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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 38 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.10.2008 18:59
Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Wie es so geht: Eigentlich sollte das nur eine Marginalie werden, über die seltsame Behauptung Helmut Schmidts, Georgien sei ein asiatisches Land.

Dann habe ich ein wenig recherchiert und gemerkt, wie interessant das Thema ist: Wegen der Frage, wie man eigentlich Kontinente voneinander abgrenzt; wegen der wechselvollen Geschichte Georgiens. Und vor allem auch, weil mir die Bemerkung Schmidts eine bestimmte Sicht auf Rußland zu zeigen scheint, die ich für ganz und gar falsch halte.

Deshalb ist aus der Marginalie ein ausgewachsener Artikel geworden. Und der erste Teil einer seit langem geplanten Auseinandersetzung damit, wie Putin und seine Berater eigentlich die heutige strategische Lage in Osteuropa sehen.

Gilbert Offline



Beiträge: 70

04.10.2008 19:41
#2 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Technisch gesehen ist das ja völlig gleichgültig, weil zur Einladung eines Staates genau die gleiche Einstimmigkeit erfordert wie eine ggf. erforderliche Vertragsänderung.
Historisch ist einfach zur Zeit des Abschlusses des Vertrages sehr klar gewesen, wer mit "jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen" gemeint war, wo die Grenze läuft war nicht so interessant, weil Staaten wie Georgien nach der zweiten Einschränkung ausgeschieden sind.

Was ich mich dabei allerdings wirklich frage: Wird die nach dem Kernartikel 5 des Vertrages gegebene Beistandspflicht bei einem Angriff "in Europa oder Nordamerika" dann auch so ausgelegt, dass Syrien oder der Iran die Türkei nach belieben angreifen dürfen so lange sie nur nicht weiter als bis zum Bosporus marschieren? An Stelle der Türken würde ich da jetzt aber dringend eine Klarstellung verlangen.

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

04.10.2008 20:17
#3 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

In Antwort auf:
Zitat Zettel
Was also mag Helmut Schmidt sich bei seiner Behauptung gedacht haben, daß Georgien "kein Teil Europas, sondern ein Teil Asiens" sei? Er sagt es im nächsten Satz: Es geht ihm nicht um Geographie; sondern es geht ihm um seine Ablehnung eines Beitritts Georgiens zur Nato. Und diesen lehnt er ab, weil er dagegen ist, sich (so sagt er es in dem Interview) "über die Einflußspären [von] Großmächte[n] hinweg[zu]setzen".

Schmidt sieht das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland aus der Sicht eines Teilnehmers am Zweiten Weltkrieg, der an der Ostfront kämpfte und für den ein gutes Verhältnis zu Rußland oberste Priorität hat: "Beide haben schrecklich gelitten und wissen das auch voneinander."

Deshalb fürchtet er offenbar eine neue Konfrontation mit Rußland; deshalb will er den Russen ihre "Einflußsphäre" zubilligen. Und deshalb verlegt er Georgien nach Asien; denn dann kann es gar nicht der Nato beitreten, sondern gehört zwangsläufig zur russischen "Einflußsphäre".



Lieber Zettel, diese Einschätzung von Helmut Schmidt im Umgang mit Georgien, habe ich mehrmals gehört während seiner Buchbesprechungen. Ich hatte mich auch schon gewundert über diese Aussage. Mein erster Gedanke war, er wird mehr wissen als wir. Dann schloß ich aus, daß er möglicherweise mit Schröder gesprochen hätte. Obwohl - wie es scheint - hat Schmidt mit Schröder seinen Frieden gemacht oder er ist eben auch "altersmilde" geworden, aber an ein Gespräch zwischen beiden glaube ich trotzdem nicht.

Also warum hat Helmut Schmidt mehrfach erwähnt, daß Georgien eben nicht in die Nato soll um Differenzen mit Rußland zu vermeiden. Was will er wirklich damit sagen. Die Tatsache das er auf offener Bühne mehrmals darauf hingewiesen hat, ist für mich Hinweis, daß er sich nicht parteiintern darüber austauscht und wenn doch, dann will er zusätzlich sichergehen, das seine Warnung alle gehört haben. Was weiß er und wovor will er uns warnen? Die Machtpolitik von Putin wird ja jetzt sowieso keiner mehr unterschätzen. Haben die "guten Kontakte" in Amerika, Helmut Schmidt mehr wissen lassen?

♥lich Nola

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.10.2008 21:42
#4 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Zitat von Nola
Ich hatte mich auch schon gewundert über diese Aussage. Mein erster Gedanke war, er wird mehr wissen als wir. Dann schloß ich aus, daß er möglicherweise mit Schröder gesprochen hätte. Obwohl - wie es scheint - hat Schmidt mit Schröder seinen Frieden gemacht oder er ist eben auch "altersmilde" geworden, aber an ein Gespräch zwischen beiden glaube ich trotzdem nicht.

Meines Wissens, liebe Nola, stehen die beiden im Kontakt. Schröder hat - wenn ich mich recht erinnere - als Kanzler gelegentlich den Rat von Schmidt gesucht.

Aber zum Thema: Ich glaube gar nicht mal, daß Schmidt viel mehr weiß als der gut informierte Zeitungsleser.

Schauen Sie mal - als wir hier im Forum versucht haben, herauszufinden, was nun an diesen beiden Tagen 7. und 8. August passiert ist, da haben wir offenbar im wesentlichen aus der Presse dieselben Informationen gehabt wie die Regierungen. Denn später wurde ja bekannt, daß auch diese nicht in der Lage waren,genau zu rekonstruieren, was sich da abgespielt hat.

Mag sein, daß es so supergeheime Informationen gibt, daß noch nicht mal deren Existenz an die Öffentlichkeit dringt. Aber mein Eindruck ist seit langem, daß der Informations-Vorsprung der Geheimdienste immer mehr dahinschmilzt. Allenfalls in Staaten ohne freie Presse haben sie noch diesen Vorsprung; und was dann passieren kann, hat "Curveball" vorgeführt.
Zitat von Nola
Also warum hat Helmut Schmidt mehrfach erwähnt, daß Georgien eben nicht in die Nato soll um Differenzen mit Rußland zu vermeiden. Was will er wirklich damit sagen.

Ich habe in den Artikel ja schon angedeutet, wie ich das sehe, liebe Nola: Schmidt hält ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland für unbedingt erforderlich; im Interesse Deutschlands, im Interesse auch des Friedens. Vielleicht fürchtet er, daß Rußland sich in die Enge getrieben fühlt und dann unberechenbar reagiert.

Aus meiner Sicht braucht Putin nicht in die Ecke getrieben zu werden, um nicht zu rea- sondern um zu agieren. Meine These (man kann so etwas nie beweisen) ist, daß er, seit er fest im Sattel sitzt, eine Politik der Rückgewinnung des russischen Imperiums betreibt. Er gehört zu denen die der Untergang des Sowjetimperiums ungefähr so getroffen hat wie das Diktat von Versailles viele Deutsche.

Auch damals gab es - ich habe, glaube ich, auf die Parallele schon einmal hingewiesen - zwei Möglichkeiten: Deutschland konnte vom "Griff nach der Weltmacht" Abschied nehmen und eine geachtete europäische Mittelmacht werden; das war die Politik von Stresemann. Oder es konnte heimlich rüsten, bis es stark genug war, die einstige Größe zurückzugewinnen. Das war die Politik schon von v.Seekt, und Hitler hat darauf aufgebaut.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.10.2008 22:09
#5 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Lieber gelegentlicher Besucher,

Zitat von gelegentlicher Besucher
Technisch gesehen ist das ja völlig gleichgültig, weil zur Einladung eines Staates genau die gleiche Einstimmigkeit erfordert wie eine ggf. erforderliche Vertragsänderung.

Stimmt - technisch. Aber politisch dürften gegen eine Vertragsänderung viel leichter Widerstände zu mobilisieren sein als gegen einen Beitritt gemäß dem jetzt gültigen Vertrag. Die Konferenz von Bukarest im Frühkahr hat ja gezeigt, wie uneins die Nato-Mitglieder schon vor der Invasion waren. Jetzt wird es schwer genug sein, überhaupt eine Mehrheit für einen Membership Action Plan zu bekommen.
Zitat von gelegentlicher Besucher
Historisch ist einfach zur Zeit des Abschlusses des Vertrages sehr klar gewesen, wer mit "jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen" gemeint war, wo die Grenze läuft war nicht so interessant, weil Staaten wie Georgien nach der zweiten Einschränkung ausgeschieden sind.

Ich kenne die Vorgeschichte dieses Passus nicht. Die nächstliegende Erklärung scheint mir zu sein, daß damit einfach der, sagen wir, Einzugsbereich der Nato innerhalb des gesamten zum Schutz vor der UdSSR errichteten Vertragssystem definiert werden sollte. Es schloß sich ja nach Süden der Bereich des Bagdadpakts an, dann nach Osten der Bereich der SEATO.
Zitat von gelegentlicher Besucher
Was ich mich dabei allerdings wirklich frage: Wird die nach dem Kernartikel 5 des Vertrages gegebene Beistandspflicht bei einem Angriff "in Europa oder Nordamerika" dann auch so ausgelegt, dass Syrien oder der Iran die Türkei nach belieben angreifen dürfen so lange sie nur nicht weiter als bis zum Bosporus marschieren? An Stelle der Türken würde ich da jetzt aber dringend eine Klarstellung verlangen.

Die muß die Türkei doch eigentlich 1952 verlangt haben, als sie beigetreten ist, oder nicht? Ich kann mir nicht denken, daß nicht damals Zusicherungen gegeben wurden, daß die Türkei zu "Europa" gerechnet werde. So, wie eben jetzt auch Georgien, wenn es beitritt, eben als ein europäisches Land gilt.

Und zwar zu Recht, weil es wirklich absurd ist, Georgien als ein asiatisches Land zu sehen. Während man bei der Türkei durchaus anderer Meinung sein kann.

Herzlich, Zettel

dirk Offline



Beiträge: 1.538

06.10.2008 14:05
#6 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Also auch ich mag ja Helmut Schmidt. Aber er wird eindeutig überschätzt. Wie hier zum Beispiel: What would Jesus say?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.10.2008 14:30
#7 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Zitat von dirk
Also auch ich mag ja Helmut Schmidt. Aber er wird eindeutig überschätzt. Wie hier zum Beispiel: What would Jesus say?

Gabor Steingart hat auch schon Besseres geschrieben, lieber Dirk.

Als er nach Washington ging, war das wohl als Sprungbrett für eine Rückkehr nach Hamburg gedacht, auf den Posten des Chefredakteurs des "Spiegel". Stattdessen versauert Steingart nun in Washington auf einer halben Stelle.

Das kann's ja nicht sein für einen Mann seines Kalibers. Wer weiß, wie seine beruflichen Planungen aussehen.

Da schreibt Steingart zum Beispiel: "Helmut Schmidt hätte nicht gewartet, bis der französische Staatspräsident ihn zu einem Krisengipfel einlädt. Er hätte dieses Treffen selbst initiiert, auch wenn die anderen ihn wieder als anstrengend und arrogant empfunden hätten."

Sarkozy hat ja nicht deshalb eingeladen, weil er schneller oder kompetenter war als Merkel, sondern weil das unter der französischen Ratspräsidentschaft sein Amt war. Und natürlich hätte sich auch Helmut Schmidt nicht über die Usancen in der EU hinweggesetzt.

Also, als intellektuelle Leistung ist dieser Artikel unter dem Niveau von Steingart.Als eine Fingerübung für die "Bild-Zeitung" wäre er aber erste Sahne.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.10.2008 15:13
#8 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

In Antwort auf:
als intellektuelle Leistung ist dieser Artikel unter dem Niveau von Steingart.

Man könnte auch sagen, genau das ist sein Niveau ...

Ansonsten ist die genaue Definition von "Europa" natürlich in erster Linie eine politische.
Geographisch gibt es da keine wirklich zwingenden Argumente.
Das gilt nicht nur für die Türkei oder Georgien, sondern noch viel mehr für Rußland selber, dessen Gebiet ja zum größten Teil unbestreitbar in Asien liegt - und das trotzdem schon seit Jahrhunderten klar zu Europa gerechnet wird.

Und die politischen Grenzen Europas kann man am einfachsten an der Struktur der internationalen Gremien ableiten - das sind die Definitionen, die von allen Staaten dieser Welt akzeptiert sind.

In erster Linie besteht Europa also ganz schlicht aus den Mitgliedern des Europarats. Auch UN-intern wird dieselbe Abgrenzung verwendet (z. B. bei der Besetzung des Sicherheitsrats nach Regionalproporz).

Und nicht zuletzt wird das auch in diversen anderen Organisationen nachvollzogen, von den diversen Sportverbänden bis zum Grand Prix d'Eurovision.

Wenn Schmidt so viel Rücksicht auf Rußland nehmen will, finde ich das zwar persönlich falsch, aber es ist ein legitimer politischer Standpunkt. Aber diesen mit Pseudo-Geographie zu begründen ist deutlich unter Schmidts Niveau. Denn der hat wenigstens eins - im Gegensatz zu Steingart.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.10.2008 16:25
#9 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Zitat von R.A.
Ansonsten ist die genaue Definition von "Europa" natürlich in erster Linie eine politische.

Ja, das stimmt, lieber R.A. Nur stützt sich eben die politische Definition auf geographische und kulturelle Argumente. Sie soll ja nicht beliebig erscheinen.

Die Diskussion darüber, ob die Kaukaus-Grenze zwischen Europa und Asien nun à la Strahlenberg oder entlang der Wasserscheide oder südlich des Kaukasus verläuft - das ist deshalb eine zwar eigentlich geographische, aber eben politisch unterfütterte Diskussion.
Zitat von R.A.
Und die politischen Grenzen Europas kann man am einfachsten an der Struktur der internationalen Gremien ableiten - das sind die Definitionen, die von allen Staaten dieser Welt akzeptiert sind. In erster Linie besteht Europa also ganz schlicht aus den Mitgliedern des Europarats. Auch UN-intern wird dieselbe Abgrenzung verwendet (z. B. bei der Besetzung des Sicherheitsrats nach Regionalproporz).

Das UN-Dokument Composition of macro geographical (continental) regions, geographical sub-regions, and selected economic and other groupings klassifiziert Georgien allerdings unter "Westasien" (Code 268).
Zitat von R.A.
Und nicht zuletzt wird das auch in diversen anderen Organisationen nachvollzogen, von den diversen Sportverbänden bis zum Grand Prix d'Eurovision.

Bei dem allerdings auch Israel und die Türkei mitschmettern!
Zitat von R.A.
Wenn Schmidt so viel Rücksicht auf Rußland nehmen will, finde ich das zwar persönlich falsch, aber es ist ein legitimer politischer Standpunkt. Aber diesen mit Pseudo-Geographie zu begründen ist deutlich unter Schmidts Niveau.

So sehe ich das auch, lieber R.A.

Und geärgert hat mich die apodiktische Art, in der Schmidt das verkündet. Aber das tut er ja überhaupt gern.

Herzlich, Zettel

Inger Offline



Beiträge: 296

06.10.2008 19:11
#10 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Apodiktische Art ist schnurrig-;)))
Er muß so sein, denk an seinen schönen Namen "Schmidt Sch...ze"
Grüßchen,
Inger

dirk Offline



Beiträge: 1.538

06.10.2008 21:14
#11 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

diese Art mag ich gerade von ihm. Neben Dieter Bohlen ist er ja der einzige, der sich traut Stellung zu beziehen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.10.2008 11:19
#12 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

In Antwort auf:
Das UN-Dokument Composition of macro geographical (continental) regions, geographical sub-regions, and selected economic and other groupings klassifiziert Georgien allerdings unter "Westasien" (Code 268).

Interessant.
Ich meine aber, daß das in der UN nicht so gelebt wird, sondern Georgien zu den Europäern zählt.

In Antwort auf:
Bei dem allerdings auch Israel und die Türkei mitschmettern!

Natürlich.
Die Türkei ist eben auch seit vielen Jahrzehnten klarer Teil Europas, seit dem Gründungsjahr 1949 auch Mitglied des Europarats - ihre Zugehörigkeit wurde lange Zeit nie in Frage gestellt, es gab da einen allgemeinen Konsens.
Ich finde es daher mehr als befremdlich, wenn diverse Leute heute die EU-Mitgliedschaft der Türkei (die man aus anderen Gründen durchaus legitim kritisieren kann) mit "gehört geographisch nicht zu Europa" ablehnen. Das ist unterstes Niveau.

Israel ist interessanter.
In vielen Punkten ist dieser Staat eine europäische Dependance im Nahen Osten. Von der klassischen geographischen Definition ist das wohl eindeutig Asien - aber da nun die asiatischen Staaten sich nachhaltig und in allen Bereichen weigern, Israel in ihren Reihen zu akzeptieren, ist die Anbindung an Europa eigentlich die einzige vernünftige Alternative.
Wäre eben auch eine politische Definition.

M.Schneider Offline



Beiträge: 672

07.10.2008 12:38
#13 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Lieber R.A.

Die Türkei ist eben auch seit vielen Jahrzehnten klarer Teil Europas, seit dem Gründungsjahr 1949 auch Mitglied des Europarats - ihre Zugehörigkeit wurde lange Zeit nie in Frage gestellt, es gab da einen allgemeinen Konsens.
Ich finde es daher mehr als befremdlich, wenn diverse Leute heute die EU-Mitgliedschaft der Türkei (die man aus anderen Gründen durchaus legitim kriti-sieren kann) mit "gehört geographisch nicht zu Europa" ablehnen. Das ist unterstes Niveau.


Dieser Aussage muss ich allerdings klar widersprechen.

Kleinasien oder Anatolien ist jener Teil der Türkei, der zu Vorderasien gehört.
Ursprünglich bezog sich der Name Anatolien nur auf den westlichen Teil der Halbinsel. Nach Gründung der Türkei 1923, wurde der Begriff auf die ganze Türkei ohne Thrakien ausgeweitet. Kleinasiens Fläche beträgt 757.000 km² und macht 97 % des türkischen Staatsgebietes aus und etwas unter 2 % von ganz Asien.

Es wird im Süden vom Mittelmeer begrenzt, im Norden vom Schwarzen Meer, im Westen von der Ägäis und im Nordwesten von Bosporus, Marmarameer und Dardanellen. Die östliche Grenze von Kleinasien ist nicht genau definiert. Der Einfachheit halber wird sie meist mit der östlichen Landesgrenze der Türkei gleichgesetzt.

Den europäischen Teil bildet das östliche Thrakien, er umfasst etwa 3 % der Landesfläche.
Man kann sagen, das was nördlich des Bosporus und des Marmarameer liegt ist europäisch.
Istanbul als größte Stadt der Türkei liegt zu einem Teil in Europa, zum größeren Teil aber in Asien.

Hinsichtlich der Religion dominiert der Islam, mit 98 %.

Auch die Sprache hat rein asiatischen Ursprung.

Das Türkei-Türkische geht direkt auf das Oghusische zurück, die Sprache der östlichen Turk-Stämme, die einst in Zentralasien siedelten und ab dem 8./10. Jahrhundert von den anderen konkurrierenden uyghurisch-türkischen Stämmen in den Westen verdrängt wur-den. Daher zählte einst auch die Sprache der Göktürken, Seldschuken und der späteren Osmanen zu den westlichen Turksprachen.
Die Osmanische Sprache war stark vom Arabischen und Persischen beeinflusst.


Es kann daher überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass die Türkei bis auf einen wirklich verschwindend kleinen Teil von 3% asiatische ist.
Sie ist auch nicht von abendländische Kultur geprägt, man sieht es auch an dem extrem hohen Anteil des Islam.

Und deshalb kann auch überhaupt keine Rede davon sein, das die Ablehnung der Aufnahme der Türkei in die EU mit dem Hinweis, die Türkei gehöre geographisch nicht zu Europa völlig legitim und vor allen Dingen in der Aussage richtig ist.

Mit dem Europarat hat dies nun wirklich überhaupt nichts zu tun. Dazu gehören alle möglichen Staaten wie zum Beispiel auch Russland, Armenien oder Aserbaidschan.

Der Europarat ist institutionell nicht mit der Europäischen Union verbunden, auch wenn beide dieselbe Flagge und dieselbe Hymne verwenden.


Herzlich
M. Schneider

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.10.2008 13:14
#14 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Lieber M. Schneider,

da muß ich wirklich konsequent widersprechen.

Die ominösen 3% beziehen sich eben auf eine rein geographische Definition, die genauso wenig relevant ist wie die Kaukasus-Grenzfrage bei Georgien.
Die Türkei ist wie Rußland ein Land auf zwei Kontinenten und es ist eine rein politische Definitionsfrage, wo man sie einsortiert.

In Antwort auf:
Hinsichtlich der Religion dominiert der Islam, mit 98 %.

Nu und?
So skeptisch ich dem Islam gegenüberstehe - er hat mit der "Europa"-Definition nichts zu tun.
Er kommt genauso aus dem Nahen Osten wie Christentum und Judentum.

Es ist historisch interessant, daß die heute für Europa relevante Wertebasis auf christlichen und jüdischen Wurzeln beruht - aber ansonsten ist Religion für die Abgrenzung des modernen Europas irrelevant.

In Antwort auf:
Auch die Sprache hat rein asiatischen Ursprung.

Wie z. B. auch das ungarische - oder vielleicht auch die germanischen Sprachen, man weiß das nicht genau.
Ist aber ebenfalls völlig irrelevant.

In Antwort auf:
Sie ist auch nicht von abendländische Kultur geprägt ...

Das ist nun der wirkliche Knackpunkt!
Und nach meinen Türkei-Erfahrungen sehe ich das ganz anders: Die Türkei ist ganz überwiegend von der europäischen Kultur geprägt, trotz der (in letzter Zeit leider etwas stärker werdenden) Beimischungen islamischer Traditionen.

In der Tat kann man das aber strittig diskutieren, es gibt eine Reihe Punkte die es zweifelhaft machen, ob die Türkei schon in allen nötigen Bereichen die gemeinsame Wertebasis der Europäer teilt (und es macht es natürlich nicht besser, daß diverse zweifelsfrei europäische Staaten da auch ihre Defizite haben ...).
Nur hat das dann überhaupt nichts mit Geographie zu tun.

In Antwort auf:
Mit dem Europarat hat dies nun wirklich überhaupt nichts zu tun.

Doch!
Denn der Europarat vereint eben alle Staaten, die sich zu Europa bekennen - und die von den anderen Europäern als solche akzeptiert werden.

Die Zugehörigkeit zum Europarat konstituiert die Zugehörigkeit zu Europa.

Was aber nicht automatische die Mitgliedschaft in der EU bedeutet - diese Diskussion ist völlig getrennt zu führen.

Das "Türkei gehört nicht zu Europa" ist m. E. eindeutig falsch.
Ein "Türkei gehört zu Europa, sollte aber nicht EU-Mitglied werden" ist dagegen ein ganz legitime politische Wertung.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.10.2008 14:34
#15 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Zitat von Inger
Apodiktische Art ist schnurrig-;)))
Er muß so sein, denk an seinen schönen Namen "Schmidt Sch...ze"

Na, das hättest du aber ausschreiben dürfen, liebe Inger. So etepetete sind wir ja nun auch wieder nicht.

Er wurde ja auch in Frankreich "Le Feldwebel" genannt. Diese schneidende, selbstgewisse, belehrende Art hatte er immer. Wenn ich mich recht erinnere, war es Jimmy Carter, der sich besonders darüber beklagt hat, daß Schmidt sich so benahm, als müsse er den US-Präsidenten erst mal in die Grundbegriffe der Ökonomie einführen.

Wie so oft, liebe Inger, wird diese Art Mensch mit zunehmendem Alter immer sympathischer. Was als Besserwisserei erschien, das stellt sich dann als Altersweisheit dar. Der Ärger über die Arroganz verwandelt sich in Respekt vor der Persönlichkeit.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.10.2008 14:52
#16 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Zitat von R.A.
Die Türkei ist eben auch seit vielen Jahrzehnten klarer Teil Europas, seit dem Gründungsjahr 1949 auch Mitglied des Europarats - ihre Zugehörigkeit wurde lange Zeit nie in Frage gestellt, es gab da einen allgemeinen Konsens.

Zwei Dinge haben sich seither geändert, lieber R.A.

Erstens war die Türkei 1949 das Land Atatürks; auch seine Nachfolger hatten das Konzept der Verwestlichung der Türkei, das dieser Atheist vertrat, nicht in Frage gestellt. Niemand hielt es damals für möglich daß in der Türkei einemal eine islamfreundliche, man kann vielleicht auch schon sagen: islamistische Partei an die Macht kommen würde. Man dachte sich, daß im Jahr 2000 die Türkei kulturell, wirtschaftlich, politisch ein europäisches Land sein würde wie, sagen, wir, Griechenland oder Spanien.

Zweitens begann damals der Kalte Krieg. Die Türkei lag an der Grenze zum kommunistischen Machtbereich und mußte deshalb mit allen Mitteln - siehe Aufnahme in die Nato - auf der Seite des Westens gehalten werden.
Zitat von R.A.
Ich finde es daher mehr als befremdlich, wenn diverse Leute heute die EU-Mitgliedschaft der Türkei (die man aus anderen Gründen durchaus legitim kritisieren kann) mit "gehört geographisch nicht zu Europa" ablehnen. Das ist unterstes Niveau.

Ich würde sagen, es ist ein formalistisches Argument. Genau das, was Schmidt jetzt in Bezug auf Georgien verwendet.
Zitat von R.A.
Israel ist interessanter.

In vielen Punkten ist dieser Staat eine europäische Dependance im Nahen Osten. Von der klassischen geographischen Definition ist das wohl eindeutig Asien - aber da nun die asiatischen Staaten sich nachhaltig und in allen Bereichen weigern, Israel in ihren Reihen zu akzeptieren, ist die Anbindung an Europa eigentlich die einzige vernünftige Alternative.

Das sehe ich auch so.

Auch unter diesem Aspekt habe ich viel übrig für Sarkozys Mittelmeer-Union. Natürlich ist sie - siehe hier - auch ein Schachzug, um Frankreichs Gewicht in der EU zu stärken. Aber sie kann eben auch dazu dienen, die vielen kulturellen Beziehungen zwischen den Ländern rund um das Mittelmeer, also auf dem Gebiet des Imperium Romanum, wieder politisch fruchtbar zu machen.

Und dazu würde auch gehören, daß Israel und seine Nachbarn - jedenfalls Ägypten und der Libanon - zwangsläufig Mitglieder desselben Staatenbundes sein würden.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Online




Beiträge: 4.095

07.10.2008 15:07
#17 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Interessant: Stratfor zu den deutschen Erwägungen.
http://www.stratfor.com/weekly/20081006_german_question

M.Schneider Offline



Beiträge: 672

07.10.2008 15:08
#18 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Lieber R.A.

Die ominösen 3% beziehen sich eben auf eine rein geographische Definition

Das ist richtig, hat jedoch weit reichende Bedeutung. Die geographische Definition hat nämlich etwas mit den tektonischen Platten zu tun und die wiederum beeinflussten die Entwicklungen von Völker früher sehr maßgeblich.
Obwohl die Griechen fast unmittelbar an die Türken grenzen, liegen zwischen diesen beiden Völkern Welten. Die Griechen liegen am südlichen Rand der europäischen Platte, die Türken am nördlichen Rand der asiatischen Platte. Obwohl sie an manchen Stellen nur einen Steinwurf auseinander liegen, sind sie völlig verschieden. Und dies zeigt das die geographische Definition sehr wohl bedeutend ist.


........... aber ansonsten ist Religion für die Abgrenzung des modernen Europas irrelevant.

Das sehe ich völlig anders. Die Staaten die sich insbesondere islamisch entwickelt haben liegen in allen Wertmaßstäben weitab von dem was wir in Zentraleuropa als Maßstab gesetzt haben.
Sie verkennen bei ihrer Einordnung völlig, Islam ist Scharia und Scharia ist der Staat. Die Scharia bestimmt das gesamte Leben inklusive wirtschaftlicher Verträge.
Und genau das ist ein elementarer Unterschied zwischen Christentum und christlichen Staaten zu islamischen Staaten.

Auf die Veränderungen seit Atatürk hat Zettel schon hingewiesen, genauso auf die militärisch strategische Bedeutung der Türkei, weshalb die USA auch gerne die Aufnahme der Türkei in die EU sehen würde.



Denn der Europarat vereint eben alle Staaten, die sich zu Europa bekennen.

Das ist ihre Definition aber so ist sie nicht.

Staaten wie Aserbaidschan sind nun wirklich nicht Europa und bekennt sich auch nicht zu Europa.

Der Europarat hat mehr allgemein Ziele.

Der Europarat hat die Aufgabe, einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen, um die Ideale und Grundsätze, zu schützen und zu fördern und um ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu begünstigen (Art. 1 der Satzung des Europarats). Seit seiner Gründung hat er sich nachhaltig für die Förderung der Menschenrechte, pluralistischer Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit eingesetzt.
Der Europarat ist daher auch ein wesentlicher politischer Anker und Hüter der Menschenrechte für die postkommunistischen Demokratien Europas. Er hilft den Ländern Mittel- und Osteuropas, gemeinsam mit den Wirtschaftsreformen auch die politischen, rechtlichen und konstitutionellen Reformen durchzuführen und zu konsolidieren.

Von einer Bekennung zu Europa ist hier keine Rede.


Nein lieber R.A. in der Beurteilung der Türkei werden wir uns ganz sicher nicht einig.
Ich sehe die Türkei weder historisch (osmanisches Reich) noch geographisch gesehen als europäisch an, und für mich sind eben auch islamische Staaten nicht europäisch.


Herzlich
M. Schneider





Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.10.2008 15:15
#19 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Zitat von R.A.
Das "Türkei gehört nicht zu Europa" ist m. E. eindeutig falsch.

Hm, lieber R.A. - wie paßt das mit Ihrer Einsicht zusammen (die ich teile), daß die Definition von "Europa" nicht eindeutig ist?

Aus meiner Sicht gibt es zur EU-Mitgliedschaft einen Gesichtspunkt, der wichtiger ist als andere: Wenn die Türkei Mitglied der EU wird, dann wird irgendwann auch die Freizügigkeit für Türken innerhalb der EU gelten.

Wir sind in Deutschland im Augenblick, was die türkische Einwanderung angeht, in einer Situation, wo es Spitz auf Knopf steht: Vielleicht gelingt noch die Assimilation der Einwanderer, so wie die aller anderer Einwanderer nach Deutschland gelungen ist (der Polen um 1900, der Italiener, Griechen, Jugoslawen ab 1950).

Ich hoffe es. Dann bleibt Deutschland ein Staat wie die anderen Staaten Europas.

Oder aber es entstehen türkische Enklaven, so wie Erdogan ("Assimilation ist ein Verbrechen") das offenkundig anstrebt.

Sobald Freizügigkeit herrscht, und solange es noch ein großes Wohlstandsgefälle zwischen Deutschland und der Türkei gibt, wird das zu einer Zuzugswelle führen - man wandert ja nicht in ein fremdes Land aus, sondern man geht von einem türkischen Siedlungsgebiet in ein anderes -, die Deutschland zu einem Zweivölkerstaat machen wird.



Man muß sich entscheiden, lieber R.A., ob man das will. Es wird dann zwei Amtssprachen geben, es wird deutsche und türkische Schulklassen geben. Es wird vor allem Quotierung auf allen Ebenen geben. Von den Stellen in der Polizei bis zum Bundeskabinett werden Positionen nach einem bestimmten Schlüssel auf Türken und Deutsche verteilt werden.

Man kann das alles in Belgien besichtigen. Wo die Verhältnisse noch vergleichsweise günstig sind, weil die beiden Staatsvölker weitgehend geschlossene Siedlungsgebiete haben und weil sie einander kulturell vergleichsweise ähnlich sind.

In Deutschland wird es anders sein:

Die Großstädte überwiegend von Türken bewohnt, die Kleinstädte und das flache Land überwiegend von Deutschen.

Die Oberschicht wird weitgehend deutsch sein, die Unter- und untere Mittelschicht weitgehend türkisch. Ungefähr so, wie das in Finnland mit Schweden und Finnen war, auf dem Baltikum mit Deutschen einerseits und Letten, Esten, Litauern andererseits.

Geschichtlich ist das ja nichts Seltenes - die arabische Oberschicht in den iberischen Kalifaten, die normannische Oberschicht in England nach der Invasion der Normannen usw.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.10.2008 16:38
#20 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Lieber M. Schneider,

In Antwort auf:
Die geographische Definition hat nämlich etwas mit den tektonischen Platten zu tun ...

... und diese Platten sind - mit Verlaub - noch viel unwichtiger als Alles, was bisher schon besprochen wurde.

Was man schon am Beispiel mit den Griechen sieht. Die haben sich historisch nie um diese Platten gekümmert (wie alle anderen Völker auch) und rings um die Ägäis auf beiden Platten gesiedelt.
Erst durch die Umsiedlungen/Vertreibungen in dern 20er Jahren gibt es die "saubere" Verteilung der beiden Völker auf unterschiedliche Ufer.

In Antwort auf:
Islam ist Scharia und Scharia ist der Staat.

Und genau das gilt in der Türkei nicht - da gilt ein strengerer Laizismus als bei uns.

In Antwort auf:
"Denn der Europarat vereint eben alle Staaten, die sich zu Europa bekennen."
Das ist ihre Definition aber so ist sie nicht.


Das ist m. W. die eigene Sicht des Europarats - ich wüßte auch keine andere.
Die von Ihnen aufgeführten inhaltlichen Ziele des Europarats sind da kein Widerspruch.

In Antwort auf:
Staaten wie Aserbaidschan sind nun wirklich nicht Europa und bekennt sich auch nicht zu Europa.

Dann wäre Aserbaidschan aber nicht beigetreten - wie z. B. die mittelasiatischen SU-Nachfolgestaaten.

In Antwort auf:
Nein lieber R.A. in der Beurteilung der Türkei werden wir uns ganz sicher nicht einig.


Das müssen wir uns auch gar nicht. Bei der EU-Mitgliedschaft sowieso nicht, bei der Zugehörigkeit zu Europa auch nicht, wenn Sie die gesellschaftlichen Bedingungen dort anders beurteilen als ich.

Aber bitte nicht diese geographische Argumentation, das ist einfach so neben der Sache.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.10.2008 16:45
#21 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Lieber Zettel,

In Antwort auf:
wie paßt das mit Ihrer Einsicht zusammen (die ich teile), daß die Definition von "Europa" nicht eindeutig ist?

Hihi.
Der Widerspruch löst sich leicht auf.

Es gibt m. E. keine "natürliche", auf klaren geographischen Kriterien beruhende Definition.
Aber es gibt das sehr eindeutige, politische Kriterium der Zugehörigkeit zum Europarat.

Weil dort die Staaten versammelt sind, die sich selber als Europäer empfinden - und die von allen anderen Europäern auch so empfunden werden. Das ist doch entscheidend.

Mal als Beispiel: Über diverse, von mir nie erwartete Umstände bin ich seit einiger Zeit Mitglied eines Fußballvereins.
Ich bin da bewußt beigetreten, und die übrigen Mitglieder sind mit meiner Mitgliedschaft einverstanden - dann ist die Sache eindeutig klar.
Und das kann mir jetzt keiner absprechen mit den inhaltlich völlig berechtigten Einwänden, daß ich sehr wenig von Fußball verstehe und keinen Ball kicken kann.

In Antwort auf:
Aus meiner Sicht gibt es zur EU-Mitgliedschaft einen Gesichtspunkt, der wichtiger ist als andere: Wenn die Türkei Mitglied der EU wird, dann wird irgendwann auch die Freizügigkeit für Türken innerhalb der EU gelten.

Ein ganz wichtiges Argument in der Diskussion um die EU-Mitgliedschaft.
Aber nicht für die Zugehörigkeit der Türkei zu Europa.

Insofern rennen Sie mit allen weiteren Punkten bei mir offene Türen ein.

M.Schneider Offline



Beiträge: 672

07.10.2008 17:32
#22 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Lieber R.A.


... und diese Platten sind - mit Verlaub - noch viel unwichtiger als Alles, was bisher schon besprochen wurde.

Was man schon am Beispiel mit den Griechen sieht. Die haben sich historisch nie um diese Platten gekümmert (wie alle anderen Völker auch) und rings um die Ägäis auf beiden Platten gesiedelt.
Erst durch die Umsiedlungen/Vertreibungen in dern 20er Jahren gibt es die "saubere" Verteilung der beiden Völker auf unterschiedliche Ufer.


Ich habe nicht gesagt dass sich die Griechen oder überhaupt die Völker darum Gedanken gemacht haben. Es ist aber ein Faktum dass die Griechen immer mit ihrem Kernland auf der europäischen Platte angesiedelt waren.
Und das osmanische Reich respektive die daraus erwachsene Türkei mit ihrem Kernland immer im asiatischen Teil lag.

Daran hat der griechisch türkische Krieg nichts geändert.



Islam ist Scharia und Scharia ist der Staat.

Und genau das gilt in der Türkei nicht - da gilt ein strengerer Laizismus als bei uns.


Doch das gilt und zwar zunehmend. Leute wie zum Beispiel Erdokan werden sich immer mehr von den Vorstellungen von Atatürk entfernen und seine Anhängerschaft ist groß.

Herzlich
M.Schneider

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.10.2008 17:46
#23 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Lieber M. Schneider,

In Antwort auf:
Es ist aber ein Faktum dass die Griechen immer mit ihrem Kernland auf der europäischen Platte angesiedelt waren.

Auch da muß ich leider widersprechen.
In einer langen und wichtigen Phase der griechischen Geschichte - dem byzantinischen Reich - lag das Kernland in Anatolien und das "klassische" Griechenland war eine eher unwichtige Provinz.

Ist aber nicht wirklich wichtig für die aktuelle Situation.

In Antwort auf:
Leute wie zum Beispiel Erdokan werden sich immer mehr von den Vorstellungen von Atatürk entfernen und seine Anhängerschaft ist groß.

Richtig - und bedauerlich.
Zettel hatte ja auch schon darauf hingewiesen.

Derzeit sehe ich persönlich ja auch nicht, daß die Türkei EU-Mitglied werden könnte.

Die klar Atatürk-orientierte Türkei früherer Jahrzehnte hatte eine klare Mitgliedschaftsperspektive. Kombiniert mit den zeitweise sehr beeindruckenden Wachstumsraten schien es auch realistisch, in absehbarer Zeit den Wohlstandsunterschied zum Kerneuropa so zu verringern, daß eine Mitgliedschaft auch wirtschaftlich (und ohne großen Migrationseffekt) möglich wäre.

Diese Aussichten sind deutlich schlechter geworden, m. E. wegen der von saudischen Fundis etc. finanzierten Re-Islamisierung. Wobei das "Re" hier einen primitiveren Islam bedeutet, als er historisch in der Türkei üblich war.

Während ich also die Türkei grundsätzlich als Teil Europas sehe, rückt die konkrete Mitgliedschaft derzeit immer weiter in die Ferne - das werden wir vielleicht gar nicht mehr erleben (wenn sie überhaupt nicht kommt).
Die EU ist eine Wertegemeinschaft, und ein Erdogan vergrößert derzeit den Abstand zu dieser.

Gorgasal Online




Beiträge: 4.095

07.10.2008 17:56
#24 RE: Georgien und der russische Imperialismus (1): Helmut Schmidt Antworten

Zitat von R.A.
Ist aber nicht wirklich wichtig für die aktuelle Situation.

Wenn die Byzantiner nicht 800 Jahre lang den Muslimen Widerstand geleistet hätten, wäre - überspitzt gesagt - Abd er-Rahman 732 bei Tours und Poitiers nicht Karl Martell und den Franken begegnet, sondern den arabischen Kollegen, die über den Balkan in die gleiche Ecke gekommen wären. Und die aktuelle Diskussion würden wir jetzt mangels Europa nicht führen.

Insofern ist Byzanz durchaus wichtig für die aktuelle Diskussion.

Entschuldigung, ich konnte da nicht widerstehen, wieder einmal auf die völlig vernachlässigte Wichtigkeit des Byzantinischen Reiches für die Entwicklung Europas hinzuweisen. Und den Türken nehme ich 1453 (und die 300 Jahre davor) noch immer übel .

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.10.2008 18:50
#25 Erdogan Antworten

Zitat von R.A.
Die EU ist eine Wertegemeinschaft, und ein Erdogan vergrößert derzeit den Abstand zu dieser.

Erdogan hat, lieber R.A., meines Erachtens eine sehr ähnliche Weltsicht wie Putin.

1919 war das osmanische Kolonialreich am Ende, und die Türkei hatte die Wahl, entweder den Weg zurück zur Weltmacht zu versuchen, oder sich zu einer europäischen Mittelmacht zu entwickeln und in Europa zu integrieren. Atatürk ist damals diesen letzteren Weg gegangen.

1989 war das kommunistische Kolonialreich am Ende, und Rußland stand vor derselben Wahl. Gorbatschow und Jelzin wollten den Weg Atatürks gehen.

Putin hat sich jetzt für den Versuch der Rückkehr zum Weltmachtstatus entschieden. Erdogan will die Türkei wenn nicht zur Weltmacht, so doch wieder zur Großmacht machen.

Dazu braucht er den Eintritt in die EU; denn in ihr kann die Türkei ihre traditionelle Vormachtstellung in Südosteuropa wiedergewinnen (ich verlinke an dieser Stelle immer ganz gern eine Karte des Osmanischen Reichs, die zeigt, wie weit es nach Europa hineinreichte).

Und die Auslandstürken spielen in dieser Strategie die wichtige Rolle einer Fünften Kolonne. Wenn in Deutschland erst einmal ein kritischer Teil der Wähler Türken sind, dann wird die Bundesrepublik gar nicht anders können, als auf die Wünsche der Türkei einzugehen.

Herzlich, Zettel


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