, nach der Vertreibung der Makedonen aus Athen 307 wieder zugunsten einer Demokratie abgeschafft wurde. Allerdings gab es dann eine letzte Konfrontation zwischen Athen und Makedonien, die 261 zugunsten Makedoniens ausging und das Ende der athenischen Demoratie bedeutete... die Bedeutung Polis ging seit Alexander und den Diadochen ohnehin immer mehr zugunsten der Großreiche zurück.
Quelle: obiger Link gehört zur Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 284; der Autor ist Hans Vorländer.
In Antwort auf:Puh, ganz schön viel auf einmal... (aber okay, ich bin ja nicht "besser" )
Wahrlich nicht, lieber Sparrowhawk. Dies ist jedenfalls der bisher längste Beitrag in diesem noch jungen Forum.
Deshalb antworte ich getrennt zu den beiden Themen und mache dazu jeweils einen neuen Thread auf; denn beiden Themen sind ja interessant, und ich würde mich freuen, wenn sie noch a bisserl "weiterlaufen" würden.
Die beiden neuen Threads heißen "Iran und Irak, Ost und West" und "Die attische Demokratie" und stehen im Unterforum "Neue Themen".
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