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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 15 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.07.2008 18:24
Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Schön, daß mit einem halben Jahr Verspätung jetzt allmählich ein realistischeres Bild von Barack Obama sich bei deutschen Journalisten bemerkbar macht. Jedenfalls einigen.

Chripa Offline



Beiträge: 132

25.07.2008 21:47
#2 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Lieber Zettel,
"shining city upon the hill", "the last best hope of mankind", Vergleiche
zum Auszug der Juden aus Ägypten... Was ihr Land angeht, sind die Amerikaner
nie bescheiden gewesen. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob man sich selbst
oder nur sein Land für auserwählt hält. Ich glaube, Sie hatten das hier auch schon
mal so ähnlich ausgeführt. Ich hab mir gerade noch mal die Unabhängigkeitserklärung
durchgelesen. Dieser Satz ist auch nicht unbedingt von großer Demut gekennzeichnet:
"We hold these truths to be self-evident.."
"We, therefore, the Representatives of the united States of America, in General Congress, Assembled,
appealing to the Supreme Judge of the world for the rectitude of our intentions, do, in the Name,
and by Authority of the good People of these Colonies, solemnly publish and declare, That these
united Colonies are, and of Right ought to be Free and Independent States.."
Aber das Anliegen dieser Gruppe (sic) war es ja eher, dem zum Durchbruch zu verhelfen, was sie
eh für selbstverständlich oder von Gott gewollt hielten, deswegen ja auch "that they are endowed by
their Creator with certain unalienable Rights".
Ansonsten geht mir dieses messianische Getue auch auf den Wecker. Es erscheint mir auch seltsam,
dass auf Obama so viele antiamerikanische Klischees passen (jung,unerfahren,pathetisch,reiche Unterstützer
im Hintergrund), dies aber nicht ausgeschlachtet wird. Es scheint sich da bemerkbar zu machen, dass heute,
vereinfacht gesagt,links und rechts politisch wichtiger sind als Nationalitäten. Aber soweit man politische
Überzeugungen bei Obama ausmachen kann, scheinen die mir irgendwie sozialdemokratisch zu sein,
von diesen unguten Freunden wie Pastor Wright usw. mal abgesehen.
Relativ beruhigend finde ich auch, dass er von "Washington" abgesehen eigentlich ohne große Feindbilder
auszukommen scheint. Vielleicht ist es also doch so, dass er mehr Schaf im Wolfspelz ist, als Sie glauben
und es mir manchmal auch scheint. Dies wäre angesichts der Weltlage allerdings auch schon beängstigend genug.
Herzliche Grüße,
Chripa

dirk Offline



Beiträge: 1.538

25.07.2008 22:27
#3 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

@Chripa

Nicht das Pathos ist das Problem, sondern die Lückenbüßer ("something, whisper, chorus, a hymn that will heal this nation"), beziehungsweise die Unbestimmtheit an deren Stelle sie stehen. Was meint er damit?

Den Vergleich mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung finde ich auch nicht passen. Begründen lässt sich dies vielleicht besser mit einem ganz anderen Beispiel: George Bush.

George Bush wird immer wieder seine Religiösität vorgeworfen. Er handele "im Namen Gottes" und damit irrational und "ohne Zweifel". Meiner Ansich nach ist genau das Gegenteil der Fall. Hier wird die Rolle der Religion komplett verdreht. Was bedeutet der Glaube an Gott, also an ein übermenschliches, allwissendes, allmächtiges Wesen? Es bedeutet im Umkehrschluss, dass der Mensch eben nicht allwissend und allmächtig ist. Es bedeutet, dass alles menschliche Handeln mit Zweifeln behaftet ist.

Und das ist wichtig. Der Glaube an die menschliche Fehlbarkeit erfüllt eine wesentliche Funktion in einer Gesellschaft. Zum Beispiel begrenzt sie die Macht der Mächtigen und dient als Rechtfertigung für die Freiheit ("Freiheit ist Unwissenheit", F.A. von Hayek). Man kann Gott als eine seltsame Konstruktion verstehen, die genau diese Funktion erfüllt.

Das Gegenteil von George Bush ist Jürgen Trittin. Der sagte 1998, gefragt warum er keinen Eid auf Gott leiste: "Ich vertraue auf meine eigene Kompetenz". Und trotzdem werfen die wenigsten Jürgen Trittin Anmaßung von Wissen vor.

Wenn jemand sagt "we can heal the world", dann ist das Anmaßung. Es ist die Überzeugung selbst alles richtig zu machen. Es ist das Gegenteil von Zweifel. Es ist das Gegenteil von George Bush.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.07.2008 22:34
#4 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Lieber Chripa,

Sie haben sicher Recht, daß in den USA Pathos als weniger unangenehm empfunden wird als bei uns. Aber auch für amerikanische Verhältnisse ist Obamas Auftreten ganz ungewöhnlich. Ich kann mich an keinen Kandidaten erinnern (auch und gerade nicht Kennedy), der sich derart als Heilsbringer präsentiert hätte. Das hat ja zu den sarkastischen Kommentaren von Autoren wie Jonah Goldberg und Charles Krauthammer geführt; oder Dennis Prager, auf den Ex-Blond hingewiesen hat.

Das paßt nicht zu dem pragmatischen Stil der meisten Amerikaner; es ist der Stil von bigotten Predigern.

Zitat von Chripa
"We hold these truths to be self-evident.."

Das war für das ausgehende 18. Jahrhundert eher knapp und aufgeklärt.
Zitat von Chripa
Ansonsten geht mir dieses messianische Getue auch auf den Wecker. Es erscheint mir auch seltsam, dass auf Obama so viele antiamerikanische Klischees passen (jung,unerfahren,pathetisch,reiche Unterstützer im Hintergrund), dies aber nicht ausgeschlachtet wird. Es scheint sich da bemerkbar zu machen, dass heute, vereinfacht gesagt,links und rechts politisch wichtiger sind als Nationalitäten.

Ich halte es für wahrscheinlich, lieber Chripa, daß wir Deutsche noch früher von einem Präsidenten Obama enttäuscht sein würden als seine amerikanischen Wählern. Diese werden enttäuscht sein, sobald sich zeigt, daß er das nicht entfernt halten kann, was er verspricht. Wenn sich also alle diese Sprüche vom Wandel, vom Neuanfang, vom Heilen der Nation als heiße Luft erweisen werden.

Wir Deutsche aber werden enttäuscht sein, wenn Obama hält, was er verspricht. Wenn er von uns beispielsweise verlangen wird, ganze Kampfverbände nach Afghanistan zu schicken. Er will, daß wir an der Seite der USA aktiv Krieg führen; daran hat er ja keinen Zweifel gelassen. Ich sage vorher, daß innerhalb eines halben Jahres nach Amtsantritt eines Präsidenten Obama die ganze Obamania weg sein wird.
Zitat von Chripa
Aber soweit man politische Überzeugungen bei Obama ausmachen kann, scheinen die mir irgendwie sozialdemokratisch zu sein, von diesen unguten Freunden wie Pastor Wright usw. mal abgesehen.

Das denke ich auch; wie übrigens bei Hillary Clinton, die allerdings seit vielen Jahren aktiv an sozialdemokratischer Politik arbeitet, zB im Gesundheitswesen.
Zitat von Chripa
Relativ beruhigend finde ich auch, dass er von "Washington" abgesehen eigentlich ohne große Feindbilder auszukommen scheint. Vielleicht ist es also doch so, dass er mehr Schaf im Wolfspelz ist, als Sie glauben und es mir manchmal auch scheint. Dies wäre angesichts der Weltlage allerdings auch schon beängstigend genug.

Mich hat verblüfft, lieber Chripa, wie Obama innerhalb weniger Tage, nachdem seine Nominierung feststand, den Wolfspelz aus- und den Schafspelz angezogen hat.

Seitdem kenne ich keine Rede von ihm, in der er noch die Massen anheizt, sie in Verzückung zu versetzen versucht. Er ist über Nacht zum Staatsmann geworden. Zugleich räumt er eine nach der anderen seine Positionen; von der NAFTA bis zum Irak.

Es gibt ja bei solchen Politikern, die ankündigen, eine Volksgemeinschaft zu schaffen und die Welt zuz heilen, nur zwei Möglichkeiten: Entweder glauben sie ihren Schmus selbst. Dann sind sie gefährlich. Oder es ist alles nur Täuschung der Wähler, und hinter dem Heilsbringer verbirgt sich ein kalt kalkulierender Opportunist.

Bei Obama war ich mir lange unsicher. Anfangs hielt ich ihn eher für den ersteren Typus. Seit seiner frappierenden Wende vermute ich eher, daß er ein Zyniker der Macht ist, der kein Wort von den Heilsversprechen glaubt, mit denen er hausieren geht.

Sicher bin ich mir aber nicht. Das zweite wäre jedenfalls besser.

Herzlich, Zettel

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

26.07.2008 00:19
#5 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Amen! Volle Zustimmung.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.07.2008 13:09
#6 AKTUELLE ERGÄNZUNG: Aus dem deutschen Feuilleton Antworten

Zitat von Zettel
Sie haben sicher Recht, daß in den USA Pathos als weniger unangenehm empfunden wird als bei uns.

Nicht von allen. In den deutschen Feuilletons, die ja eigentlich für et Jeistije zuständig sind, gibt es eine Neigung - eine wachsende, wie mir scheint - zum Politisieren. Ein Beispiel dafür, wozu das führen kann, steht heute in der FAZ, und zwar aus der Feder von Tobias Rüther:
Zitat von Tobias Rüther
Obamas Berliner Botschaft (...): Doch, das geht. Doch, so anders können Politiker reden, so anders dürfen die Menschen, die ihm zuhören, auch darauf reagieren. Doch, sagt Obama, man darf auch in der Politik meinen, was man sagt. Man darf das Politische existentiell nehmen. (...)

Obamas Geheimnis ist, dass er verbürgt, was er ausspricht, nicht nur mit seiner Biographie und den Träumen seines Vaters von einer gerechteren Welt, die er auch in Berlin wieder beschwor. Die Unverbindlichkeiten, die man bei der deutschen Kanzlerin erlebt, kann man ihm schwerlich nachsagen.

Und so ist es auch nicht etwa ein nebulöser Möglichkeitssinn, der ihn von seinen Kollegen diesseits und jenseits des Atlantiks unterscheidet, sondern seine Fähigkeit, die Realität sehr präzise im Vorgriff zu definieren. Das Gegebene ist für Obama nur die halbe Wirklichkeit. Die andere Hälfte des Realen ist ihr „noch nicht“, das es in ein „schon jetzt“ zu überführen gilt.

Wir merken: Tobias Rüther hat nicht nur Robert Musil gelesen, sondern auch Ernst Bloch.

Was übrigens Obamas Vater angeht, die Los Angeles Times hatte kürzlich einen informativen Artikel über sein Leben; geschrieben vom Afrika-Korrespondenten Edmund Sanders, der in Kenya auch alte Bekannte des Vaters interviewte.

Barack Obama sen. verließ seine zweite Familie (die mit der Mutter von Barack jun.; zugleich war er in Kenya mit einer Frau verheiratet), als Barack jun. gerade ein Jahr alt war. Als Barack jun. zehn Jahre war, hat sein Vater seine Mutter und ihn noch einmal besucht, für ein paar Monate auf Hawaii.

Daß Obama viel von den "Träumen seines Vaters" mitbekommen hat, darf man also füglich bezweifeln. Bei dem Besuch auf Hawaii versuchte der Vater vor allem, ihm afrikanische Tänze beizubringen.


califax Offline




Beiträge: 1.502

26.07.2008 15:45
#7 RE: AKTUELLE ERGÄNZUNG: Aus dem deutschen Feuilleton Antworten

Zitat von Zettel

Wir merken: Tobias Rüther hat nicht nur Robert Musil gelesen, sondern auch Ernst Bloch.



Wir merken an: Der Herr Rüther sollte mit Ausgaben von Harry G. Frankfurts Bullshit gesteinigt werden. Was für ein unsäglich dummes Gestammel! Man hört ihn beim Lesen geradezu hecheln und ventilieren.

Ich habe einmal wieder den Eindruck, daß sich im Pfuijedong diejenigen sammeln, die weder zum Schriftsteller noch zum Berichterstatter taugen.

Klug und fleißig - Illusion
Dumm und faul - das eher schon
Klug und faul - der meisten Laster
Dumm und fleißig - ein Desaster

The Outside of the Asylum

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.07.2008 18:59
#8 RE: AKTUELLE ERGÄNZUNG: Aus dem deutschen Feuilleton Antworten

Zitat von califax
Ich habe einmal wieder den Eindruck, daß sich im Pfuijedong diejenigen sammeln, die weder zum Schriftsteller noch zum Berichterstatter taugen.

Scheint jedenfalls heute so zu sein, lieber Califax. Kürzlich hatten wir ja schon mal solch einen Fall, auch bei der FAZ.

Dabei war das Feuilleton der FAZ einmal erste Qualität. Aber jetzt scheint man immer mehr Leute in die Redaktion geholt zu haben, die so sind, wie Sie sie charakterisieren. Und es scheint auch dort eine Politisierung Einzug gehalten zu haben, die doppelt verwunderlich ist.

Erstens, daß überhaupt. Das wäre unter MMR undenkbar gewesen. Zweitens, wie. Linke Dummschwäzter wie dieser Rüther jetzt und dieser Geyer, um den es in dem verlinkten Artikel ging.

Herzlich, Zettel

Philipp Offline



Beiträge: 78

26.07.2008 19:32
#9 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten
califax: "Wenn jemand sagt "we can heal the world", dann ist das Anmaßung. Es ist die Überzeugung selbst alles richtig zu machen. Es ist das Gegenteil von Zweifel. Es ist das Gegenteil von George Bush."

Ich möchte an dieser Stelle nur noch einmal darauf hinweisen, dass das Ergebnis deiner Gegenüberstellung des Menschenbildes von Bush und Obama genau jenes ist, auf das sich auch jene berufen, welche die messianische Sinnleere, die Obama allenthalben als Grundlage einer alles zum Guten ändernden Politik verbreitet: dass nämlich Obama politisch das genaue Gegenteil von Bush sei. Mit dem nennenswerten Unterschied freilich, dass die notorischen Irakkriegs-Nörgler, welche die Anti-Bush-Doktrin qua Inhalierung tendenziöser Berichterstattung langsam, aber kontinuierlich verinnerlicht haben, ebendiese grundsätzliche Unterschiedlichkeit als Begründung ihrer fanatischen Unterstützung Obamas anführen, und ebendiese Anhimmelung gewissermaßen überhaupt erst aus der ideologischen Ablehnung der Außenpolitik unter Bush erwächst, ohne dass sich die Unterstützer Obamas dessen im Klaren wären.

Wer sich sein Weltbild vom bösen George W. Bush gezimmert hat, muss quasi notwendigerweise für Barack Obama eintreten: Dieses Eindrucks kann ich mich bisweilen nicht erwehren.
Chripa Offline



Beiträge: 132

26.07.2008 21:17
#10 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Das sehe ich grundsätzlich auch so, es gibt aber natürlich
auch Beispiele, in denen die Religion anders gehandhabt wurde.
Wie Bush insoweit einzuordnen ist, ist schwierig zu sagen.
Ich sehe ihn eher positiv, aber ein grüblerischer Typ scheint er nicht
zu sein.
Die Unabhängigkeitserklärung hatte ich herangezogen, um zu
gucken, ob Obama in dieser Tradition steht oder nicht.
Ansonsten, wie gesagt, auch von mir Zustimmung.
Grüße,Chripa

Chripa Offline



Beiträge: 132

26.07.2008 21:28
#11 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Hallo,
dass Obama mehr deutsche Hilfe in Afghanistan gefordert hat,
fand ich eher positiv. Wir haben in der NATO Solidarität erfahren,
sind selber zumindest mittelfristig auch vom Islamismus bedroht und
sollten deshalb bereit sein, mehr zu tun. Sie haben Recht, Obama
wird sich damit keine Freunde bei den Deutschen machen. Das liegt aber
daran, dass die Deutschen zumindest in dieser Frage nicht gerade viel
Sachverstand haben, um es höflich auszudrücken. Die Forderung ist wirklich
legitim.
Was die wahren Überzeugungen angeht, weiß ich es auch nicht. Der Umstand,
dass er mit Mitte 40 schon zwei Autobiografien vorgelegt hat, lässt vermuten,
dass er selber es auch nicht so genau weiß, sondern noch auf der Suche ist.
Ansonsten: Die Lokalpolitik Chicagos, aus der er kommt, ist mehr für
Macchiavellismus bekannt. Nicht vergessen sollte man demgegenüber auch, dass seine
relativ stramm linken Unterstützer nach der Wahl sicher mit
belohnt werden wollen. Deshalb denke ich schon, dass er mit seiner Mehrheit
im Kongress einige Pflöcke einschlagen würde. Dahinter käme man dann nicht mehr so
leicht zurück. Hat sich die Regierung erstmal ausgedehnt, wird das entsprechende
Programm nicht mehr so leicht abgeschafft.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.07.2008 21:58
#12 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Zitat von Chripa
dass Obama mehr deutsche Hilfe in Afghanistan gefordert hat,
fand ich eher positiv. Wir haben in der NATO Solidarität erfahren,
sind selber zumindest mittelfristig auch vom Islamismus bedroht und
sollten deshalb bereit sein, mehr zu tun. Sie haben Recht, Obama
wird sich damit keine Freunde bei den Deutschen machen. Das liegt aber
daran, dass die Deutschen zumindest in dieser Frage nicht gerade viel
Sachverstand haben, um es höflich auszudrücken. Die Forderung ist wirklich
legitim.

Was sollte man in Afghanistan tun? Ich weiß es nicht. Mit dem Irak habe ich mich ein wenig beschäftigt und glaube halbwegs beurteilen zu können, wie es weitergehen könnte. Aber Afghanistan?

Eines der rückständigsten Länder der Welt. So gut wie keine Industrie. Ein halbes Dutzend Stämme, jeder mit seiner eigenen Sprache und Kultur. Nie Kolonie gewesen, also ohne Zugang zur westlichen Kultur; sieht man von der deutschen Schule in Kabul ab.

Es wird geschätzt, daß - wenn ich mich recht erinnere - mehr als die Hälfte des Sozialprodukts durch den Anbau von und Handel mit Rauschgift erwirtschaftet wird.

In einem solchen Land einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen, stelle ich mir ungleich schwerer vor als im Irak. Im Irak bestand nach meiner Auffassung nie die Gefahr eines Bürgerkriegs; es sei denn, die Koaltionstruppen wären vorzeitig abgezogen worden. In Afghanistan sehe ich die Gefahr, daß sich die Nato in einen unendlichen Krieg verstricken könnte. Mir erscheint die Parallele zu Vietnam hier viel näherliegend als im Irak. Siehe das Schicksal der russischen Invasoren.

Das sind, lieber Chripa, Bedenken, die ich im Augenblick habe. Wie gesagt, ohne wirklich etwas von der Siituation im Land zu wissen. Gut möglich, daß ich zu einer ganz anderen Beurteilung komme, wenn ich mehr weiß.

Herzlich, Zettel

Chripa Offline



Beiträge: 132

26.07.2008 22:32
#13 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Ja, ich hab mich ein bisschen flapsig ausgedrückt.
Was mit Afghanistan werden soll, ist natürlich wirklich
eine sehr schwierige Frage. Ich hab neulich einen längeren
Artikel in der "Zeit" dazu gelesen. Da war davon die Rede,
dass bei vielen Afghanen selbst schon der Bau einer Straße
als dekadent gilt, weil man damit äußeren Einflüssen ausgesetzt
wird (Kabul gilt sowieso als Sündenpfuhl). Wie man da eine menschen-
würdige oder gar westlich-liberale Gesellschaft aufbauen soll,
weiß ich auch nicht. Die Taliban zu besiegen, geht vielleicht schon
leichter. Ich könnte mir zwar schon vorstellen, dass viele
Afghanen auch gerne mehr Freiheit hätten, sich aber bisher nur noch
nicht hervorwagen, weil sie Angst vor Repressalien haben.
Darum ging es mir aber auch gar nicht. Geärgert hat mich nur
mal wieder diese "Ohne-Michel"-Haltung, die die Mehrheit der
Deutschen an den Tag legt. Es kann ja sein, dass man zum Beispiel
die Truppen der NATO dort mittelfristig abziehen sollte. Aber dann muss
das eben in den zuständigen Gremien in Brüssel usw. diskutiert werden,
es kann nicht auf einem Marktplatz in Goslar oder in den Redaktionsstuben
deutscher Zeitungen entschieden werden.
Viele Grüße,
Chripa

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.07.2008 23:38
#14 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Zitat von Chripa
Geärgert hat mich nur
mal wieder diese "Ohne-Michel"-Haltung, die die Mehrheit der
Deutschen an den Tag legt. Es kann ja sein, dass man zum Beispiel
die Truppen der NATO dort mittelfristig abziehen sollte. Aber dann muss
das eben in den zuständigen Gremien in Brüssel usw. diskutiert werden,
es kann nicht auf einem Marktplatz in Goslar oder in den Redaktionsstuben
deutscher Zeitungen entschieden werden.

Das sehe ich ganz genauso, lieber Chripa. Wir habe vom Schutz der Nato profitiert, als wir, an der Grenze zum kommunistischen Reich, das gefährdetste Land Europas waren. Wir können nicht heute sagen: "Tut uns leid, aber wir sind friedfertige Leute. Mehr, als Schulen bauen und Brunnen graben geht leider nicht".

Und ich bin, wie gesagt, schon gespannt, wie denn diejenigen, die jetzt à la Tobias Rüther Obama in den Himmel versetzen, reagieren werden, wenn er auf mehr deutschen Kampftruppen in Afghanistan bestehen wird.

In meiner Antwort, lieber Chripa, habe ich dann etwas zu Afghanistan geschrieben; eigentlich gar nicht als Antwort, sondern weil ich beim Nachdenken gemerkt habe, wie unsicher ich in Bezug auf eine Meinung zu Afghanistan bin.
Zitat von Chripa
Ich hab neulich einen längeren
Artikel in der "Zeit" dazu gelesen. Da war davon die Rede,
dass bei vielen Afghanen selbst schon der Bau einer Straße
als dekadent gilt, weil man damit äußeren Einflüssen ausgesetzt
wird (Kabul gilt sowieso als Sündenpfuhl). Wie man da eine menschen-
würdige oder gar westlich-liberale Gesellschaft aufbauen soll,
weiß ich auch nicht.

Mein Afghanistan-Bild ist immer noch geprägt von dem wunderbaren Roman "Raumlicht. Der Fall Evelyne B." von Ernst Augustin, der als Arzt in der Nähe von Kandahar an einem Krankenhaus gearbeitet hatte und diese Erfahrung in dem Roman verarbeitete. Was er damals - der Roman erschien 1976 - schilderte, das war, außerhalb weniger Städte, eine intakte Stammesgesellschaft. Oder vielmehr viele davon; der Usbeken, Paschtunen Tadschiken usw.

Ich habe den Verdacht, daß sich daran bis heute nicht viel geändert hat. Diese Leute leben sozusagen seit der Antike an der Schnittstelle zwischen großen Handelswegen und dort, wo die großen Reiche zusammentrafen, also sich bekriegten.

Sie sind also erstens Krieger. Zweitens sind entschlossen, sich gegen jede Fremdherrschaft zu wehren. Und drittens sind sie Afghanen nur dem Paß nach, ihrer Identität nach aber Angehörige des jeweiligen Volks oder Stamms. Sie haben dem König Zahir Schah gehuldigt, so wie eben in einer feudalen Gesellschaft die einzelnen Stämme und Völker einen über sich anerkennen, der Streitigkeiten schlichtet, gemeinsame Interessen nach außen vertritt und dergleichen.

Sie haben die Taliban gehaßt; denn das war ja auch eine Fremdherrschaft. So, wie sie die Versuche der Briten, des Zarenreichs usw. gehaßt hatten, sie zu unterjochen; zuletzt die der Russen.

Und da sollen sie der Nato freundlich gesonnen sein? Die Amerikaner haben den Krieg so ungemein erfolgtreich geführt, weil sie im Grund ja nur die Bemühungen der Stämme, die Taliban zu verjagen, unterstützt haben, statt selbst diesen Krieg zu führen.

Die Nato muß - soweit ich das beurteilen kann - aufpassen, daß ihre Handlungen nicht irgendwann in das Schema "fremde Invasoren" passen. Dann kann sie den Kampf gleich verloren geben.

Herzlich, Zettel

MM ( Gast )
Beiträge:

27.07.2008 01:42
#15 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Ich kann mir vorstellen dass man ganz Afghanistan, wie wohl jedes Land, nicht einfach so über einen Kamm scheren kann. Wenn man sich mit Afghanen unterhält, die Ende der 70er, Anfang der 80er ausgewandert sind, erschließt sich einem schon ein etwas anderes Bild, nämlich von einem Land, in dem es den Leuten durchaus gut ging, und in dem die Menschen auch vergleichsweise offen / modern lebten. Ich traue mir auch nicht zu von meinen paar Unterhaltungen mit Afghanen großartig qualifizierte Aussagen über dieses Land treffen zu können. Aber genau das ist doch das Problem. Wer kennt sich schon mit all diesen Ländern wirklich aus? Wir müssen darauf vertrauen dass zumindest unsere Staatsoberhäupter ihre Hausaufgaben gemacht haben, bevor sie unsere Kinder dort reinschicken um Krieg zu führen oder Frieden zu schaffen oder was auch immer es ist was sie da tun sollen.
Ich kann nur sagen dass ich das Obama eher zutraue als McCain, der von Irakisch-Pakistanischen Grenzen und der Tschechoslowakei redet, während er bei jeder Gelegenheit nur so damit prahlt, wie gut er sich in der Welt auskennt. Wahrscheinlich hat er schon so viel Knockwurst gegessen dass er ein richtiger Deutschlandexperte ist. (Jetzt müsste man nur noch rausfinden wo sich in Washington das beste Afghanische Restaurant befindet).

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.07.2008 04:45
#16 RE: Zitat des Tages: Der Weltretter Antworten

Zitat von MM
Ich kann mir vorstellen dass man ganz Afghanistan, wie wohl jedes Land, nicht einfach so über einen Kamm scheren kann. Wenn man sich mit Afghanen unterhält, die Ende der 70er, Anfang der 80er ausgewandert sind, erschließt sich einem schon ein etwas anderes Bild, nämlich von einem Land, in dem es den Leuten durchaus gut ging, und in dem die Menschen auch vergleichsweise offen / modern lebten.

Auch das dürfte ein Aspekt dieses Landes sein, das man gewiß nicht über einen Kamm scheren kann. Für Kabul, vielleicht noch für einige wenige andere größere Städte, dürfte zutreffen, was Sie schreiben. Aber für das ganze Land?
Zitat von MM
Wer kennt sich schon mit all diesen Ländern wirklich aus? Wir müssen darauf vertrauen dass zumindest unsere Staatsoberhäupter ihre Hausaufgaben gemacht haben, bevor sie unsere Kinder dort reinschicken um Krieg zu führen oder Frieden zu schaffen oder was auch immer es ist was sie da tun sollen. Ich kann nur sagen dass ich das Obama eher zutraue als McCain, der von Irakisch-Pakistanischen Grenzen und der Tschechoslowakei redet, während er bei jeder Gelegenheit nur so damit prahlt, wie gut er sich in der Welt auskennt.

Naja, lieber MM, daß Obama in dieser Hinsicht besser ist, darf man füglich bezweifeln. Siehe hier.

Auch ich rede gern noch von der Tschechoslowakei; man hat's halt Jahrzehnte lang getan. Und auch ich habe schon mal Irak gesagt, wenn ich Iran gemeint habe - sogar geschrieben.

In der zweiten Folge des verlinkten Artikels werden Sie lesen können, daß man solche gaffes eigentlich höflich übergehen sollte. Da es aber bei Bush und McCain ganz anders gehandhabt wird - auch Sie tun's ja, lieber MM -, halte ich es für gerecht, dann auch Obama mit demselben Maß zu messen.

Aber nicht deswegen halte ich nichts von Obama. Sondern weil ich nur zwei Möglichkeiten sehe: Entweder glaubt er daran, die Nation heilen, die Welt gesund machen zu können. Dann ist er ein gefährlicher Illustionist. Oder er glaubt es nicht, dann ist er ein gefährlicher Täuscher.

Herzlich, Zettel

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