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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 12 Antworten
und wurde 1.006 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

11.06.2008 16:04
Anmerkungen zu Sigmund Freud (1): Freud, Marx, Einstein Antworten

Sie werden oft in einem Atemzug genannt, Freud, Marx und Einstein.

Einstein war, das ist heute unumstritten, einer der größten Wissenschaftler in der Geschichte der Physik. Marx war - das ist nicht unumstritten, aber es wird immer seltener bestritten, und nie mit guten Gründen - kein Wissenschaftler; ich sehe ihn ihm einen Religionsgründer.

Wie steht es in Bezug auf die Wissenschaftlichkeit mit Sigmund Freud?

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 2.292

12.06.2008 05:14
#2 RE: Anmerkungen zu Sigmund Freud (1): Freud, Marx, Einstein Antworten
Lieber Zettel,

als Ökonom fühle ich mich quasi verpflichtet, Ihre Behauptungen bzgl. Marx zumindest ein wenig zu relativieren.

Die makroökonomische Analyse von Marx, nachzulesen in "Kapital Band 1" (der einzige Band, den er wohl selbst geschrieben hat) ist durchaus äußerst scharfsinnig, wenn man sie mit dem allgemeinen Wissensstand der Ökonomie jener Zeit vergleicht. Marx hat sich seine Argumentation auch nicht aus den Fingern gesaugt, sondern die Theorie von Adam Smith in großen Teilen übernommen (Ricardo vermag ich nicht herauszulesen, auch wenn das immer wieder behauptet wird).

Allerdings hat er in seiner Analyse Fehler gemacht und die falsche Schlussfolgerung gezogen. Wie viele andere vor und nach ihm (hier sei mal Keynes erwähnt).

Ich finde es nur bizarr, dass es heutzutage immer noch Leute gibt, die der Ansicht sind, Marx wäre der Forschungshöhepunkt der Ökonomie. Das ist in etwa so, als wolle man einen Mikroprozessor einzig und alleine mit den Erkenntnissen Newtons bauen (ja, ich weiss, der Physik-Vergleich hinkt grundsätzlich, trotzdem).

Ansonsten kann ich nur folgende Vorgehensweise empfehlen: Lesen => verstehen => kritisieren. Das ist übrigens eine Aussage von Hans-Werner Sinn in einer seiner Vorlesungen, mit direktem Bezug auf Marx; und dem Mann wird ja wohl niemand unterstellen, er wäre überzeugter Kommunist.


Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektüre eines (politisch neutralen; sehr selten in Bezug auf Marx) Blogeintrags auf "Die unsichtbare Hand":
http://unsichtbarehand.blogspot.com/2007...olitischen.html
Karl Marx für Leute, die nur 10 Minuten Zeit haben.

Grüße,
F.Alfonzo
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.06.2008 08:48
#3 War Marx ein Wissenschaftler? Antworten
Zitat von F.Alfonzo
Die makroökonomische Analyse von Marx, nachzulesen in "Kapital Band 1" (der einzige Band, den er wohl selbst geschrieben hat) ist durchaus äußerst scharfsinnig, wenn man sie mit dem allgemeinen Wissensstand der Ökonomie jener Zeit vergleicht. Marx hat sich seine Argumentation auch nicht aus den Fingern gesaugt, sondern die Theorie von Adam Smith in großen Teilen übernommen (Ricardo vermag ich nicht herauszulesen, auch wenn das immer wieder behauptet wird).

Hm, lieber F. Alfonzo, ich lese das oft, daß Marx doch ein bedeutender Ökonom gewesen sei. Überzeugende Gründe für diese Behauptung kenne ich nicht. Wo Marx recht hatte, da ging er nicht über die Nationalökonomie seiner Zeit hinaus. Wo er das tat, war er unwissenschaftlich.



Sie weisen auf Adam Smith hin. Ja, natürlich hat Marx die klassische Ökonomie übernommen; er kannte ja nichts anderes. Er hatte nur den Ehrgeiz eines Hegelianers, den Dingen auf den Grund zu gehen, bis zu ihrem "Wesen" vorzudringen. Er verhält sich damit zur wissenschaftlichen Makroökonomie (früher sagte man Volkswirtschaftslehre) ungefähr so wie Schelling mit seiner Naturphilosophie zu den Naturwissenschaften.

Ich gehöre im Unterschied zu vielen Marxisten zu denen, die das "Kapital" gelesen haben; ich habe als Juso, Anfang der siebziger Jahre, sogar Kurse zur Einführung in das "Kapital" gehalten. Ich verstehe die Faszination, die es ausübt. Nur basiert sie darauf, daß Marx seinen Lesern leere Versprechungen macht; ihnen nämlich einen Blick aufs Wesen der Dinge verspricht. Es ist klassische Scharlatanerie.



Die Faszination speist sich, genauer gesagt, aus zweierlei:

Erstens wird dem Leser eben dies suggeriert, daß jetzt endlich hinter die "Oberfläche" gegangen wird, daß da einer den Schleier wegzieht, daß das Wesen aufgedeckt wird. Dieser Gestus des Aufdeckens, des Entlarvens, des zum Wesen Vordringens ist bei Marx sehr ausgeprägt (das übrigens hat er in der Tat mit Freud gemeinsam).

Zweitens wird nicht nur das Erkenntnisinteresse des Lesers mehr als befriedigt (er wird ja geradezu in einen Rausch des Endlich-Wissens versetzt), sondern zugleich wird ihm eine, wie es scheint, unangreifbare Grundlage für sein politisches, sein moralische, ja ein nachgerade religiöses Engagement geliefert.

Er lernt "verstehen", daß Ausbeutung nicht eine Fehlentwicklung des Kapitalismus ist, sondern daß sie sein Wesen ausmacht; daß also eine Welt ohne Ausbeutung nur durch die Beseitigung des Kapitalismus möglich ist. Damit hat er die "einzige wissenschaftliche Weltanschauung", nämlich die einzige, die mit zwingender Notwendigkeit aus Wissenschaft hervorgeht. Aus Marx' ökonomischer Theorie.

Wäre das eine wissenschaftliche Theorie, lieber F. Alfonzo, dann müssten wir alle, die wir ja auch sonst die Ergebnisse der Wissenschaften akzeptieren, Marxisten sein.



Sie ist aber keine wissenschaftliche Theorie, sondern Pseudowissenschaft.

Sie ist deshalb Pseudowissenschaft, weil ihre Aussagen nicht falsifizierbar sind. Sie sind es deshalb nicht, weil die meisten von ihnen gar nicht operationalisierbar sind. Ja, Marx will "hinter die Oberfläche" vorstoßen. Aber er landet nur bei pseudowissenschaftlichen Spekulationen.

In einem getrennten Beitrag - ich trenne ihn ab, damit es nicht zu lang wird - gebe ich dafür gleich noch ein Beispiel.

Erst einmal herzlich,

Zettel
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.06.2008 09:51
#4 Wert und Mehrwert Antworten

Zitat von F.Alfonzo
Ansonsten kann ich nur folgende Vorgehensweise empfehlen: Lesen => verstehen => kritisieren. (...) Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektüre eines (politisch neutralen; sehr selten in Bezug auf Marx) Blogeintrags auf "Die unsichtbare Hand":
http://unsichtbarehand.blogspot.com/2007...olitischen.html
Karl Marx für Leute, die nur 10 Minuten Zeit haben.

Ich fürchte, lieber F. Alfonzo, man braucht schon a bisserl länger, um zu durchschauen, warum Marx ein Scharlatan war.

Und ich habe auch zu diesem zweiten Teil meiner Antwort a bisserl länger gebraucht, so daß ich sie nochmals zweiteile.

Das Beispiel ist der berühmte "tendenzielle Fall der Profitrate".

In der marxistischen Literatur findet man immer wieder Tabellen, die beweisen sollen, daß die Profitrate empirisch wirklich fällt, und deren Autoren damit den ganzen Marxismus als bewiesen sehen wollen.

Nur picken sie sich dazu in der Regel die Daten sehr einseitig heraus. Und wenn die Profitrate einmal steigt, dann widerlegt sie das auch nicht, wie wir gleich sehen werden.

Das ist wie bei der Klimakatastrophe: Wenn ein Sommer warm ist, wie jetzt in Norddeutschland, dann beweist das die globale Erwärmung. Wenn er kühl und verregnet ist, wie bisher in Süddeutschland und in den Alpenrepubliken, dann hat das eben andere Gründe, "entgegenwirkende Ursachen".

Oder wenn eine Weltuntergangssekte den Weltuntergang prophezeit und er ausbleibt, dann widerlegt das ihren Glauben nicht. Sondern der Untergang wurde von Gott ausgesetzt, weil eben jene Sekte ihn erkannt und entsprechend gebetet hatte.



Um das mit dem tendenziellen Fall der Profitrate - auch das beschreibt übrigens Wal Buchenberg wieder akribisch genau und zugleich verständlich - zu verstehen, müssen wir uns erst mal mit den Begriffen des Werts und des Mehrwerts befassen.

Der "Wert" einer Ware ist für Marx nicht etwa ihr Preis. Sondern es ist etwas Geheimnisvolles, das in ihr steckt und von dem der Preis mehr oder weniger stark abweichen kann. Der Wert liegt darin, daß die Ware "vergegenständlichte lebendige Arbeit", geronnene Arbeit ist. Numerisch bestimmt sich der Wert durch die Dauer der zur Herstellung der betreffenden Ware erforderlichen (gesellschaftlich notwendigen) Arbeitszeit.

Woher weiß Marx das? Er weiß es gar nicht. Es ist eine leere Annahme.

Macht man diese Annahme, dann folgt allerdings daraus sofort, daß im Kapitalismus Ausbeutung herrscht.

Nicht als Fehlentwicklung, als Auswuchs. Sondern als etwas, das aus dem Wesen des Kapitalismus mit Notwendigkeit entspringt. Wie das?

Nun, der Wert einer Ware bestimmt sich durch die zu ihrer Herstellung erforderliche Arbeitszeit. Auch die Arbeitskraft (nicht die Arbeit!) ist eine Ware, die der Arbeiter dem Kapitalisten verkauft.

Also bestimmt sich auch der Wert der Ware "Arbeitskraft" durch die zu ihrer Herstellung erforderliche Arbeitszeit. Die "Herstellung der Ware Arbeitskraft", das ist die Ernährung, Kleidung usw. des Arbeiters und seiner Familie, die "Reproduktion" der Arbeitskraft".

Was sie kostet, das bestimmt den Wert der Ware "Arbeitskraft". Und nicht der Wert dessen, was der Arbeiter erzeugt. Dieser ist höher, und die Differenz ist der Mehrwert.

Daß der Kapitalist Mehrwert kassiert, ist Ausbeutung. Mehrwert ist im Kapitalismus unvermeidlich. Daß der Kapitalist sich ihn aneignet, ist unvermeidlich, denn es entspringt aus seinem privaten Besitz der Produktionsmittel.

Also ist Ausbeutung im Kapitalismus unvermeidlich. q.e.d.

Klingt zwingend, nicht wahr? Und ist doch reine Schaumschlägerei; ein Spiel mit Wörtern.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.06.2008 09:59
#5 Fallende Profitrate, ein Witz, ein Zauberkunststück Antworten

Und jetzt, lieber F. Alfonzo, zum tendenziellen Fall der Profitrate. Marx leitet ihn folgendermaßen ab:

Das Kapital besteht aus konstantem Kapital (Maschinen usw) und variablem Kapital (dem, was der Kapitalist den Arbeitern zahlt).

Mit fortschreitender Technisierung (Marx hat ja die Verbreitung der Dampfmaschine, der Lokomobile usw. erlebt) ändert sich der relative Anteil dieser beiden Arten von Kapital, dessen "organische Zusammensetzung". Der Anteil des konstanten Kapitals am Gesamtkapital wird immer größer.

Mehrwert entsteht aber nur durch lebendige Arbeit; also nur der Einsatz von variablem Kapital ist zur Erzeugung von Mehrwert in der Lage.

Der Profit ergibt sich aber aus der Differenz zwischen dem Erlös und dem gesamten eingesetzten Kapital. Die Profitrate ist der Erlös, bezogen auf dieses Gesamtkapital.

Da der Mehrwert aber nur vom variablen Kapital herrührt und dessen Anteil immer kleiner wird, sinkt der Mehrwert, bezogen auf das eingesetzte Kapital (= die Profitrate), auch wenn er, bezogen auf das variable Kapital, ansteigt (höhere Mehrwertrate = mehr Ausbeutung).

Ein Wachsen der Mehrwertrate bedeutet eine immer größere Ausbeutung. Zugleich sinkt aber die Profitrate.



Na prima, könnte man sagen, dann brauchen wir ja nur die Profitrate seit dem Beginn des Kapitalismus zu untersuchen und wissen, ob die Theorie von Marx stimmt.

Aber weit gefehlt! Marx nennt nämlich ein halbes Dutzend "entgegenwirkende Ursachen"; man kann sie bei Wal Buchenberg nachlesen.

Fällt also die Mehrwertrate, dann sehen die Marxisten das als Beleg für die Richtigkeit von Marx' Theorie. Steigt sie, dann ist diese Theorie nicht etwa widerlegt, sondern die entgegenwirkenden Ursachen waren halt stärker.

Der Marxismus ist unwissenschaftlich, weil es keine Möglichkeit gibt, auch nur eine einzige seiner Behauptungen empirisch zu prüfen. Es ist alles nur Wortgeklingel.

Geht die Welt unter, dann hatten sie recht, die Weltuntergangspropheten. Geht sie nicht unter, dann hatten sie auch recht, denn dank ihrer Gebete wurde der Untergang verhindert.



Jetzt noch einer meiner Lieblingswitze:

Ein Mann streut ein Pulver auf seinen Rasen. Ein Vorbeikommender fragt, wozu das Pulver denn sei. Antwort: Es vertreibt Elefanten. "Aber hier gibt es doch gar keine Elefanten" - "Sehen Sie, es wirkt".

Und noch eine Demonstration, die sich zB für Vorlesungen eignet:

Ich beweise, daß ich eine Münze unsichtbar wandern lassen kann.

Dazu nehme ich sie in die linke Hand und schließe diese. Die rechte Hand halte ich, ebenfalls geschlossen, daneben.

Dann befehle ich der Münze, von der geschlossenen linken in die geschlossene rechte Hand zu wandern. Sie tut das. Allerdings habe ich es noch nicht bewiesen, denn man sieht ja nur die zur Faust geschlossenen Hände.

Um es zu beweisen, halte ich die beiden Hände weiter zur Faust geschlossen und wiederhole das Experiment, indem ich der Münze befehle, jetzt zurück in die linke Hand zu wandern.

Diese öffne ich. Und siehe: Dort liegt die Münze. Beweis geglückt.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

12.06.2008 11:55
#6 RE: Wert und Mehrwert Antworten

In Antwort auf:
Der Wert liegt darin, daß die Ware "vergegenständlichte lebendige Arbeit", geronnene Arbeit ist. Numerisch bestimmt sich der Wert durch die Dauer der zur Herstellung der betreffenden Ware erforderlichen (gesellschaftlich notwendigen) Arbeitszeit.

Auf die Gefahr hin das Niveau etwas zu drücken, möchte ich hierzu ein Beispiel bringen, mit dem mir ein Lehrer die Marx'schen Lehren recht augenfällig dargestellt hat:
"Wenn Du Dir einen ganzen Arbeitstag lang in der Nase bohrst und aus den geförderten Materialien eine Kugel formst - dann wäre das nach Marx ein durchaus werthaltiges Produkt.
In der Realität dagegen ist ein Klumpen Rotz ähnlich viel wert wie das komplette Lebenswerk von Marx - nämlich nichts".

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

12.06.2008 12:15
#7 RE: Anmerkungen zu Sigmund Freud (1): Freud, Marx, Einstein Antworten

In Antwort auf:
Karl Marx für Leute, die nur 10 Minuten Zeit haben.

Herzlichen Dank für diesen Link, das ist auf jeden Fall interessante Lektüre.

Aber da lese ich schon zu Anfang ganz entscheidende Fehler:
"Mit der industriellen Revolution, die zu Anfang des 19.Jahrhunderts zunächst in England, dann aber auch in anderen europäischen Staaten begann, brach aber nicht allgemeiner Wohlstand herein, sondern es gab vielerorts neues Elend, ganz besonders bei der (mittellosen) Arbeiterschaft in den neu entstandenen Fabriken."

Ich bin nun kein Ökonom, aber Historiker.
Und diese (durch die Marxisten weit verbreitete) Sicht ist komplett falsch, und es scheint mir recht symptomatisch zu sein, daß von Anfang an eine fehlerhafte Kenntnis von der realen Welt und ihrer Entwicklung zur marxistischen Theorie führte - und bis heute zeichnen sich ja Linke dadurch aus, daß viele ihrer Thesen nicht zur täglich beobachteten Realität passen.

Die Industrialisierung hat KEIN neues Elend gebracht, sondern Wohlstand auch für die einfachen Arbeiter.
Denn der Bezugspunkt für deren Lebensstandard ist natürlich nicht der im Hause Marx oder Engels, oder gar die modernen Verhältnisse (für uns heute ist es natürlich haarsträubend, von damaligen Lebensumständen zu lesen).
Der Bezugspunkt ist der Standard, den diese Arbeiter vorher hatten - nämlich als Arbeitskräfte auf dem Land.

Und dieser Standard war deutlich schlechter (sonst wären sie ja gar nicht vom Land in die Städte geströmt).
Hätte Marx sich mal die Mühe gemacht, die damalige Realität in der englischen oder deutschen Provinz anzuschauen, dann wäre ihm aufgefallen, daß die "Lage der arbeitenden Klasse in England" trotz aller Härten eindeutig besser war!

Mit der Verelendungsthese fällt natürlich ein guter Teil seiner weiteren Argumentation wie ein Kartenhaus zusammen.
Wie überhaupt die verlinkte Darstellung auf eine Reihe weiterer Logikfehler hindeutet, die ich jetzt nicht im Detail ausbreiten möchte.

Insofern frage ich mich, wie kann das richtig sein:
In Antwort auf:
Die makroökonomische Analyse von Marx, ... ist durchaus äußerst scharfsinnig

wenn doch:
In Antwort auf:
Allerdings hat er in seiner Analyse Fehler gemacht und die falsche Schlussfolgerung gezogen.


Wenn man fehlerhaft analysiert und dann noch falsche Schlußfolgerungen zieht, kann ich das nicht scharfsinnig finden.
Eine wirklich qualitätvolle Theorie kann vielleicht begrenzt sein (und später erweitert werden) oder später durch neuere Erkenntnisse widerlegt werden.
Aber wenn sie schon bei Entstehung falsch ist, sollte man sie eigentlich in den Papierkorb tun.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.06.2008 17:18
#8 Verelendung, Entfremdung und die Dialektik des Klassenkampfs Antworten

Lieber R.A.,

ich stimme Ihnen zu. Jedenfalls, soweit ich das beurteilen kann.

Ich habe vor Jahrzehnten mal Arbeiten von Wilhelm Treue zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts gelesen, mich seither aber nicht mehr damit befaßt. Jetzt eben habe ich in der Wikipedia nachgelesen und dem Artikel über die Industrielle Revolution entnommen, daß das, was Treue damals schrieb, auch heute noch so gesehen wird. Die Lebensbedingungen der Industriearbeiter im 19. Jahrhundert waren zwar schlecht, aber nicht schlechter als die in der Landwirtschaft zuvor. Wie Sie es schreiben.

Zitat von R.A.
Mit der Verelendungsthese fällt natürlich ein guter Teil seiner weiteren Argumentation wie ein Kartenhaus zusammen.

Nicht unbedingt, lieber R.A.

Marx war ja kein sentimentaler Sozialist. Er hat sich über St. Simon, Owen, Proudhon usw. immer nur lustig gemacht. Ich glaube auch nicht, daß die Verelendungstheorie für den Marxismus wichtig ist, außer als Thema der kommunistsichen Propaganda.

Marx sah sich als sozusagen der Gröwaz, der größte Wissenschaftler aller Zeiten. Er wollte ein Super-Hegel sein, der dessen Gedanken auf die Höhe der Wissenschaftlichkeit des 19. Jahrhunderts heben sollte. Die Nationalökonomie war für ihn die Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln.

Die Verelendung spielte für ihn im Zusammenhang mit der Dialektik der Geschichte eine Rolle. Für Hegel war bekanntlich die Dialektik des Geistes die Triebkraft der Geschichte gewesen. Marx, der Materialist, brauchte eine materielle Dialektik.

Um zur Synthese zu kommen, muß der dialektische Widerspruch immer erst einmal auf die Spitze getrieben werden; die Widersprüche spitzen sich zu, bevor sie reif für eine Synthese auf einer höheren Ebene sind, der berühmten "Aufhebung".

Da der Klassenkampf für Marx an die Stelle der Dialektik des Geistes getreten war, braucht er also eine Zuspitzung der Klassengegensätze als Voraussetzung für das Ende des Kapitalismus und die Synthese in der Entwicklung zum Sozialismus und schließlich dem Kommunismus.

Da kam ihm die Verelendung zupaß. Aber sie spielte im Grunde theoretisch keine Rolle für ihn. Eine Zuspitzung der Klassengegensätze kann es auch geben, wenn es den Lohnabhängigen gut geht; vorausgesetzt, den Kapitalisten geht es ungleich besser.

Das ist die argumentative Linie der heutigen Marxisten. Sie sprechen von "relativer Verelendung" und meinen damit, daß der Lohnabhängige sich nur einen Golf leisten kann, der Kapitalist aber drei Audis.



Was Marx, als er jung war, wirklich interessiert hat, das war nicht die Verelendung, sondern die Entfremdung. Darin war er ein Kind der Romantik. Er beklagte, daß der Industriearbeiter nicht mehr das innige Verhältnis zu seinem Produkt hat wie der Handwerker, der einen Anzug schneidert oder einen Schrank zimmert.

Das ist natürlich wahr, und schon Schiller hat es gewußt und - in der "Ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts" - eine ungleich intelligentere und modernere Antwort gegeben als Marx: Wenn die Arbeit entfremdet wird, dann wird das, was wir heute Selbstverwirklichung nennen, immer mehr im Spiel stattfinden.

In der Freizeit also, so wie wir es heute erleben. Und auch in der Lohnarbeit hat sich ja die Entfremdung keineswegs verschärft, sondern zum Teil geht die Entwicklung ja längst wieder in umgekehrte Richtung.

Herzlich, Zettel

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 2.292

16.06.2008 06:28
#9 RE: Verelendung, Entfremdung und die Dialektik des Klassenkampfs Antworten

@ Zettel:

Ich bin da ganz bei Ihnen. Mein Anliegen war auch keinesfalls, Marx in eine Reihe mit den genialsten Ökonomen der letzen Jahrhunderte zu stellen.
Allerdings kenne ich die Tendenz der Gegner von Marx (zugegeben, da habe ich Sie massiv unterschätzt), seine Schriften unreflektiert als Pseudowissenschaft darzustellen, genauso, wie sie auf die gleiche Art und Weise von Marxisten heute noch als "state of the art" Forschung angepriesen werden.

Wenn Sie mir nur noch 1-2 Anmerkungen gestatten:
- In wie weit damals eine empirische Analyse überhaupt möglich gewesen wäre, vermag ich nicht zu beurteilen, wage aber zu behaupten, dass entsprechende Daten in ausreichender Breite nicht zur Verfügung standen; somit wäre der Versuch einer empirischen Beweisführung ja fast auch schon pseudowissenschaftlich
- Eine makroökonomische Theorie ist m.E. immer wesentlich fehleranfälliger als die klassische, mikroökonomische Sicht, weil sie ihrem Wesen nach schon mehr "Annahmen" an die Umwelt stellen muss; das sollte der Vergleich mit Keynes verdeutlichen; Marx hat Annahmen getroffen, die er für richtig gehalten hat (oder für richtig halten wollte), die sich aber als falsch erwiesen haben
- Das "Profitratengesetz" stammt nicht aus dem ersten Band; ich habe (aus bekannten Gründen) ja darauf hingewiesen, dass nicht alles, was unter "Marx" im Bücherregal steht, grundsätzlich auch in dieser Form von ihm veröffentlicht worden wäre

@ R.A.:
Nun, ich bin wiederum kein Historiker, glaube mich aber erinnern zu können, dass das Hause Marx keineswegs einem irgendwie gearteten "hohen Stand" zuzurechnen gewesen wäre, wie die meisten anderen Wissenschaftler jener Zeit...
Im Gegenteil: Marx wurde von den meisten angesehenen Leuten schon zu Lebzeiten als "Spinner" abgetan, was natürlich auch negative Auswirkungen auf sein Einkommen hatte... letztendlich war er ständig auf Almosen seiner wenigen Freunde angewiesen.

Ich erwähne das, weil es für die Einschätzung eines Mannes, der sich, wie Zettel schon erwähnt hat, für Gottes Geschenk an die Wissenschaft gehalten hat, sehr wichtig, wenn nicht essenziell ist. Der Entwickler der "modernen Sozialneid-Theorie" hatte nicht den nüchternen, objektiven Blick "von oben herab", sondern hat sich vermutlich selbst als einen jener Arbeiter gesehen, die im Kapitalismus unter ihrem Wert entlohnt werden; natürlich als den fähigsten und besten.
Diese Frustration lässt sich selbst in bemüht nüchtern gehaltenen Schriften wie Kapital I schon herauslesen, von persönlichen Briefen, in denen er seiner Frustration freien Lauf ließ mal ganz abgesehen.

Schöne Grüße,
F.Alfonzo

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.06.2008 11:58
#10 RE: Verelendung, Entfremdung und die Dialektik des Klassenkampfs Antworten

Nun ja, Marx gehörte nicht zur Oberschicht, war aber als bürgerlicher Akademiker deutlich bessere Standards gewöhnt als die Arbeiter oder Erntehelfer im "Proletariat".
Das gilt ja noch mehr für Engels, der ja mit seiner "Lage der arbeitenden Klasse" das Elends-Thema eingeführt hatte.

Meistens sind es ja Leute aus gut situierten Verhältnissen, die sich besonders über das ferne Elend von Unterschichten empören.
Siehe heute die Anti-Hartz-IV-Wortführer, das sind fast durchweg gut verdienende Leute.
Während ein Schröder oder ein Müntefering sich von unten hochgearbeitet haben und das sehr viel nüchterner sehen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.06.2008 15:52
#11 RE: Verelendung, Entfremdung und die Dialektik des Klassenkampfs Antworten

Zitat von F.Alfonzo
Allerdings kenne ich die Tendenz der Gegner von Marx (zugegeben, da habe ich Sie massiv unterschätzt), seine Schriften unreflektiert als Pseudowissenschaft darzustellen

Ja, viele sagen das, ohne viel von Marx zu kennen. Nur stimmt es halt (anders übrigens als bei Freud; die weiteren Folgen der Serie sind "in Arbeit" )
Zitat von F.Alfonzo
In wie weit damals eine empirische Analyse überhaupt möglich gewesen wäre, vermag ich nicht zu beurteilen, wage aber zu behaupten, dass entsprechende Daten in ausreichender Breite nicht zur Verfügung standen; somit wäre der Versuch einer empirischen Beweisführung ja fast auch schon pseudowissenschaftlich

Mit der Nationalökonomie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kenne ich mich nicht aus. Aber die Pseudowissenschaftlichkeit bei Marx liegt ja nicht darin, daß er nicht hinreichend Daten benutzt hätte, sondern sie liegt darin, daß seine zentralen Aussagen prinzipiell nicht falsifizierbar sind.

Wissenschaftstheoretisch gesprochen: Er führt hypothetische Konstrukte ein, die entweder nicht in empirischen Variablen verankert (nicht operationalisiert) sind oder die überhaupt keine Konstrukte sind, sondern Definitionen.

Das gilt zB für die gesamte Werttheorie. Marx behauptet, der Wert einer Ware entspreche der zu ihrer Herstellung gesellschaftlich erforderlichen Arbeitszeit ("gesellschaftlich erforderlich", weil er sonst ja annehmen müsste, daß eine Ware einen umso höheren Wert hat, je unrationeller sie produziert wird).

Wie beweist er, daß diese Aussage stimmt? Gar nicht. Er versucht es noch nicht einmal. Er wehrt lediglich den naheliegenden Einwand ab, daß aber der Preis einer Ware von der Proportionalität zu der zu ihrer Herstellung erforderlichen Zeit massiv abweichen kann. Dazu sagt er, der Preis müsse eben nicht dem Wert entsprechen. Und woher kennen wir nun den Wert? Allein durch die zur Herstellung gesellschaftlich erforderlichen Arbeitszeit. Es handelt sich also um eine reine Definition, die aber als große Erkenntnis verkauft wird.
Zitat von F.Alfonzo
- Das "Profitratengesetz" stammt nicht aus dem ersten Band; ich habe (aus bekannten Gründen) ja darauf hingewiesen, dass nicht alles, was unter "Marx" im Bücherregal steht, grundsätzlich auch in dieser Form von ihm veröffentlicht worden wäre

Das stimmt schon, lieber F. Alfonzo. Den zweiten und dritten Band hat Engels aus Material von Marx zusammengestellt. Aber ich wüßte nicht, daß irgendwer daran zweifelt, daß das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate so von Marx formuliert worden ist, einschließlich der "entgegenwirkenden Ursachen", durch deren Annahme es auch wieder unüberprüfbar wird, wie das Wertgesetz selbst.
Zitat von F.Alfonzo
Nun, ich bin wiederum kein Historiker, glaube mich aber erinnern zu können, dass das Hause Marx keineswegs einem irgendwie gearteten "hohen Stand" zuzurechnen gewesen wäre, wie die meisten anderen Wissenschaftler jener Zeit...

Er war ja eben kein Wissenschaftler. Er hat nie in einer Fachzeitschrift publiziert, keine wissenschaftlichen Kongresse besucht, in keinem der Facher, in denen er dilettierte, mit den Fachleuten diskutiert.

Er war nicht mehr Wissenschaftler, als Däniken Archäologe ist. Ein Dilettant, der sich allerlei angelesen hatte und daraus eine Weltanschauung zimmerte, die er als Wissenschaft zu verkaufen versuchte. Er war von Beruf Journalist, und als solcher war er nicht schlecht, vor allem bei Polemiken. Mehr nicht.

Ja, er lebte ärmlich für einen Akademikerhaushalt; aber am Hungertuch nagte die Familie auch wieder nicht. Engels half immer gern aus, und der war ja reich. Wenn ich mich recht erinnere (es ist schon ein paar Jahrzehnte her, daß ich die Marx-Biographie von Mehring gelesen habe), gab es auch Unterstützung von Seiten der Familie Jennys.
Zitat von F.Alfonzo
von persönlichen Briefen, in denen er seiner Frustration freien Lauf ließ mal ganz abgesehen.

Es gibt eine schöne zweibändige Sammlung "Gespräche mit Marx und Engels", herausgegeben von Enzensberger. Da kann man lesen, was alles an Verwünschungen, Gemeinheiten, Beschimpfungen Marx abgesondert hat.

Schon diese Art, mit Andersdenkenden umzugehen, schließt aus, daß Marx ein Wissenschaftler war. Er hatte vor anderen Meinungen so wenig Respekt wie vor anderen Menschen; er war einer der größten Egomanen der Weltgeschichte.

Er ließ an keinem ein gutes Haar, seinen Gegnern so wenig wie auch seinen Mitstreitern. Die einzige Ausnahme war Freund Engels; auf den ließ er nichts kommen, und der ließ ihn nicht verkommen.

Herzlich, Zettel

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

18.06.2008 22:14
#12 RE: Verelendung, Entfremdung und die Dialektik des Klassenkampfs Antworten

Zitat von Zettel
Ja, er lebte ärmlich für einen Akademikerhaushalt; aber am Hungertuch nagte die Familie auch wieder nicht. Engels half immer gern aus, und der war ja reich. Wenn ich mich recht erinnere (es ist schon ein paar Jahrzehnte her, daß ich die Marx-Biographie von Mehring gelesen habe), gab es auch Unterstützung von Seiten der Familie Jennys.


Ich meine, irgendwo eine Anekdote gelesen zu haben, in der Jenny sich beklagte "dass der Karl immer so viel über das Kapital schreibe, anstatt endlich mal eines nach Hause zu bringen!"

Gruß Petz

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 2.292

20.06.2008 23:37
#13 RE: Wert und Mehrwert Antworten

Zitat von R.A.
Zitat:Auf die Gefahr hin das Niveau etwas zu drücken, möchte ich hierzu ein Beispiel bringen, mit dem mir ein Lehrer die Marx'schen Lehren recht augenfällig dargestellt hat:
"Wenn Du Dir einen ganzen Arbeitstag lang in der Nase bohrst und aus den geförderten Materialien eine Kugel formst - dann wäre das nach Marx ein durchaus werthaltiges Produkt.
In der Realität dagegen ist ein Klumpen Rotz ähnlich viel wert wie das komplette Lebenswerk von Marx - nämlich nichts".


Sorry, der Beitrag ist mir bisher entgangen, aber natürlich: Das ist eine Konsequenz des gesamten "Werttheorie"-Geschwafels... damit drückst du das Niveau nicht im geringsten; du drückst es höchstens auf Marx herunter ;-)

Ein Beispiel: Bäcker macht Breze.
Wenn man annimmt, dass ein Zentner Zement genauso viel kostet wie ein Zentner Mehl, dann könnte man nach Marx auf folgenden Schluss kommen:
Eine Zementbreze hat gesellschaftlich den gleichen Wert wie eine Sauerteigbreze, da der selbe Input verwendet wurde.

Fakt ist (Marx hat das erkannt): Ein Unternehmer muss immer das Preisrisiko tragen. Wenn also ein Gut 100 Geldeinheiten in der Produktion kostet, macht der Unternehmer nur dann Gewinn, wenn er es für 100+ Euro absetzen kann, ansonsten einen Verlust.

Da stellt sich mir eine ganz einfache Frage:
Wenn nun die Gewinne der Unternehmer durch Sozialismus in irgendeiner Form enteignet werden, wer hat dann noch Interesse, ein Unternehmen zu betreiben? Wenn's gut geht, verdient man nichts, wenn's schlecht läuft, haftet man mit seinem Privatvermögen.
Dieses Phänomen ist der Grund, warum Soialismus grundsätzlich nicht funktioniert. Unternehmertätigkeit wird bestraft.
...und wir nähern uns heutzutage dem Marx'schen Ideal...

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