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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 11 Antworten
und wurde 826 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.06.2008 00:02
Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Na gut, jetzt habe ich doch noch Zeit gefunden, ihn am 17. Juni zu posten, den Artikel über den 17. Juni.

Friedel B. Offline




Beiträge: 49

18.06.2008 06:08
#2 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Vor vielen Jahren habe ich einmal bei Johannes Gross gelesen, dass Alexander Mitscherlichs berühmter Buchtitel "Die Unfähigkeit zu trauern" in Deutschland eher "Die Unfähigkeit zu feiern" heißen müsste. Im Grunde besitzen wir keinen "Nationalfeiertag"; Sie haben in Ihrem Tagebucheintrag ja selbst der in Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden empfundenen Hochstimmung bei solchen Gelegenheiten das "Trauerspiel" zu Hannover als krassen Gegensatz gegenüber gestellt. Ich kann mich nicht erinnern, am 17. Juni jemals irgend etwas "gefeiert" zu haben - bei der Bundeswehr besipielsweise gab es damals (in den 60er Jahren) noch Appelle mit Antreten , Ansprachen und allem Drum und Dran, die von wahrscheinlich allen Beteiligten eher als lästig empfunden wurden, weil sie den dienstfreien Tag zu einem unfreien haben werden lassen. Johannes Gross hat uns Deutsche einmal mit einer wunderbaren Metapher als "umgekehrte Clowns" bezeichnet: der Clown - so will es jedenfalls das Klischee - ist bekanntlich fröhlich in der Manege und schwermütig in seinem Wohnwagen, während wir Deutsche uns privatim ganz wohl fühlen, in der Öffentlichkeit aber beredt das Unheil bejammern, dem wie angefangen mit der Säuglingssterblichkeit über Kinderarmut und Jugendarbeitslosigkeit bis hin zum Elend der Altersheime ununterbrochen in einer verschmutzen, vom Klimawandel bedrohten Umwelt ausgesetzt sind. Auch evangelische Pastoren, die ja im Grunde dafür bezahlt werden, die frohe Botschaft der Erlösung der Menschheit durch Jesus Christus zu verkünden, gießen in ihren Predigten das Elend der Zeitgeschichte häufig kübelweise über die wehrlos lauschende Gemeinde aus - besonders gern offenbar am Heiligen Abend. Bei einer solchen Grundhaltung kann eine festliche Stimmung in aller Öffentlichkeit kaum entstehen. Wir sind dazu in der Lage, Gedenk- und Trauerfeiern würdig zu zelebrieren, aber Festtagsstimmung in Zusammenhang mit unserem Land kommt nach meiner Erfahrung allenfalls nach einem überzeugenden Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft auf.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

18.06.2008 08:30
#3 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten
Zitat von Friedel B.
...der Clown - so will es jedenfalls das Klischee - ist bekanntlich fröhlich in der Manege und schwermütig in seinem Wohnwagen, während wir Deutsche uns privatim ganz wohl fühlen, in der Öffentlichkeit aber beredt das Unheil bejammern...

So herum ist es ja auch besser! Wir haben, durch die schwierige politische Geschichte des Alten Reiches bedingt, eine Tradition der Größe im Kleinen und des Glücks im Winkel, so irgendetwas zwischen Goethe und Biedermeier, an welche die Bundesrepublik wieder angeknüpft hat, nachdem Reich Nr. 2 und 3 verschwunden waren.

Der "einzige wirklich effektive Nationalfeiertag, den die Deutschen je gehabt haben", schrieb Sebastian Haffner 1970 "wahrheitsgemäß und mit einiger Beschämung", sei der Sedantag gewesen, ein Tag "mit Paraden, Beflaggung, Schulfeiern, patriotischen Reden und allgemeinen Hochgefühlen. .. Das war eine Stimmung - ich finde für die heutige Zeit keinen anderen Vergleich -, als ob die deutsche Nationalmannschaft die Fußballweltmeisterschaft gewonnen hätte, und zwar jedes Jahr aufs Neue. ... Von den Hochgefühlen patriotischen Selbstgenusses, mit denen das gefeiert wurde, macht man sich heute kaum noch eine Vorstellung." Will man auch nicht unbedingt, heute, nach Verdun.

Das Problem mit dem 17. Juni, dem 3. Oktober und dem 9. November ist die Ostlastigkeit der Ereignisse, um die es da jeweils geht. Die Schwaben, die Friesen usw. waren nicht dabei. Wie sollten sie sich an diesen Tagen feiern? Sogar die West-Berliner waren am 9. November die Zuschauer, wenn überhaupt. Am Morgen des 10. November saß ich im Seminar, FU Berlin, der Referent kam nicht. Einer sagte, die Mauer sei offen. Etlichen war das neu: "echt?" Ein anderer witzelte, der Referent meine wohl, es sei Nationalfeiertag. Gelächter.

Zitat von Friedel B.
Wir sind dazu in der Lage, Gedenk- und Trauerfeiern würdig zu zelebrieren...

Das kam nach meiner Erinnerung erst in den 80er Jahren auf, und zwar in Bezug auf den Nationalsozialismus. Es ist vielleicht ein unsympathischer Gedanke, aber der Bezug ist ein doppelter, denn auch bei den Nazis, heißt es, war der Totenkult die eindrücklichste Form der Feier, viel bewegender als die Siegesfeiern. Wirklich gejubelt haben die Deutschen wohl nur nach dem Sieg über Frankreich. Sedan, noch einmal.

Und nun ist eben Schluß mit den Feiern. Was tut's? Vielleicht ist die Unfähigkeit zu Trauern bzw. zu Feiern ja das angemessenste Fazit unserer beiden Tausendjährigen Geschichten.

Gruß,
Kallias
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.06.2008 15:34
#4 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Zitat von Friedel B.
Vor vielen Jahren habe ich einmal bei Johannes Gross gelesen, dass Alexander Mitscherlichs berühmter Buchtitel "Die Unfähigkeit zu trauern" in Deutschland eher "Die Unfähigkeit zu feiern" heißen müsste.

Das galt damals, lieber Friedel B. Ich habe das auch so erlebt; diese Scheu, aus sich herauszugehen. Jede noch so bescheidene Äußerung von Nationalstolz wurde sofort nach dem Motto von Kortum beantwortet: "Über diese Antwort des Kandidaten Jobses geschah ein allgemeines Schütteln des Kopfes".

Als ich als Schüler und dann als Student im Ausland trampte, hat mich anfangs der unbeschwerte Nationalstolz der Anderen sehr verwundert. Die man da in den Jugendherbergen traf, erzählten fröhlich, wie gut alles bei ihnen sei und wie stolz sie seien, Franzosen, Amerikaner usw. zu sein. Und ich druckste immer herum und schmähte mein Vaterland, so wie ich es gelernt hatte.
Zitat von Friedel B.
Johannes Gross hat uns Deutsche einmal mit einer wunderbaren Metapher als "umgekehrte Clowns" bezeichnet: der Clown - so will es jedenfalls das Klischee - ist bekanntlich fröhlich in der Manege und schwermütig in seinem Wohnwagen, während wir Deutsche uns privatim ganz wohl fühlen, in der Öffentlichkeit aber beredt das Unheil bejammern, dem wie angefangen mit der Säuglingssterblichkeit über Kinderarmut und Jugendarbeitslosigkeit bis hin zum Elend der Altersheime ununterbrochen in einer verschmutzen, vom Klimawandel bedrohten Umwelt ausgesetzt sind.

Schöne Metapher. Gross zu erleben war mir immer ein Vergnügen. Diese Intelligenz, dieser Witz - und diese Fähigkeit, druckreif zu sprechen. Ich habe von ihm nie etwas Dummes gehört oder gelesen.
Zitat von Friedel B.
Auch evangelische Pastoren, die ja im Grunde dafür bezahlt werden, die frohe Botschaft der Erlösung der Menschheit durch Jesus Christus zu verkünden, gießen in ihren Predigten das Elend der Zeitgeschichte häufig kübelweise über die wehrlos lauschende Gemeinde aus - besonders gern offenbar am Heiligen Abend.

Das ist allerdings protestantische Tradition. Die Inhalte wechseln, diese Attitüde des Pastors bleibt. Ich habe als Kind sehr unter dieser Mitteilung gelitten, ich sei ein Sünder und könne machen, was ich wolle - aus eigener Kraft käme ich da nicht heraus. Das hat mich veranlaßt, aus eigener Kraft aus der Institution rauszukommen, die mir das weismachen wollte.
Zitat von Friedel B.
Bei einer solchen Grundhaltung kann eine festliche Stimmung in aller Öffentlichkeit kaum entstehen. Wir sind dazu in der Lage, Gedenk- und Trauerfeiern würdig zu zelebrieren, aber Festtagsstimmung in Zusammenhang mit unserem Land kommt nach meiner Erfahrung allenfalls nach einem überzeugenden Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft auf.

Ich habe den Eindruck, lieber Friedel B., daß das für jüngere Deutsche nicht mehr gilt. Ich hätte nie für möglich gehalten, daß 2006 ganz Deutschland von Schwarzrotgold überzogen werden würde.

Mir scheint, das ist eine Verschiebung im Freud'schen Sinn - ein Affekt sucht sich ein anderes Ziel, weil das eigentliche blockiert ist. Die Jüngeren scheinen mir auf dem Weg zu einem normalen Nationalbewußtsein zu sein.

Dabei dürften übrigens die Türken in Deutschland eine nicht geringer Rolle spielen. Die machen einerseits vor, wie ein normales Nationalbewußtsein aussieht - und andererseits dämmert es vielen beim Anblick türkischer Autokorsos vielleicht auch, daß es keine sehr gute Idee ist, diese Türken assimilieren zu wollen, ohne ihnen so etwas wie eine deutsche Nation als Basis für ihre neue nationale Identität anzubieten.

Herzlich, Zettel

califax Offline




Beiträge: 1.502

18.06.2008 15:48
#5 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Zitat von Zettel

Dabei dürften übrigens die Türken in Deutschland eine nicht geringer Rolle spielen. Die machen einerseits vor, wie ein normales Nationalbewußtsein aussieht - und andererseits dämmert es vielen beim Anblick türkischer Autokorsos vielleicht auch, daß es keine sehr gute Idee ist, diese Türken assimilieren zu wollen, ohne ihnen so etwas wie eine deutsche Nation als Basis für ihre neue nationale Identität anzubieten.



Und insbesondere ist es ja auf Dauer irgendwie peinlich als Spaßbremse dazustehen, wenn Türken, Griechen, etc. für die Nationalelf ganz selbstverständlich Schwarz-Rot-Gold aufziehen. Jedenfall bei fast allen Spielen.
Zumindestens ist das hier so. Doppelbeflaggung ohne Ende.

Klug und fleißig - Illusion
Dumm und faul - das eher schon
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Dumm und fleißig - ein Desaster

The Outside of the Asylum

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.06.2008 16:06
#6 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Zitat von Kallias
Wir haben, durch die schwierige politische Geschichte des Alten Reiches bedingt, eine Tradition der Größe im Kleinen und des Glücks im Winkel, so irgendetwas zwischen Goethe und Biedermeier, an welche die Bundesrepublik wieder angeknüpft hat, nachdem Reich Nr. 2 und 3 verschwunden waren.

Und die DDR noch viel mehr, lieber Kallias. Auch in dieser Hinsicht war die DDR der deutschere der beiden Staaten.

Mir erscheint nur fraglich, ob ein Volk so etwas durchhalten kann. Es ist unnatürlich. Da wird etwas Normales - der Stolz auf die eigene Nation, das Sich-Identifizieren mit ihr - unterdrückt; und irgendwann kommt es, freudianisch gesprochen, zur Wiederkehr des Verdrängten.

Auf das Biedermeier folgte schließlich der Versuch im Wilhelminischen Reich, doch noch den "Platz an der Sonne" zu erobern, den die anderen hatten. Und Hitler hätte ja nicht Erfolg gehabt, wenn er sich nicht des weit verbreiteten Gefühls, wir Deutsche seien immer zu kurz gekommen, hätte bedienen können.
Zitat von Kallias
Der "einzige wirklich effektive Nationalfeiertag, den die Deutschen je gehabt haben", schrieb Sebastian Haffner 1970 "wahrheitsgemäß und mit einiger Beschämung", sei der Sedantag gewesen

Weil er eben das war, was ein Nationalfeiertag sein sollte - ein Tag des Stolzes auf etwas Großes in der eigenen Geschichte.
Zitat von Kallias
Das Problem mit dem 17. Juni, dem 3. Oktober und dem 9. November ist die Ostlastigkeit der Ereignisse, um die es da jeweils geht. Die Schwaben, die Friesen usw. waren nicht dabei. Wie sollten sie sich an diesen Tagen feiern?

Ja, das stimmt. Aber daß das ein Problem ist, das ist eben schon bezeichnend. Auch am Sturm auf die Bastille haben ja die Bretonen, die Provençalen nicht teilgenommen, ganz zu schweigen von den Franzosen auf Martinique, die auch begeistert mitfeiern.

Daß es so ist, wie Sie schreiben, zeigt, daß die Wiedervereinigung in unserer psychischen Befindlichkeit noch gar nicht stattgefunden hat.

Daß das nach zwanzig Jahren so ist, macht deutlich, wie wenig wir die Chance der Wiedervereinigung genutzt haben. Keine Diskussion über eine neue Verfassung, keine breite Diskussion darüber, wie man mit den kulturellen, den mentalen Folgen des Kommunismus fertig wird.

Wir hatten die einmalige Chance, als das "glücklichste Volk der Welt", das wir laut Momper 1989 waren, auch zu einem der normalen Völker der Welt zu werden. Wir haben sie nicht genutzt.
Zitat von Kallias
Vielleicht ist die Unfähigkeit zu Trauern bzw. zu Feiern ja das angemessenste Fazit unserer beiden Tausendjährigen Geschichten.

Das war auch einmal meine Meinung, lieber Kallias, und es ist sie nicht mehr. Ich tendiere immer mehr zu der Auffassung, daß die deutsche Geschichte ganz normal verlaufen ist.

Natürlich war die Nazi-Zeit eine entsetzliche Entgleisung, aber das war der Kommunismus in Rußland und anderswo auch. Viele Nationen haben einmal solche dunkle Zeiten erlebt. Man darf seine Identität nicht dadurch bestimmen lassen; so wenig, wie die Identität der Franzosen durch die Verbrechen der Bartholomäusnacht, der Revolution oder auch der Abrechnung mit Kollaborateuren 1945 geprägt ist.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.06.2008 17:57
#7 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

In Antwort auf:
Der "einzige wirklich effektive Nationalfeiertag, den die Deutschen je gehabt haben", schrieb Sebastian Haffner 1970 "wahrheitsgemäß und mit einiger Beschämung", sei der Sedantag gewesen, ein Tag "mit Paraden, Beflaggung, Schulfeiern, patriotischen Reden und allgemeinen Hochgefühlen. ..

Guter Punkt.
Wobei Haffner übersieht, daß das im wesentlichen nur ein preußischer Feiertag war - in den süddeutschen Ländern wurde er kaum begangen (die hatten andere Gedenktage, bei denen die Erfolge ihrer Truppen im Vordergrund standen).

Erst der erste Weltkrieg hat eigentlich wirklich dazu geführt, daß man sich in erster Linie als Deutscher und nicht mehr so sehr als Preuße, Bayer oder Hesse sah.

Interessant ist übrigens die Haltung von Wilhelm II zum Sedantag. Entgegen der Forderungen nationalistischer Kreise weigerte er sich, diesen zum offiziellen Feiertag zu erheben.
Und begründete dies damit, daß die Leute auch ohne dies feiern würden, wenn es ihnen ein echtes Bedürfnis wäre. Und wenn es ihnen kein Bedürfnis wäre, dann könne und dürfe man dies nicht per Regierungsorder oktroieren.
Das ist m. E. eine (gerade für diesen Monarchen erstaunliche) weise Einsicht.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

18.06.2008 18:24
#8 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Zitat von Zettel
Weil er eben das war, was ein Nationalfeiertag sein sollte - ein Tag des Stolzes auf etwas Großes in der eigenen Geschichte.

Viel Großes ist ja da, nur sehe ich nichts, was sich zur allgemeinen Feier eignete. Der 17. Juni war ein moralischer Sieg - der Mut zum Aufstand gegen die Unfreiheit -, der in einer äußeren Niederlage endete, ein bitterer Tag, an dem die Panzer triumphierten. Das ist kaum ein Anlaß für eine stolze Feier.

Am besten feiert sich wohl das Joch, das von Alters her auf einem liegt und nicht mehr drückt, wie der Geburtstag des Monarchen, oder die Befreiung von einem solchen (Independence Day, quatorze juillet). Beides scheint allgemein einzuleuchten.
Zitat von Zettel
Wir hatten die einmalige Chance, als das "glücklichste Volk der Welt", das wir laut Momper 1989 waren, auch zu einem der normalen Völker der Welt zu werden. Wir haben sie nicht genutzt.

Schon jammern Sie wieder, lieber Zettel. Typisch deutsch! Und Sie wollen am liebsten den 9. November als Feiertag haben: damit wir Jahr für Jahr über eine ungenutzte Chance nachdenken?

Die Wiedervereinigung wurde anscheinend im Westen als eine Art Ruhestörung, im Osten als neues Besatzungsregime empfunden. Daher funktioniert der 3. Oktober nicht: an diesem Tag endete das Glück von 1989.

Die größte politische Leistung der Deutschen war die Gründung der Bundesrepublik, behaupte ich jetzt mal. Gelegentlich hört man dergleichen auch sagen, aber empfunden wird es kaum.

Vielleicht weil die einen sie als Provisorium ansahen, und die anderen als "Restauration", und die dritten, die sie positiv sahen, sie auf den abstraktesten Aspekt reduzierten, das Grundgesetz. Allerdings müsste man dieses feiern, oder was sonst?

Es wurde auch schon gelegentlich vorgeschlagen, den 17. Juni durch den 23. Mai zu ersetzen, von links, und vermutlich nicht wegen des Grundgesetzes, sondern um den 17. Juni loszuwerden.

Heute wäre der 23. Mai wiederum zu westlastig.
Zitat von Zettel
Viele Nationen haben einmal solche dunkle Zeiten erlebt. Man darf seine Identität nicht dadurch bestimmen lassen; so wenig, wie die Identität der Franzosen durch die Verbrechen der Bartholomäusnacht, der Revolution oder auch der Abrechnung mit Kollaborateuren 1945 geprägt ist.

Dem stimme ich zu. Die Frage des Tages ist jedoch, ob zur Identifizierung mit der eigenen Nation ein Nationalfeiertag gebraucht wird. Wenn nun einmal kein plausibler da ist! Dann müssen wir eben ohne einen solchen normal werden.

Gruß,
Kallias

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

18.06.2008 18:42
#9 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Zitat von R.A.
Und begründete dies damit, daß die Leute auch ohne dies feiern würden, wenn es ihnen ein echtes Bedürfnis wäre. Und wenn es ihnen kein Bedürfnis wäre, dann könne und dürfe man dies nicht per Regierungsorder oktroieren.

Hurra! Der Mann war offenbar auf seine Art ein Anarchist.

Gruß,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.06.2008 18:45
#10 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Zitat von R.A.
Erst der erste Weltkrieg hat eigentlich wirklich dazu geführt, daß man sich in erster Linie als Deutscher und nicht mehr so sehr als Preuße, Bayer oder Hesse sah.

Zwischen dem Krieg 70/71 und dem Ausbruch des 1. Welktriegs lagen knapp fünfzig Jahre, also ziemlich genau zwei Generationen.

Ich stelle ja immer gern solche generationsbezogenen Überlegungen an. Wer 1870, sagen wir, zwanzig Jahre oder älter war, der hatte eine preußische, bayrische usw. Identität, die er sicherlich nicht vollständig ablegte, als er auf einmal Deutscher geworden war. Die nächste Generation - also die um 1870/1880 Geborenen - wuchsen noch in einer Familie auf, in der man sich preußisch usw. fühlte; da dürfte also so etwas wie eine doppelte Identität geherrscht haben.

Aber die Dritte Generation - also die um 1900 Geborenen - sollten sich eigentlich schon vorwiegend als Deutsche gefühlt haben. Das war die Generation, die teils noch in den Krieg ziehen mußte, teils ihn als Heranwachsende erlebte. Mein Großvater gehörte dazu; und er war in seiner Identität Deutscher und erst in zweiter Linie Hesse.

Das Beispiel zeigt freilich auch, daß es vermutlich große landsmannschaftliche Unterschiede gab. Es gab wohl eine starke bayrische, badische, auch welfische oder rheinische Identität - aber Preuße zu sein, das war etwas eher Formales. Die Kernpreußen in Brandenburg mögen sich als Preußen gefühlt haben - aber die Weseler oder die Frankfurter, diese "Mußpreußen"?

Und Hesse zu sein, das war gar nichts. Mein Großvater war stolz darauf, nicht daß er Hesse war, sondern daß er Bürger der (ehemals, aber im Herzen der Frankfurter auch nach 1866 noch) Freien Reichtsstadt Frankfurt war.

Herzlich, Zettel

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

18.06.2008 21:46
#11 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Zitat von Zettel

Das Beispiel zeigt freilich auch, daß es vermutlich große landsmannschaftliche Unterschiede gab. Es gab wohl eine starke bayrische, badische, auch welfische oder rheinische Identität...


Lieber Zettel,

ich glaube, dass die landsmannschaftliche Identität (gerade, wenn man die Mentalität berücksichtigt), nicht unbedingt mit dem nationalen Zugehörigkeitsgefühl zusammenfällt.

Ich fühle mich natürlich wie der Großteil meiner Generation primär als Deutscher, stelle aber zugleich fest, dass rein von der Mentalität das Nord-Süd-Gefälle viel stärker ist als die Nationalzugehörigkeit. Mich verbindet da deutlich mehr mit einem Österreicher oder Schweizer als mit einem Hamburger oder Düsseldorfer, während diese oft z. B. den Holländern deutlich näher stehen als den Bayern oder Schwaben.

(Interessanterweise habe ich kein besonderes Verhältnis zu Hessen, die liegen irgendwie so mittendrin)...

Ich habe mich häufig gefragt, woran das liegen mag, und bin lediglich auf die konfessionelle Prägung als Ursache gekommen. Aber alles erklärt das auch nicht, denn trotz aller Frozzelei kommen wir katholischen Altbayern mit den protestantischen Franken eigentlich ganz gut aus

Gruß Petz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.06.2008 22:15
#12 RE: Zettels Meckerecke: Nationalfeiertag Antworten

Zitat von califax
Und insbesondere ist es ja auf Dauer irgendwie peinlich als Spaßbremse dazustehen, wenn Türken, Griechen, etc. für die Nationalelf ganz selbstverständlich Schwarz-Rot-Gold aufziehen. Jedenfall bei fast allen Spielen.

Zumindestens ist das hier so. Doppelbeflaggung ohne Ende.

Ja, das ist schon a bisserl lustig, aber ja doch schön: Daß wir Deutsche uns eher trauen, unsere nationalen Farben zu zeigen, wenn die Einwanderer das doch auch tun.

Übrigens gab es ja 2006 durchaus die üblichen Verdächtigen, die diesen schwarzrotgoldenen "Nationalismus" heftig kritisiert haben; und der unvermeidliche Walter Jens wollte gar das Deutschlandlied als Nationalhymne abschaffen.

Ich habe damals das Argument gehört, eigentlich seien diese Fahnen ja furchtbar, aber nun gut, jeder Fan zeige die Vereinsfarben seiner Mannschaft - und Schwarzrotgold, das seien halt die Vereinsfarben der deutschen Nationalmannschaft.

Übrigens - "National"-Mannschaft. Hat das eigentlich noch niemand kritisiert?

Herzlich, Zettel

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